Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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möglich, das uns allen wohl zu statten käme.

      Den ganzen heutigen Tag habe ich gerechnet. Ich rechne nicht gern; das Rechnen und Geldwesen macht mir den Kopf wüst und das Herz leer und doch schwer.

       Am 17. Dezember.

      Meine Schulden sind – Gott sei Dank! – nun alle bis auf eine abgetragen. An fünf verschiedenen Orten zahlte ich sieben Pfund Sterling und elf Shilling; bleiben mir also bar zwei Pfund und neun Shilling. Damit soll ich ein halbes Jahr haushalten. Helfe mir Gott!

      Die schwarzen Hosen, welche ich beim Schneider Cutbay sah, die muß ich nun wohl ungekauft lassen, obgleich ich sie dringend nötig hätte. Sie sind zwar schon getragen, aber noch gut imstande und der Preis wäre billig, aber Jenny hat einen Rock noch nötiger. Das gute Kind dauert mich, wenn ich es bei der strengen Kälte im leichten Kamelotkleide sehen muß. Polly kann mit dem Kleide zufrieden sein, das ihr die Schwester aus ihrem alten sehr künstlich zusammengestückt hat.

      Auch meine Teilnahme an der Zeitung, die ich bisher mit dem Weber Westburn hielt, muß ich aufgeben. Das thut mir weh. Hier in Crekelade erfährt man sonst nichts vom Laufe der Welt. Beim Pferderennen in Newmarket gewann der Herzog von Cumberland gegen den Herzog von Grafton eine Wette von fünftausend Pfund Sterling. Es ist doch sonderbar, daß sich die Worte der Schrift immer so buchstäblich bewähren: Wer da hat, dem wird gegeben, und man kann hinzufügen, wer wenig hat, dem wird genommen. Ich muß noch fünf Pfund von meinem kargen Gehalte verlieren.

      Pfui, Thomas, schon wieder murrend! Und warum? Wegen der Zeitung, die Du nicht mehr mithalten kannst? . . . Schäme Dich! Wirst es ja doch wohl von andern erfahren, ob General Paoli auf Korsika die Freiheit behaupten werde. Die Franzosen haben den Genuesen freilich Hilfstruppen zugesagt, aber Paoli hat zwanzigtausend Mann alter Soldaten.

       Am 18. Dezember.

      Ach, wie glücklich sind wir armen Leute doch! Um ein Spottgeld hat Jenny einen prächtigen Weiberrock bei der Trödlerin Barde gekauft und nun sitzt sie da und trennt ihn in Pollys Gesellschaft auf, um einen neuen daraus für sich zu machen. Jenny versteht das Handeln und Feilschen besser denn ich, aber man giebt ihr auch lieber nach, wenn sie so engelhaft-mild bittet. Nun ist Freude über Freude im Hause. Am Neujahrstage will Jenny zum ersten Mal im neuen Rocke erscheinen. Polly macht hundert lustige Glossen und Prophezeiungen dazu. Ich wette, der Dey von Algier hat sich nicht so sehr über das kostbare Geschenk der Venetianer gefreut, über die zwei Diamantringe, die beiden mit Brillanten besetzten Uhren, die mit Gold ausgelegten Pistolen, köstlichen Teppiche, Pferdedecken und die zwanzigtausend Zechinen bar.

      Jenny meint, wir müssen uns ihren Rock am Mund absparen. Bis Neujahr wird kein Fleisch gekauft. Das ist ganz recht.

      Der Weber Westburn ist ein edler Mann. Ich sagte ihm gestern die Zeitung auf, weil ich meines bisherigen Gehalts, vielleicht meiner ganzen Stelle, nicht sicher sei. Er schüttelte mir die Hand und sagte: »So halte ich mir das Blatt allein und Sie, Herr Vikar, lesen es doch mit mir!«

      Man muß nur nie verzagen. Es giebt der guten Menschen in der Welt mehr als man glaubt, und unter den Armen mehr als unter den Reichen.

       Abends, an demselben Tage.

      Der Bäcker ist ein unfreundlicher Mann. Obgleich ich ihm nichts mehr schuldig bin, machte er doch der guten Polly, als sie das Brot holte und sie es gar klein und schlecht aufgegangen oder halb verbrannt fand, einen Zank, daß die Leute auf der Straße still standen. Dann erklärte er, er gebe nichts mehr auf Borg; wir sollten unser Brot anderswo kaufen. Polly dauerte mich. Ich hatte genug zu trösten.

      Ich weiß nicht, wie die Crekelader zu allen Nachrichten kommen. Jedermann im Dorfe spricht davon, der Rektor Snart werde statt meiner einen andern Vikar anstellen. Das wäre mein Tod.

      Der Fleischer sogar muß Wind davon bekommen haben, denn nicht umsonst schickte er seine Frau mit Klagen über schlechte Zeiten zu mir und ließ sagen, daß er unmöglich ferner sein Fleisch anders als gegen bare Bezahlung verkaufen könne. Die Frau war wirklich sehr höflich und konnte nicht genug sagen, wie lieb und wert wir ihr wären. Sie riet uns, zu Colswood zu gehen, um da unsern kleinen Fleischbedarf einzukaufen; er sei ein vermögenderer Mann und könne leichter auf das Geld warten. Ich mochte der guten Frau nicht sagen, wie uns dieser Wucherer vor einem Jahr behandelte, als er uns das Pfund Fleisch um einen Penny teuerer denn anderen Leuten angerechnet hatte und, da ihm sein Schwören und Fluchen nicht half und er nicht leugnen konnte, rund heraus sagte: sein Geld, wenn er es ein Jahr lang ausstehen habe, müsse verzinst werden . . . und wie er uns damit die Thür wies.

      Noch besteht meine Barschaft in einundvierzig Shilling drei Pence. Wie soll das enden, wenn mir niemand mehr so viel vertraut, daß ich meine Lebensmittel am Ende eines Vierteljahrs bezahlen kann? . . . Und wenn Rektor Snart einen andern Vikar nimmt? . . . Dann bin ich mit meinen armen Kindern auf die Gasse hinausgeworfen.

      Nun, Gott ist auch auf der Gasse!

       Am 19. Dezember, in der Frühe.

      Ich erwachte heute schon sehr früh und überlegte, was in meiner mißlichen Lage zu thun sei. Ich dachte wohl an Master Sitting, meinen reichen Vetter zu Cambridge; allein die armen Leute haben keine Vettern, nur die reichen. Brächte mir der Neujahrstag die Bischofsmütze aus Pollys Traum, wäre mir halb England verwandt.

      Folgenden Brief habe ich an den hochwürdigen Herrn Doktor Snart geschrieben und heute auf die Post gegeben:

      »Ich schreibe mit bangem Herzen, denn jedermann sagt, daß Eure Hochwürden einen andern Vikar statt meiner anstellen. Ich weiß nicht, ob das Gerücht Grund habe oder nur entstanden ist, weil ich einigen Personen von der Unterredung gesagt habe, die ich mit Ihnen hatte.

      Dero mir anvertrautes Land habe ich mit Eifer und Treue verwaltet, Gottes Wort lauter und rein gelehrt, keine Klage über mich vernommen; selbst mein innerer Richter verurteilt mich nicht. Ich bat demütig um eine kleine Zulage zu meinem geringen Gehalte. Eure Hochwürden sprachen von Verminderung meines Lohnes, der kaum hinreicht, für mich und meine Familie die notwendigsten Bedürfnisse des Lebens zu bestreiten. Möge Ihr menschenfreundliches Herz entscheiden!

      Unter Eurer Hochwürden seligem Vorgänger habe ich sechzehn, unter Ihnen anderthalb Jahre gedient. Ich bin ein Fünfziger; mein Haar beginnt grau zu werden. Ohne Bekannte, ohne Gönner, ohne Aussicht auf ein anderes Amt, ohne Kenntnis, mir auf andere Weise mein Brot zu schaffen, hängt mein und meiner Kinder Glück allein von Ihrer Gnade ab. Lassen Sie uns fallen, so bleibt uns keine andere Stütze als der Bettelstab.

      Meine Töchter, allmählich erwachsen, verursachen bei aller Einschränkung größere Ausgaben. Die älteste Tochter Jenny vertritt bei der jüngern Mutterstelle und führt das Hauswesen. Wir halten keine Magd; meine Tochter ist die Magd, die Köchin, die Wäscherin, die Schneiderin, die Schusterin sogar; so wie ich der Zimmermann, der Maurer, der Schornsteinfeger, der Holzhauer, der Gärtner, Bauer und Holzträger meines Hauses bin.

      Gottes Barmherzigkeit war bisher mit uns. Keines ward krank. Wir hätten keine Arznei bezahlen können.

      Crekelade ist ein kleiner Ort. Meine Töchter boten sich vergebens an, für andere Haushaltungen Arbeiten zu machen, zu waschen, zu flicken, zu nähen. Selten empfingen sie eine Arbeit. Hier im Orte hilft sich jede Haushaltung selbst; niemand ist reich.

      Es wäre ein herbes Schicksal, wenn ich ferner mit zwanzig Pfund Sterling im Jahre mich und die Meinigen durchbringen sollte; es wäre das Traurigste, wenn ich es mit fünfzehn Pfund versuchen müßte . . . aber ich vertraue auf Ihr Erbarmen und auf Gott, und bitte Eure Hochwürden, mich wenigstens aus der Angst reißen zu wollen.«

      Nachdem ich den Brief geschrieben, warf ich mich auf die Kniee, während ihn Polly auf die Post trug, und betete um glücklichen Ausgang. Da ward es mir im Gemüt sonderbar hell und wohl. Ach, ein Wort zu Gott ist immer ein Wort von Gott! Ich kam so leicht aus meinem Kämmerlein, und war doch so schwer hineingegangen.

      Jenny saß am Fenster bei der Arbeit; sie saß da mit einer Ruhe, Seligkeit und Anmut, wie ein Engel. Es strahlte von ihrem Antlitze wie Licht. Ein schwacher Sonnenblick durch das kleine Fenster verklärte das ganze Zimmer. Mir war himmlisch