Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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man in Montpellier erfuhr, daß ich der Anwalt Bertollon's sei, hielt man schon im voraus meinen Gegner für den Sieger. Nachdem die Untersuchung und die Zeugenverhöre beendigt waren, wurden Menard und ich vor die Schranken gelassen. Der gewaltige Redner schien meiner zu spotten. Er verschmähte es, gegen einen jungen Menschen anzutreten, der noch vor kurzem sein Schüler gewesen, und jetzt eine Probearbeit liefern wollte. Er sprach und sprach mit solcher Macht, daß er mich selbst auf's innigste erschütterte und fast für die Sache der angeklagten Frau entflammte. Der Prozeß dauerte durch Menard's Kunst schon ein halbes Jahr, wahrend ich in einigen Wochen zu siegen gehofft hatte. Immer ward Menard vom Beifall des Volks aus dem Obergerichts-Palaste begleitet, und ich schien meine Kräfte nur darum an der Erschwerung seines Sieges zu vergeuden, um seine Lorbeeren zu vermehren. Je mehr inzwischen meine Sache sank, desto höher stieg mein Mut. Eine ungewöhnliche Kraft beseelte mich. Menard selbst fing an, mich zu achten, oder zu fürchten, je weiter ich ihn aus seinen ersten Eroberungen zurückdrängte. Seine Partei verminderte sich, je mehr er die Wahrheit der durch ihn zweideutig und unsicher gemachten Thatsachen anzuerkennen gezwungen war. Bald vernahm ich öffentliche Lobsprüche. Bald umgab mich eine kleine Zahl von Anhängern. Bald rauschte auch mir des Volkes Beifall zu, je mehr Madame Bertollon als Verbrecherin erschien, und ihre Schönheit und ihre Tugend durch die Erinnerung an jene schwarze That verdunkelt wurden.

      So angenehm mir dieser Weihrauch war, entzückte er mich doch nicht so sehr, als Klementinens stummer Beifall. Madame Bertollon war eine Verwandte des Hauses de Sonnes. Als es bekannt ward, daß ich Bertollon's Sache verfechten würde, stand Klementine traurig am Fenster. Sie schüttelte den Kopf. Sie machte mir eine drohende Geberde. Ich glaubte sie zu verstehen und zuckte die Achseln, ließ mich jedoch nicht abschrecken, eine Pflicht zu erfüllen, die mir so heilig war. Während in Montpellier mein Name bekannter und gepriesener wurde, ward auch sie wieder freundlicher. Klementine schien über ihr Glück die Verwandtschaft mit Madame Bertollon zu vergessen. Ach, ich sah mich von dem Engel geliebt, den ich anbetete. Kein Sterblicher war seliger als ich. Jahre lang hatte schon unser Einverständnis gewährt.

      Doch ich kehre zu dem unseligen Prozeß zurück, der jetzt für die Angeklagte die übelste Wendung nahm. Madame Bertollon konnte, indem alle Tatsachen und Zeugen wider sie waren, nichts mehr thun, als standhaft leugnen, daß sie ihren Gatten habe vergiften wollen, wenn gleich der Schein sie schuldig machte. Ich drang nun darauf, daß man sie strenger als bisher vernehme, warum sie, oder zu welchem Zweck sie acht Tage vor der That das Gift eingekauft hatte? Sie erteilte ausweichende Antworten, und verfiel während der Verhöre in Widersprüche. Man sah ohne Mühe ein, daß sie sich scheue, den Grund zu entdecken. Alle Bitten ihrer Verwandten, alle Drohungen ihres Anwalts vermochten nichts über sie. Dies vermehrte den Verdacht. Menard gab seinen Prozeß verloren. Da übernahm es Madame Bertollon, ihre Sache vor Gericht selbst zu verfechten, in der Herr Menard so unglücklich war. Ich sah darin nichts, als einen Kunstgriff Menard's, der nun die rührende Gewalt weiblicher Schönheit zu Hilfe rufen wollte, seine Beredsamkeit zu unterstützen.

      Als sie in den Saal trat, entstand eine Todesstille. Nie war sie reizender gewesen als in diesem Augenblick. Ihr einfaches Gewand und die Blässe des tiefen Kummers riefen das Mitleid in alle Herzen, und Thränen in alle Augen. Jeder schwieg. Jetzt wandten sich alle Blicke von ihr hinweg auf mich. Ich sollte reden, aber ich konnte es nicht. Ich war in einer unaussprechlichen Verwirrung. Sie war das Bild der leidenden Unschuld. Alle die lieblichen Stunden, welche ich an ihrer Seite genossen, tauchten in meinem Gedächtnis auf, umringten wie weinende Engel meine Seele, baten für sie und flüsterten: Sie ist gewiß schuldlos! Endlich ermannte ich mich. Ich bezeugte, daß niemand entzückter sein würde, von der Unschuld der Angeklagten überzeugt zu sein als ihr eigener Gatte und dessen Fürsprecher, ich. Notwendig sei es daher, daß sie den schreienden Verdacht von sich abwende, daß sie anzeige, in welcher Absicht sie das Gift gekauft habe?

      Madame Bertollon war sehr schwach. Sie lehnte sich an den Arm ihres Verteidigers. Sie sah mich mit einem schmerzlichen Blick an, aus welchem Liebe und Jammer sprachen. »O Alamontade!« sagte sie mit matter Stimme. »Und Sie müssen es sein, der darauf dringt, meine Absichten mit dem Gifte zu erfahren? Sie? Und hier?« Sie schwieg eine Weile; dann hob sie sich plötzlich empor, wandte das blasse Antlitz gegen die Richter, und mit einem schmerzlichen Tone, der die Verzweiflung ihrer Seele ausdrückte, sprach sie: »Richter, Ihr habt mich mit der Folter bedroht, um mein Geständnis zu erpressen! Es ist genug! Ich will den Prozeß enden! Ich bin schuldig! Ich hatte mit diesem Gifte einen Mord im Sinne. Mehr erfahret Ihr nicht von mir! Verdammet mich!«

      Sie drehte sich um und verließ den Saal; Todesstille folgte ihr nach . . . ein tiefes Erstarren rings umher.

      Zwei Tage nachher sprach das Tribunal das Wort: »Schuldig!« über die Elende aus.

      14.

       Inhaltsverzeichnis

      Herr Bertollon war schon längst genesen. Er war heiterer als sonst. Am Abend vor dem Gerichtstage, an welchem das Urteil über Madame Bertollon gefällt werden sollte, war ich bei ihm. Wir zechten fröhlich; um Mitternacht saßen wir noch hinter den Weingläsern und schworen uns im tollsten Rausche ewige Freundestreue bis in den Tod.

      »Höre, Colas!« sagte er. »Kennst Du Klementine de Sonnes?«

      Ich wurde rot. Wein und Freundschaft entrissen mir das heilige Geheimnis. Bertollon lachte ausgelassen und rief einmal über das andere: »Aber Närrchen, Du mit Deiner himmlischen Tugend wirst überall geprellt! Sei doch nur einmal vernünftig – Warum hast Du mir's nicht schon längst gesagt? Sie wäre jetzt schon Deine Verlobte! Nun, Du sollst sie haben! Da hast Du meine Hand! Mit Klugheit unterjochen wir die Welt, warum nicht ein Mädchen oder eine stolze Familie? Denn ich merke schon, daß Klementine Dir keinen Korb geben würde.«

      Ich fiel entzückt meinem Freunde um den Hals. »O wenn Du das könntest, Bertollon, wenn Du das könntest! Du machtest mich glücklich, Du machtest mich zum Gott!«

      »Desto besser! Denn ich bedarf noch eines göttlichen Beistandes zu einem Plänchen. Ein Mädchen, wie Deine Klementine, es hat eine auffallende Ähnlichkeit mit ihr, man sollte beide für Schwestern halten . . . ein solches Mädchen wohnt in Agde. Ihr Narren meinet, ich reise wegen der gesunden Luft, oder wegen Handelsspekulationen so fleißig nach Agde hinüber! Nein, ich liebe das Mädchen, unaussprechlich liebe ich's; so hat mich noch kein Weib gefesselt! Sobald ich meine Frau los bin, halte ich um die Venus von Agde an.«

      »Wie, Bertollon?« rief ich erstaunt. »Du willst Dich wieder vermählen?«

      »Wie anders? Siehst Du, ich meinte anfangs, Du würdest mit meiner Frau einen Roman in bester Form spielen; ich meinte, Du liebtest sie wirklich, und dann hätte ich sie Dir abgetreten, und wir würden uns darüber verständigt haben. Es wäre mir gerade lieb gewesen. So hätte es nachher nicht Teufels Lärmen vor Pontius und Pilatus gegeben, und mit dem Gifte hätte es mir fast übel gehen können!«

      »Aber wie denn, Bertollon, ich verstehe Dich nicht?«

      »Ich muß Dir nur sagen, Du Närrchen, als ich in Abwesenheit meiner Frau abends heimlich ihre Sachen durchstöberte – lach' nur, Du siehst, ich habe Dir mit Deiner Tugend damals nicht ganz getraut – da glaubte ich, Ihr würdet Liebesbriefe, klägliche und zärtliche, mit einander wechseln. Und der Blitzkerl, der lahme Jacques, kam gerade die Treppe herunter, und sah mich aus dem Zimmer meiner Frau schleichen, als ich ihr den tollen Streich gespielt hatte. Der dumme Maulwurf aber schoß vorbei und grüßte ehrerbietig.«

      »Welchen Streich denn? Du schwatzest wunderlich durcheinander. Trink, Du sollst leben!«

      »Und Du auch, Colas! Du hast Deine Sache gut gemacht. Bist ein goldner Bursche! Ich wette, Du hättest Deine Reden nicht halb so schön vor dem Tribunal gegen meine Frau gehalten, wenn Du gewußt hättest, daß ich selbst das Gift, freilich nur wenig, in die Essenz gethan.«

      »Nein, wahrhaftig nicht, lieber Bertollon!«

      »Nun, eben deswegen war's klug von mir, Dir vorher nichts zu sagen. Jetzt thut's keinen Schaden mehr. Aber was denkst Du