Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Eine sein. Sie, Alamontade, sind der Erste, dem Bertollon so ganz und gar sich hingiebt, an den er sich so fest klammert! Versuchen Sie es, ändern Sie meines Mannes Denkart!«

      »Sie scherzen! Ihn ändern? Welche Tugend verlangen Sie, die Bertollon noch ausüben soll? Er ist großmütig, bescheiden, der Beschirmer der Unschuld, von immer gleicher Laune, ohne hervorstechende Leidenschaft, gemeinnützig, freundschaftlich.«

      »Sie haben recht, das alles ist er.«

      »Und wie soll ich ihn ändern?«

      »Machen Sie ihn zum bessern Menschen!«

      »Zum bessern Menschen?« erwiderte ich erstaunt und blieb stehen, und sah der schönen Frau mit einer sonderbaren Verlegenheit in die von einer Thräne benetzten Augen. »Ist er denn böse? Ist er lasterhaft?«

      »Das ist Bertollon nicht,« antwortete sie, »aber er ist nicht gut.«

      »Und dennoch, Madame. geben Sie zu, daß er all die schönen Eigenschaften besitzt, die ich vorhin an ihm rühmte? Fordern Sie nicht vielleicht zu viel von einem Sterblichen?«

      »Was Sie an ihm gerühmt haben, Alamontade, habe ich nicht abgeleugnet! Aber es sind nicht seine Eigenschaften, es sind nur seine Werkzeuge. Er thut viel Gutes, aber nicht weil es das Gute ist, sondern weil es ihm vorteilhaft ist. Er ist nicht tugendhaft, sondern klug. Er sieht in allen Handlungen nur das Nützliche und Schädliche, nie das Gute und Böse. Er würde ebenso gern die Hölle als den Himmel zur Erreichung seiner Absichten in Bewegung setzen. Sehen Sie, Alamontade, das ist mein Mann! Er kann mich nicht lieben, denn er liebt nur sich. Mit eherner Beharrlichkeit verfolgt und erreicht er seine Ziele. Er ist der Sohn einer angesehenen Familie, die aber von der Höhe des alten Wohlstandes herabgesunken war. Er wollte reich sein, ward Kaufmann, verschwand in entlegene Gegenden und kam als Herr einer Million zurück. Er wollte seinen Wohlstand durch eine Verbindung mit einem der angesehensten Geschlechter dieser Stadt sichern. Ich ward sein Weib. Er wollte Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten haben, ohne den Neid zu wecken: er ward volkstümlich und schlug die ersten Ehrenstellen aus. Nichts ist ihm bei seiner Art zu denken unerreichbar. Er kennt keine Heiligkeit. Er überwältigt alles; niemand ist ihm stark genug, weil jeder durch irgend eine Neigung, Leidenschaft oder Meinung schwach ist.«

      Dies Gemälde von Bertollons Denkart erschütterte mich. Ich fand es in allen Zügen dem Urbilde entsprechend. Noch nie hatte sich das alles in mir zur deutlichen Vorstellung erhoben, obschon es dunkel in meiner Empfindung lag. Ich entdeckte die ungeheure Kluft, welche die Herzen beider Gatten trennte, und verzagte daran, sie beseitigen zu können.

      »Aber, Madame,« sagte ich und drückte gerührt die Hand der schönen Unglücklichen, »verzweifeln Sie nicht! Ihre ausdauernde Liebe, Ihre Tugend wird ihn endlich fesseln.«

      »Tugend? O lieber Alamontade, was darf man von einem Manne hoffen, der die Tugend eine Schwäche oder Einseitigkeit des Charakters, oder Sprödigkeit des Sinnes nennt, der die Religion nur für ein Machwerk der Kirche und Erziehung hält, womit die Phantasie der Blöden voll kindischen Eifers ihr Spiel treibt!«

      »Er hat aber doch ein Herz, der Mann!«

      »Er hat ein Herz, aber er hat es nur für sich und nicht für andere. Er will geliebt sein, ohne dafür hingebend zu sein. Ach, und kann man einen solchen lieben? Nein, Alamontade, die Liebe fordert mehr! Sie giebt sich ganz dem Geliebten hin, und lebt in ihm, und ist ihrer selbst nicht Herrin. Sie rechnet nicht, sie sorget nicht, sie wagt's darauf, ob endlich Treue sie beseligt oder Verrat sie tötet. Aber hoffnungslos will sie nicht sein. Sie begehrt des andern Herz, und eben darin liegt ihr Himmelreich.«

      9.

       Inhaltsverzeichnis

      »Und eben darin liegt ihr Himmelreich!« seufzte ich, als ich in meinem Zimmer stand und Klementinens gedachte.

      Ich nahm den dürren Kranz herab und hing ihn auf die Harfe. Er war mir bisher das heilige Unterpfand von Klementinens Huld gewesen. Hatte sie nicht selbst ihn auf meine Brust geworfen, die das liebende Herz birgt? Schien sie nicht damals mit eigener Hand dies krönen zu wollen? Wäre es nur kindliche Tändelei gewesen? . . . Ach, hätte es ihr gleich gegolten, ob es eine Dornenkrone oder ein Blütenkranz war, mit dem sie das Herz umzog?

      Sie war am Fenster. Ich hob den Kranz empor und hielt ihn gegen meine Lippen. Sie schien ihn zu erkennen. Sie verbarg ein Lächeln und lehnte sich an das Fensterbrett, sah hinab in die Straße und nicht wieder zu mir herüber.

      Diese Antwort stürzte mich in eine unaussprechliche Unruhe. Mir war es, als schäme sie sich der Erinnerung, dies Geschenk mir einst gereicht zu haben. Jetzt war es mir plötzlich klar, was ich forderte, was ich hoffte. Ich sehnte mich nach dem Unmöglichen. Nie hatte ich mir Klementinen als Gattin gedacht. Ich liebte sie nur und wünschte von ihr geliebt zu sein. Aber Gattin? Ich, der arme Sohn eines in Schulden verstorbenen Bauers, ich, der noch selbst mit der Dürftigkeit zu kämpfen hatte und nur eine ungewisse Zukunft vor mir hatte . . . ich forderte Montpelliers reichste Erbin? Mein stolzer Mut sank. Ich liebte Klementinen, verzieh es ihr jedoch, wenn sie mich nicht mit Gegenliebe belohnen konnte. Ich sah es ein, daß ich die Verhältnisse des gesellschaftlichen Lebens nicht aufheben könnte, und war im Grunde auch zu stolz, um mein äußeres Glück durch eines Weibes Hand zu machen.

      Eifriger lag ich fortan den Wissenschaften ob. Ich wollte mir durch eigene Kraft den Weg zu Klementinens Höhe bahnen. Nächte durchwachte ich unter meinen Büchern. Ich wollte das unbefangene Urteil der Kenner über meine Anlagen hören, und ließ doch ohne Namensnennung ein Werk über die Rechtspflege der älteren Nationen und zugleich eine Sammlung von Gedichten drucken, von denen mir die geheime Liebe einen bedeutenden Teil in die Feder diktierte. Die Veröffentlichung meiner Arbeiten ward von unerwartet glücklichem Erfolg begleitet. Der laute Beifall erhob mein Selbstgefühl. Die Neugier enthüllte bald den Namen des Verfassers, und dieser erntete überall Lob. Das Gelingen meiner ersten Versuche zündete der Hoffnung erloschene Fackel wieder an, unter deren Licht ich, wenn auch in dämmernder Ferne, Klementinen als die meinige erblickte. Sie selbst lohnte mich am schönsten. Als mein Name schon bekannter geworden, las sie am Fenster einst in meinen Liedern. Auch ohne des Verfassers Namen zu wissen, konnte sie ihn ja aus hundert Zügen, die nur sie verstand, am leichtesten erraten. Sie sah herüber, lächelte und legte das Buch an ihre Brust, als wollte sie mir zu verstehen geben: Ich hab' es lieb, und was Du darin sprachst, hast Du zu dieser Brust gesprochen, und sie empfindet es und ist voll stillen Dankes.

      Ich nahm noch einmal den verdorrten Kranz, den ich so oft besungen. Sie lächelte. verbeugte sich und sah nicht mehr herüber.

      Niemand aber war entzückter durch den mir gezollten Beifall, als mein Freund Bertollon. Er schloß sich immer inniger und vertraulicher mir an. Wir betrachteten uns als Brüder. Er gab sich mir ganz hin und bewies in tausend Dingen, daß er auch ein Herz für andere habe. Er ließ keinen Tag entfliehen, ohne eine gute That verrichtet zu haben. Ich selbst erfuhr nur immer durch Zufall bald diese, bald jene seiner schönen Handlungen.

      O, Bertollon! rief ich einst, indem ich ihn mit Heftigkeit an mich drückte, welch ein Mensch bist Du! Warum muß ich Dich ebenso beklagen, als bewundern!

      Du thust in beidem zu viel, denn ich verdiene weder das eine, noch das andere, antwortete er mit freundlichem Lächeln.

      Nein, Bertollon, das ist das Beklagenswerte, daß Du gut und tugendhaft bist, ohne es sein zu wollen! Du nennst die Tugend Schwärmerei und Einseitigkeit, und doch übst Du unaufhörlich ihre Vorschriften.

      Gut, Alamontade, sei damit zufrieden! Warum mühst Du Dich doch immer an meiner Bekehrung ab? Sobald Du älter wirst, seh' ich Dich in meinen Fußtapfen. Für jetzt sei wenigstens duldsam! Vielleicht ist es dasselbe Kind unter verschiedenen Namen.

      Ich zweifle. Könntest Du Dich freiwillig ins Elend stürzen, Bertollon, um die gerechte Sache zu erhalten?

      Was nennst Du gerechte Sache? Deine Begriffe sind nicht klar.

      Wenn Du Montpellier durch eigene Aufopferung vom