Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Nicht so, Colas? Denn nun stellte ich mich den andern Morgen krank am Schwindel, und ließ es meiner Frau sagen, die mir eigenhändig nach ihrer Weise die Essenz brachte. Der Arzt ward auch bestellt, und so konnte gleich dem Gift entgegengearbeitet werden. Ich hatte aber nur eine kleine Portion hinein gethan.«

      »Aber, Bertollon, was redest Du da? So wäre ja Deine Frau ganz unschuldig?«

      »Das ist gerade das Lustigste an der Sache, und Du hast Dir die Kehle für nichts und wieder nichts wund gemacht Aber trink nur, das heilt wieder! He, es war ein kecker Streich von mir? Meine Frau muß glauben, sie sei rein behext. Denn sie weiß nicht, daß ich zu allen ihren Schränken den besten Dietrich habe.«

      »Aber« . . . sagte ich, und das Entsetzen machte mich plötzlich nüchtern.

      »Daß davon keine Seele erfährt! Du, Colas, bist mein einziger Vertrauter, siehst Du, und es hätte noch übel ablaufen können! In der Eile stieß ich im Arzneischrank ein Fläschchen roten Liqueurs um, und vergaß, es aufzurichten. Kurzum, Colas, ich bin glücklich! Du sollst es auch sein! Ich schwöre Dir, an dem Tage, wo ich Julien heirate, feierst Du auch Deine Vermählung mit Klementinen. Aber was ist Dir? Du wirst, meiner Seele, ohnmächtig. Nimm da das Wasser! Der Champagner bekommt Dir doch nie!«

      Er legte seinen Arm um mich, während er mir mit der andern Hand das Glas reichte. Ich drängte ihn schaudernd zurück. Ich war betäubt von dem, was ich gehört hatte.

      »Geh' schlafen!« sagte er.

      Ich verließ ihn. Er taumelte mir lachend nach.

      15.

       Inhaltsverzeichnis

      Mitternacht war schon längst vorüber; der Morgen nahe. In meine Augen drang kein Schlaf. Ich entkleidete mich nicht einmal, sondern lief in heftiger Bewegung mein Zimmer auf und ab. Welch eine Nacht! Was hatte ich erfahren müssen? Ich konnte noch nicht an ein so scheußliches Verbrechen glauben, wider das sich die Natur sträubt. Ein unschuldiges, tugendhaftes Weib, welches den Gatten nie beleidigt hatte, in Gefangenschaft und lebenslängliche Entehrung zu stürzen! Den Freund zu mißbrauchen, den höllischen Einfall zu verfechten, und die Unschuld mit Foltern grausamer als der Tod zu quälen! –

      Der Morgen war angebrochen, und ich war noch immer unentschlossen. Gerettet mußte die Unschuld werden; aber ihre Rettung war der Untergang meines Wohlthäters, meines ersten, meines einzigen Freundes; nur ein Übermaß seiner Liebe zu mir und im Weinrausch hatte ihm das entsetzliche Geständnis entlockt – sollte ich hingehen, ihn zu verraten? Er war der Schöpfer meines Glückes; sollte die Hand, welche von ihm unzählige Almosen empfangen, ihn undankbar in den unermeßlichen Abgrund stürzen? Ach und den ich noch immer liebte, den Einzigen, sollte ich verlieren!

      »Unselige Verkettung der Begebenheiten!« seufzte ich. »Warum mußte ich das Werkzeug werden, entweder die Unschuld in Fesseln zu schlagen, oder meinen Wohlthäter zu morden?«

      Aber mein Gewissen rief: »Sei gerecht, ehe Du gütig sein willst! Welches auch immer die Folgen unserer Handlungen sein mögen, die wir pflichtmäßig üben – und müßten wir uns selbst zerstören – nichts darf uns zurückhalten, wenn es die Tugend gilt. Stürze immerhin in Deine Armut zurück und gehe einsam und freundlos durch die Welt, nur rette Deine Selbständigkeit und trage in Dir das stille Bewußtsein: Du handeltest, wie Du als ein Gerechter solltest! Es ist ein Gott, sei rein wie er!«

      Ich schrieb an den Polizeibeamten des Stadtviertels, sich sogleich wegen höchst dringender Angelegenheit zu mir zu begeben. Er kam. Ich begab mich in Bertollons Zimmer und der Beamte blieb draußen vor der Thür.

      Bertollon schlief noch. Ich zitterte. Liebe und Mitleid überwältigten mich. »Bertollon!« seufzte ich und küßte ihn.

      Er erwachte. Ich ließ ihn unter gleichgültigen Gesprächen munter werden. »Sage mir,« sprach ich endlich, »ist Deine Frau wirklich unschuldig? Hattest Du wirklich selbst die Essenz vergiftet?«

      Er sah mich mit einem stieren, durchbohrenden Blick an und antwortete: »Schweig!«

      »Aber, Bertollon, diese Antwort ist ja eine Bestätigung Deiner nächtlichen Aussage. Ich beschwöre Dich, Freund, beruhige mich. Hast Du alles wirklich ausgeführt? Oder wolltest Du mich nur . . .«

      Bertollon richtete sich auf und sagte: »Colas, ich hoffe, Du bist gescheit!«

      »Aber rede doch! Bertollon, heute wird das Obergericht über Deine Gattin das Urteil fällen! Laß die Unschuld nicht verderben!«

      »Bist Du rasend, Colas? Hättest Du Lust, der Verräter Deines Freundes zu werden?«

      Indem er dies sagte, oder vielmehr stammelte, sah ich ihn in starker Bewegung. Er war sehr bleich geworden, seine Lippen wurden bläulich, und sein Auge starrte gräßlich vor sich hin. Alles belehrte mich nur zu gewiß, daß er in der Nacht beim Rausche Dinge bekannt, vor denen er jetzt selbst erschrak, da er sich vor mir nicht mehr sicher sah.

      Ich legte meine Hand auf seine Achsel und flüsterte ihm ins Ohr: »Bertollon, kleide Dich an, nimm so viel Geld als möglich mit und flieh! Ich sorge für alles andere.«

      Mit einem tödlichen Blicke fragte er: »Warum?«

      »Flieh! sag' ich, noch ist es Zeit!«

      »Warum?« entgegnete er. »Hast Du im Sinn . . . oder vielleicht schon . . .«

      »Bei allem, was Dir lieb und heilig ist, fliehe, sage ich!«

      Indem ich ihm dies zuflüsterte, sprang er eilends auf, lief unangekleidet im Zimmer umher, als suche er etwas. Ich glaubte, er habe in der Bestürzung vergessen, daß seine Kleider neben dem Bette lagen. Während ich mich bückte, ihm dieselben zu reichen, fiel ein Pistolenschuß und das Blut stürzte über meine Brust herab.

      Die Thür sprang auf, der Polizeibeamte trat erschrocken herein. Bertollon, in der einen Hand die abgefeuerte Pistole, in der andern eine zweite, sah erstarrt die unerwartete Erscheinung.

      »Verruchter Hund!« schrie er mir mit der verzerrten Geberde der Verzweiflung zu, und schleuderte mir die abgeschossene Pistole mit Wut gegen den Kopf. Von neuem fiel ein Schuß. Bertollon hatte sich erschossen. Er taumelte auf mich zu. Ich fing ihn in meinen Armen auf. Sein Haupt war zerschmettert.

      Meine Sinne schwanden. Ich sank zu Boden und erwachte erst wieder auf meinem Zimmer unter der Geschäftigkeit der Ärzte und Bedienten. Meine Wunde, unter der linken Schulter, war untersucht, verbunden und ohne alle Gefahr.

      Alles war in großer Bestürzung. Mehrere von Bertollons Freunden standen vor mir. Jeder bestürmte mich mit Fragen. Ich machte mich von ihnen los, und sobald ich mich erholt, warf ich frische Kleider über und bestellte eine Sänfte, um nach dem Vernehmungsort des Obergerichts getragen zu werden. Bertollons Selbstmord war inzwischen stadtkundig geworden. Eine ungeheure Menge Volks umwogte das Haus. Sobald man erfuhr, daß ich mich ins Gericht begeben würde, folgte der neugierige Haufe meiner Sänfte nach. Schon war in einer geheimen Sitzung des Gerichts das Urteil über Madame Bertollon gefällt worden. In eben dem Augenblick, als sie in den Saal geführt wurde, um dasselbe vor dem versammelten Volke anzuhören, traf auch ich daselbst ein. Ich bat, angehört zu werden, weil ich wichtige Entdeckungen zu eröffnen habe. Die Erlaubnis zu reden ward mir erteilt. Eine Stille ging durch den weiten Saal, als wäre das Leben aus jeder Brust gewichen.

      »Ihr Richter,« sprach ich, »einst stand ich hier als ein Ankläger der Unschuld! Ich komme, sie zu retten, und ihr den gebührenden Triumph zu bereiten. Ich war getäuscht vom Schein der Umstände; getäuscht, gemißbraucht von meinem Freunde, und der Teilnehmer an einer Grausamkeit, ohne es zu wissen. Die Unglückliche, deren Urteil Ihr sprechen wollet, ist keiner Missethat schuldig!«

      Ich erzählte nun umständlich die Geschichte der vergangenen Nacht; erzählte den Selbstmord Bertollons und seinen Versuch, mir das Leben zu rauben. Neben mir stand der Polizeibeamte als Zeuge, und der lahme Jacques, welcher sich erinnerte, den Herrn Bertollon am Abend vor der Vergiftungsszene aus