Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

      16.

       Inhaltsverzeichnis

      Inzwischen hatten Madame de Sonnes und Klementine mich während meiner Krankheit oft besucht. Nicht wie einem Fremdling, sondern wie einem Bruder oder Blutsverwandten begegneten sie mir.

      Madame de Sonnes war eine sehr edle Frau, von lebhaftem Geist und feiner Erziehung. Sie schien nicht für sich, sondern nur für andere zu leben. Immer nur darauf bedacht, andern Freude zu machen, andern Dienste zu erweisen, wußte sie es so einzurichten, daß die, welche durch sie beglückt zu werden nicht verschmähten, ihre eigenen Wohlthäter zu sein schienen.

      Ihrer ganz würdig war Klementine, der Stolz ihres Geschlechts. Harmlose Unschuld und immerwährender Frohsinn waren ihr Wesen. Niemand konnte sich ihr nahen, ohne sie zu lieben. So schön hatte ich sie nie gesehen, nie geglaubt. Ihr Lächeln war begeisternd, ihr Blick sprach zum Herzen; die Anmut ihres Wesens war ideal. Vor allen ihren Freundinnen war sie durch so viel Liebenswürdigkeit ausgezeichnet, daß man immer nur sie bewunderte. Und von allen war sie die Bescheidenste; sie wußte von ihren eigenen Vorzügen nichts, und geriet in Entzücken, wenn sie dieselben an andern bemerkte. Man hätte wetten mögen, sie habe sich selbst noch in keinem Spiegel gesehen.

      Seitdem ich im Hause war, spielte sie die Harfe nicht mehr; sie war schüchterner als jemals in der Ferne; sie kam seltener zu mir als alle andern im Hause; sie sprach weniger mit mir als mit jedem andern, und doch sorgte sie am eifrigsten für mich; doch forschte sie am emsigsten nach meinen kleinen Wünschen, und in ihren Augen lächelte mir Freundschaft.

      Indem meine Liebe so zur unbesiegbaren Leidenschaft heranwuchs, wurden mir aber auch die tausend Hindernisse immer klarer, welche mir alle Hoffnung raubten, jemals durch sie glücklich zu werden. Ich war arm, und besaß nichts als einen guten Ruf, und das Vertrauen aller Redlichen. Wie wenig ist das in der großen Welt! Ich hatte zwar im Bertollon'schen Prozeß ein so allgemeines Ansehen gewonnen, daß die Zahl meiner Klienten täglich größer ward; allein wie lange hatte ich zu arbeiten, bis ich mir ein Vermögen erworben haben konnte, mit dem ich es wagen durfte, mich Klementinen zu nähern?

      Und täglich sah ich das holde Wesen, in ihrem Zimmer, in ihrem Garten, bald einsam, bald in Gesellschaften. Ach! sie konnte es wissen, wie sehr ich sie liebte! Mein Schweigen und mein Reden, mein Kommen und mein Gehen waren lauter Verräter meines Herzens.

      Immer beklommener, immer unruhiger ward ich mit jedem Tage. Nichts blieb mir übrig, als die Entfernung von ihr, um nicht namenlos unglücklich zu werden. Ich entschloß mich schnell zur Ausführung, mietete eine Wohnung und entdeckte Herrn de Sonnes meine Absicht.

      Er und seine Tante widersetzten sich vergebens; ich blieb standhaft gegen ihre Wünsche und Bitten. Nur Klementine erschien nicht und bat nicht, aber sie ward ernster und, wie ich zu bemerken glaubte, trauriger.

      »Sie sind sehr grausam!« sagte eines Tages Madame de Sonnes zu mir. »Was haben wir Ihnen Leides gethan, daß Sie uns so betrüben wollen? Sie nehmen den Frieden unseres sonst so glücklichen Hauses mit sich. Wir lieben Sie alle. Verlassen Sie uns nicht, ich beschwöre Sie!«

      Alle Ursachen, welche ich vorgab, um meine Entfernung zu rechtfertigen, reichten nicht aus, Madame de Sonnes zu beruhigen. Die einzige und die wichtigste durfte ich ihr freilich nicht entdecken. Sie sah in meinen Weigerungen nur hartnäckigen Eigensinn.

      »Wohlan!« sagte sie endlich. »Wir müssen uns wohl in Ihren Willen ergeben. Wir sind Ihnen gleichgültiger, als ich glaubte. Warum ist es nicht allen Menschen gegeben, die Freundschaft im Herzen nie tiefer wurzeln zu lassen als es eben nötig ist, um sie zu jeder Stunde, ohne Schmerz, wieder ausreißen zu können? . . . Klementine wird eben darum einst sehr unglücklich sein. Ich zittere, daß sie mir erkrankt.«

      Diese Worte trafen mich hart. Ich ward blaß und zitterte. »Klementine!« stammelte ich. »Erkranken?

      »Kommen Sie mit mir in mein Zimmer!« sagte Madame de Sonnes, ohne zu ahnen, was in mir vorging.

      Wir gingen. Sie öffnete die Thür und sagte zu ihrer Tochter: »Er will nicht. Überrede Du ihn!« Sie ließ uns allein, und ich näherte mich Klementinen.

      O welch ein Bild schöner Wehmut! Nie wird es in meinem Gedächtnis erlöschen. Die Schrecken eines endlosen Elends, welche mich in fremden Weltgegenden umgaben, konnten dem Andenken seinen Zauber und seine Frische nicht rauben. Da saß sie, in ihrem einfachen Hausgewande, reizend wie ein Engel des Paradieses, und die welkende Blüte blauen Flieders in ihrem Haare sah zwischen dem einfachen Schleier, der es umhüllte, hervor, als sollte sie das Sinnbild dessen sein, was sie am meisten bedurfte, des Schlummers – der Ruhe.

      Und als ich nun zu ihr trat, sah sie auf, und ihre freundlichen Augen lächelten mich unter Thränen an. Ich nahm ihre Hand, kniete vor ihr nieder, und seufzte: »Klementine!«

      Sie schwieg und lächelte nicht mehr.

      »Fordern Sie auch daß ich bleiben soll? Gebieten Sie nur, und ich will ja gern gehorchen, und würde ich auch noch unglücklicher.«

      »Noch unglücklicher?« entgegnete sie, und blickte mich fragend an. »Sind Sie denn bei uns unglücklich?«

      »Das wissen Sie nicht! Sie wollen nur Glück um sich verbreiten. Aber, Klementine, Sie gewöhnen mich zu früh an den Himmel. Wenn ich nun einmal früher oder später . . . dies alles, Ihren Umgang . . . verlieren sollte, Klementine, und es könnte doch die Zeit kommen . . . wie stände es dann um mich?« sagte ich, indem ich ihre Hand an mein laut pochendes Herz zog.

      »Trennen Sie sich nie von uns, so verlieren wir uns ja nicht!« antwortete sie.

      »Wollte Gott, daß ich mich nie von Ihnen trennen dürfte als im Tode!« rief ich.

      Sie sah gen Himmel, seufzte, bog sich über mich, und von ihrer Wange fiel eine heiße Thräne auf meine Hand.

      »Zweifeln Sie an der Dauer meiner Freundschaft?« fragte sie.

      »Habe ich ein Recht auf Ihre Freundschaft, Klementine? Und dies schöne Herz, ach! wird es nicht einst für einen andern lauter schlagen müssen als für mich? Und dann, Klementine, dann?«

      »Nie, Alamontade!« antwortete sie, stand schnell auf, und wandte sich ab, mit einem Antlitz, welches eine sanfte Röte überzog. Ich erhob mich. Ein unnennbares Entzücken berauschte mich. Ich zog sie in meine Arme. Ihr Busen flog im Sturme des Gefühls. Ihre Wangen glühten. Ihr Blick nannte mir das Wort, welches ihre Lippen nicht zu sprechen wagten.

      Unsere Seelen verschwisterten sich, und schlossen den ewigen Bund. Ein zitternder Seufzer war unser Schwur. Die Welt schwand um uns, wie ein Schatten. Im Kusse wechselten wir Leben um Leben.

      O, welche Seligkeit hat die Güte des unendlichen Weltordners selbst dem Staube gewährt, und wie sehr dem Geiste das Los versüßt, mit dem Irdischen vermählt zu sein!

      Als wir aus der heiligen Trunkenheit erwachten, und ich Klementinens Namen lallen und sie mir den meinigen zulispeln konnte, war rings umher die Natur wie verwandelt, und alles nicht mehr die vorige Welt. Feierlich und schöner prangte alles; das tote Zimmer glich einem Tempel, und ein holder Geist sprach aus allem, vom Gemälde bis zum Teppich. Das Flüstern der Zweige vom Garten war bedeutungsvoll, und in dem gaukelnden Schatten des Laubes lag ein geheimer lieblicher Sinn.

      »Ich bleibe!« rief ich.

      »Und ewig!« setzte sie hinzu.

      17.

       Inhaltsverzeichnis

      Einige Stunden nachher sah ich Madame de Sonnes. Eine stille Furcht wandelte mich an. Sie ging mir lachend entgegen und sagte: »Was haben Sie aus Klementinen gemacht? Sie ist begeistert; sie spricht in Versen; sie geht nicht mehr, sie schwebt, wie beflügelt! . . . Und wie, Alamontade, warum erröten Sie? Ich weiß Ihnen Dank . . . aber, wie soll ich danken?«