Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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dürren Blumen, welche einst unter ihren zarten Fingern geblüht hatten. Ich wollte mich der Thränen schämen, die mir getäuschte Hoffnung in's Auge trieb, und doch ward mir durch sie leichter.

      Der Kranz und der schmale Teil des prächtigen Hauses de Sonnes sollten nun den Winter hindurch wieder die stummen Zeugen meiner Freuden, meiner Hoffnungen werden. Vielleicht führt der Frühling mit seinen Blüten auch sie nach Montpellier! sagte ich zu mir und sah hinüber nach dem Palast, der sie dann aufnehmen sollte.

      Da stand an einem der hohen Fenster drüben eine weibliche Gestalt, in schwarzen Flor gehüllt, den Rücken gegen mich gewandt. Meine Pulse stockten, mein Athem verging, meine Augen verdunkelten sich. Es kann nur Klementine sein! dachte ich, aber ich war, im Fenster liegend, kraftlos zusammengesunken, und hatte weder den Mut, noch die Macht, aufzusehen und Überzeugung zu suchen. Als ich meine Kräfte wieder gesammelt hatte, richtete ich mich empor, und warf zitternd einen Blick hinüber. Ihr Gesicht, vom schwarzen Schleier umweht, war mir zugewandt. Die Lüfte spielten in des Schleiers Falten; er hob sich ich sah Klementinen und zwar in einem Augenblicke, wo ich ihre Aufmerksamkeit erregt zu haben schien. Ich schlug die Augen nieder. Eine nie empfundene Glut brannte in meinen Adern. Ich glaubte, vergehen zu müssen. Und als ich abermals hinübersah, war sie vom Fenster verschwunden, aber nicht vor meinem inneren Blick.

      »Sie ist's!« sagte mein Herz, und ich stand auf der Höhe irdischer Seligkeit, einsam, nur Klementinens Bild vor mir.

      Es war Klementine. Am Abend strahlten die Fenster erleuchtet; ich sah ihren Schatten daran vorüberschweben. Als es spät ward, nahm ich die Harfe, und bei ihren Tönen besänftigten sich allmälich meine Gefühle.

      Am andern Morgen erwachte ich spät. Schlummerlos war mir die Nacht verflogen. Als ich an das Fenster trat, lag Klementine im Morgengewande schon im ihrigen. Ich verneigte mich gegen sie – mein Gruß ward kaum merklich erwidert. Aber sie sah doch wieder freundlich auf. So lange sie da lag, war auch ich an's Fenster gebannt. zuweilen begegneten sich unsere schüchtern vorüberstreifenden Blicke. Meine Seele redete zu ihr, und mir war es, als vernähme ich leise Antworten.

      Am Abend nahm ich die Harfe aus dem Winkel und ließ die Saiten rauschen. Ich spielte die Leiden des Grafen Peter von Provence und der geliebten Magelone, damals eine der neuesten und rührendsten Balladen, voll ausdrucksvoller Melodie. Als ich die erste Strophe beendet hatte, und die Hände einen Augenblick ruhten, gaben Harfenklänge laut denselben Gesang in der Stille der Nacht leise zurück. Wer konnte es anders sein, als Klementine, die das Echo meiner Empfindungen werden zu wollen schien? Als sie geendet hatte, hob ich nun wieder an. So wechselten wir gegenseitig. Musik ist die Sprache der Seele. Welch' eine unnennbare Wonne für mein Herz: Klementine würdigte mich des Gesprächs!

      Ach tausend namenlose Kleinigkeiten, die nur ihren unermeßlichen Wert durch den Sinn empfangen, in welchem sie gegeben und angenommen werden, muß ich verschweigen: allein sie sind unvergessen. Die bloße Erinnerung an den schönen, längst verflogenen Jugendtraum ist noch immer entzückend schön.

      Und so dauerte der Traum zwei Jahre lang. Zwei Jahre lang sahen wir uns schweigend und liebend, und redeten zusammen durch Saitenstimmen, und näherten uns nie. Ich kannte die Kirche, in der sie betete. Da war auch ich, und betete mit ihr. Ich wußte die Tage, wann sie, von ihrer Mutter und ihren Freundinnen begleitet, unter schattigen Bäumen lustwandelte; da war auch ich. Ihr Blick erkannte mich dann und belohnte mich schüchtern.

      Ohne einander in diesem langen Zeitraume gesprochen zu haben, waren wir nach und nach die innigsten Vertrauten geworden. Wir entdeckten uns unsere Freude und unsern Kummer; wir baten und gewährten, und hofften und fürchteten, wir schworen einander Gelübde, und brachen sie nie. Niemand ahnte den Umgang unserer Seelen, unsere schuldlose Vertraulichkeit. Nur Herrn Bertollons Güte setzte mich oft in Gefahr, meine Freuden alle einzubüßen. Er wollte durchaus mir bessere Zimmer einräumen; nicht ohne Mühe erkämpfte ich mir den ferneren Besitz des Dachstübchens.

      8.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Madame Bertollon von ihrem Landhause zurückgekommen war, stellte mich ihr der Gemahl vor.

      »Hier,« sagte er, »ist Alamontade, ein Jüngling, den ich als meinen Freund liebe, und dem ich nichts wünsche, als daß er auch der Ihrige werde, Madame!«

      Man hatte nicht zu viel von ihr gesagt. Sie war sehr schön, kaum zwanzig Jahre alt, und konnte den Malern als Ideal zu Madonnen dienen. Eine angenehme Schüchternheit verschönerte sie umsomehr, je weniger die meisten ihres Geschlechts und Standes in Montpellier auch nur die feine Bescheidenheit kannten, ohne welche die Anmut allen Zauber verliert. Sie sprach wenig, aber gut. Sie schien kalt, aber die Lebhaftigkeit und Klarheit ihrer Blicke verrieten ein gefühlvolles Herz, einen regen Geist. Sie war die Wohlthäterin aller Armen, und die ganze Stadt ehrte sie. Von ihrem Gemahl vernachlässigt, von jungen, schönen Männern aus den ersten Familien angebetet wußte dennoch die Verleumdung keinen Schatten in der Reinheit ihrer Sitten zu entdecken. Sie führte ein fast klösterlich eingezogenes Leben. Ich selbst sah sie nur selten. Erst im letzten Jahre meines Besuchs der Hochschule gab eine Krankheit ihres Mannes Anlaß, daß wir uns öfters in seinem Zimmer beisammen fanden.

      Die zärtliche Besorgnis um die Gesundheit des Herrn Bertollon war in allen ihren Zügen zu lesen. Sie war unaufhörlich um ihn beschäftigt. Sie bereitete ihm die Arzneien; sie las ihm vor, und als die Krankheit auf der entscheidenden Höhe stand, wich sie nicht von seinem Lager; durch anhaltende Nachtwachen zerstörte sie ihre eigene Gesundheit. Herr Bertollon blieb sich, als er genas, in seinem kalten, höflichen Betragen gegen sie gleich. Ihre Güte blieb unerwidert. Sie schien seine Gleichgültigkeit tief zu empfinden und entfernte sich nach und nach in demselben Verhältnis wieder von ihm als seine Gesundheit zunahm.

      Ich hörte inzwischen nicht auf, den Umgang mit Madame Bertollon in öfteren Besuchen fortzusetzen. Ich glaubte zu bemerken, daß sie Vergnügen an der Unterhaltung mit mir fände. Immer war sie die Stille, Duldende, Sanfte,

      »Sie sind Bertollons erster Freund und Vertrauter,« sagte sie einmal, als sie an meinen Arm gelehnt im Garten auf und nieder ging, »ich betrachte Sie auch als meinen Freund und Ihr Charakter giebt mir ein Recht auf Ihre Güte. Reden Sie offenherzig, Alamontade! Sie wissen es: Warum haßt mich Bertollon?«

      »Er haßt Sie nicht, Madame! Er ist voll Hochachtung für Sie. Hassen? Er müßte ein Ungeheuer sein, wenn er das könnte. Nein, er ist ein edler Mensch! Er kann niemanden hassen.«

      »Sie haben wohl recht. Er kann niemanden hassen, weil er niemanden lieben kann. Er gehört weder der ganzen Welt, noch jemanden; die ganze Welt und jeder gehört nur ihm an. Nie hat wohl die Erziehung ein gefühlreicheres Herz und einen talentvolleren Kopf vergiftet als bei ihm.«

      »Sie urteilen vielleicht zu hart, Madame!«

      »O das gebe der Himmel! Ich bitte Sie, bekehren Sie mich!«

      »Ich Sie bekehren? Nicht doch, Madame! Beobachten Sie Ihren Gemahl, und Sie werden Ihre Meinung ändern.«

      »Ihn beobachten? Das that ich stets, und immer blieb er derselbe.«

      »Wenigstens ein guter, liebenswürdiger Mensch.«

      »Liebenswürdig? Er ist's. Er weiß es und bemüht sich, es zu sein; aber leider nicht um andere, sondern nur um sich zu beglücken. Ich kann ihn eben deswegen auch nicht gut nennen, wiewohl er auch nicht schlecht ist.«

      »Gewiß, Madame, verstehe ich Sie nicht ganz! Aber erlauben Sie, daß ich Ihr Vertrauen mit Vertrauen erwidern darf! Nie habe ich zwei Menschen gekannt, die so sehr verdienten, glücklich zu sein, und so sehr geeignet wären, es mit einander zu werden, als Sie und Ihren Gemahl. Und doch stehen beide von einander getrennt da! Gewiß, ich will glauben, in der Welt genug gelebt und gethan zu haben, wenn ich Sie beide mit einander aufs innigste habe verbinden und Ihre entfremdeten Herzen zusammenführen können!«

      »Sie sind sehr gütig. Aber ungeachtet die Hälfte Ihrer Arbeit schon gethan ist, denn mein Herz eilte längst dem seinigen nach,