Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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      Als wir von einander schieden, hatten wir verabredet, ich solle nicht weiter als eine Stunde von Montpellier reisen. Auf dem Landgute bei Castelnau sollte ich wohnen, und nur zuweilen zum Besuch in die Stadt kommen.

      12.

       Inhaltsverzeichnis

      Ohne Zögern führte ich meinen Vorsatz aus, so sehr auch Herr Bertollon dagegen war. Er mußte endlich meinen Bitten nachgeben. Ich reiste ab, ohne auch nur den Abschiedsbesuch bei Madame Bertollon zu wagen.

      In der Stille der ländlichen Natur genas ich bald von dem Liebesrausche. Ich fühlte es, daß ich Madame Bertollon nie wahr und rein geliebt hatte, und verabscheute mich selbst, ihr Gefühle vorgeheuchelt zu haben, die mir nicht beiwohnten. Es war nichts, als ein betäubender Rausch gewesen, der erst durch die unglückliche Liebe entstanden war, welche die schöne Frau mir nicht verbergen konnte. Sie allein war zu beklagen, und meine Pflicht ward es, ihr den verlorenen Frieden wieder zu geben.

      Es verstrichen vier Wochen. Bertollon allein besuchte mich. Er kam oft. »Denn ich kann nicht ohne Dich leben, und doch fesseln mich meine Geschäfte an die unselige Stadt!« sagte er.

      Eines Morgens ward ich durch den Bedienten früh geweckt. »Herr Larette ist draußen, er will Sie schlechterdings sogleich sprechen!« sagte er, und Larette, einer von Bertollons Freunden, trat zu gleicher Zeit blaß und verstört herein.

      »Stehen Sie auf,« rief er, »und kommen Sie sogleich nach Montpellier!«

      »Was giebt's?« fragte ich erschrocken.

      »Stehen Sie auf, kleiden Sie sich an! Sie haben keinen Augenblick zu säumen. Bertollon ist vergiftet und liegt auf den Tod danieder.«

      »Vergiftet?« stammelte ich und sank fast ohnmächtig im Bette zurück.

      »Nur hurtig! Er wünscht Sie noch zu sehen. Ich bin auf seinen Befehl hierher geeilt.«

      Ich warf mir zitternd meine Kleider über. Kraftlos folgte ich ihm zur Thür. Ein kleiner Wagen stand bereit. Wir setzten uns hinein und flogen den Weg nach Montpellier hinaus.

      »Vergiftet?« fragte ich wieder unterwegs.

      »Freilich!« erwiderte Larette. »Doch schwebt über der Begebenheit ein unbegreifliches Dunkel. Ein Kerl, der das Gift aus dem Spezereiladen geholt, ist im Gefängnis. Auch Madame Bertollon wird in ihren Zimmern bewacht.«

      »Madame Bertollon? Bewacht? Warum bewacht? Wer läßt sie bewachen?«

      »Der Magistrat.«

      »Der Magistrat? Bildet sich die Polizei von Montpellier solche Raserei ein? Glaubt der Magistrat, Madame Bertollon könne ihren Gatten vergiftet haben?«

      »Er glaubt's, und jedermann . . . Der Kerl, Valentin, er . . .«

      »Wie? Valentin, der alte, treue Hausknecht, die ehrlichste Haut unter der Sonne?«

      »Nun, er hat ausgesagt, das Gift auf Befehl der Madame Bertollon vor ungefähr acht Tagen geholt zu haben. Und auf diese Aussage des Knechtes hat Madame Bertollon bei ihrer Vernehmung es ohne weitere Umstände eingestanden. Da haben Sie alles.«

      »Eingestanden? Ich bin wie von Sinnen, denn ich verstehe Sie nicht. Was hat sie eingestanden?«

      »Daß Valentin ihr das Gift habe holen müssen.«

      »Entsetzlich! Und auch, daß sie es sei, die ihren eigenen Mann umgebracht, vergiftet hat?«

      »Wer gesteht denn so was ein? Übrigens ist es leider der Fall. Bertollon fühlte gestern früh wieder seine gewöhnliche Unpäßlichkeit; Sie wissen, er ist zuweilen dem Schwindel unterworfen. Er hat seine Gemahlin ersucht, da sie in ihrem Zimmer eine kleine Hausapotheke besitzt, ihm die gewöhnlichen Magentropfen zu geben, eine sehr kostbare Essenz, die Madame Bertollon ihm in einem blauen, vergoldeten Glasfläschchen brachte. Sie selbst goß die Arznei in den Löffel, that Zucker hinzu, und reichte sie ihrem Mann. Nach einer Weile empfand er schon das heftigste Schneiden in den Eingeweiden. Der Arzt kam. Man erkannte die Wirkungen des Giftes. Man fand davon noch Spuren in der Essenz, die im Löffel geblieben. Der Arzt that sein Möglichstes, ihn zu retten. Er forderte die Essenz zur Untersuchung. Madame Bertollon ward empfindlich, und fragte, ob man glaube, sie sei eine Giftmischerin? Endlich, da sie nicht länger, ohne Verdacht zu erregen, die Auslieferung des Fläschchens verweigern konnte, übergab sie es. Unterdessen waren mehrere Ärzte, sowie auch ein Abgeordneter der Polizei, herbeigeeilt. Die Geschichte war ruchbar geworden. Der Spezereihändler erinnerte sich des an Valentin verkauften Giftes und zeigte es dem Polizeiamt an. Valentin ward auf der Stelle festgenommen. Er berief sich auf seine Gebieterin und deren Befehl. Madame Bertollon ward obrigkeitlich befragt. Sie sank ohnmächtig hin. Man forderte ihr die sämtlichen Schlüssel ab, untersuchte ihren Arzneischrank, und fand das vom Spezereihändler wieder erkannte Gift; nur fehlte davon ein Teil. Inzwischen war die Essenz im blauen Fläschchen geprüft, und Gift darin entdeckt worden. So stehen die Sachen. Denken Sie nun davon, was Sie wollen, mein Herr!«

      Ich schauderte und sprach keine Silbe. Ich erblickte in dem Ganzen einen gräßlichen Zusammenhang, den weder Larette, noch ein fremder wahrnehmen konnte. Sie liebte mich mit einer fürchterlichen Stärke; unsere Trennung erhöhte ihre Leidenschaft, statt sie zu brechen. So verfiel sie auf den verruchten Plan, sich ihres Gemahls zu entledigen.

      Wir kamen in Montpellier an. Ich wollte in das Zimmer meines teuern Wohltäters. »Lebt er noch?« rief ich schon unten an der Treppe. Man gebot mir flüsternd, mich still zu verhalten. Man wehrte mir den Eingang in sein Gemach. Er war in einen sanften Schlummer gesunken, der ihm wohlthun und ein beruhigendes Zeichen seiner Rettung sein sollte.

      »Und wo ist Madame Bertollon?« frug ich.

      Man antwortete mir, sie habe diesen Morgen in aller Frühe das Haus verlassen, und sei zu ihren Verwandten gezogen, wo sie, gegen gerichtliche Bürgschaft ihrer ganzen Familie, häusliche Haft erhalten habe.

      13.

       Inhaltsverzeichnis

      Ganz Montpellier ward durch diese außerordentliche Begebenheit erschüttert. Bertollons allmähliche Genesung durch die Kunst der Ärzte erregte in allen Häusern die lebhafteste Freude. Ich wich nicht mehr vom Krankenlager meines geliebten Freundes, den ich als meinen Bruder, als meinen Vater verehrte.

      Unterdessen war der Prozeß gegen die Gattin Bertollon's anhängig gemacht worden, aber der berühmteste Advokat von Montpellier, Herr Menard, erbot sich gegen die Familie der Angeklagten aus freien Stücken, ihr gerichtlicher Verteidiger zu werden. Menard hatte noch keinen Rechtshandel verloren. Der Zauber seiner Beredsamkeit besiegte alles: wo er den Verstand nicht überzeugen konnte, wußte er ihn mit unauflöslichen Zweifeln zu umstricken, und dann alle Gefühle des Herzens wider ihn in Aufruhr zu bringen.

      »Ich verlange nichts,« sagte Bertollon, »als daß man mich von der Giftmischerin auf ewig trenne. Ich dringe auf keine andere Bestrafung ihres mißlungenen Versuchs. Ihr eigenes Gewissen und die öffentliche Verachtung sind für sie Strafe genug. Menard ist, ich weiß es, mir persönlich abhold. Er war einmal mein Nebenbuhler. Ich sehe voraus, daß er durch seine Kunstgriffe Richter und Volk dermaßen verwirren und verblenden wird, daß meine schändliche Frau noch mit Triumph aus dem Handel geht.«

      »Das wird er nicht!« rief ich mit Wärme. »Ich bitte Dich, Bertollon, obgleich ich ein Anfänger bin und nie vor Gerichten sprach, übergieb mir Deine Angelegenheit. Vertraue mir und der gerechten Sache! Es thut mir gar nicht weh', gegen eine Frau vor das Tribunal zu treten, die ich einst Freundin nannte, und die mich mit verbrecherischen Gefälligkeiten überhäufte. Du bist mein Bruder, mein Wohlthäter, Deine Sache ist eine heilige!«

      Bertollon lächelte, aber er äußerte mir zugleich seine Besorgnis, daß ich der Gewandtheit meines Gegners nicht gewachsen