Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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guter Mensch!« fuhr sie fort. »Ich kannte wohl die geheimen Gründe, warum Sie uns verlassen wollten.«

      »Madame!« stammelte ich immer verwirrter.

      »Ich glaube, Sie möchten gern noch läugnen, wenn Sie könnten!« sagte sie in scherzhaftem Tone. »Ich stand neben Euch Beiden, als Ihr in der Fülle Eures Glücks die ganze Welt vergaßet, selbst mich, und da fühlte ich wohl, daß ich bei Eurer Verlobung sehr überflüssig sei. Meine Tochter lebt nur für Sie . . . machen Sie sie glücklich, dann bin ich es auch.«

      Welch eine Frau! Ich sank zu ihren Füßen und küßte ihre gütige Hand, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

      »Nicht doch!« sagte sie. »Ein Sohn kniet nicht vor der Mutter.«

      »Madame,« rief ich, »Sie geben mehr, als die verwegenste Hoffnung . . .«

      »Ich gebe nichts!« entgegnete sie. »Nein, mein Lieber, Sie sind es, der uns den Frieden giebt. Ich bin zwar Mutter, aber ohne Recht über meiner Tochter Herz. Klementine kennt Sie schon länger als ich. Um Ihretwillen schlug sie manche Hand aus. Sie hoffte nur auf Sie. Klementinens Glück zu befestigen, ist meine Pflicht. Ich lernte Sie nun auch näher kennen und segne Klementinens Wahl.«

      »Es ist zuviel!« rief ich. »Mein Entschluß war es freilich, einst, wenn ich mir Vermögen genug . . . ich bin arm, Madame . . .«

      »Was thut das Vermögen zur Sache?« antwortete die edle Frau. »Sie haben ein anständiges Auskommen, und Klementine, ohnehin schon begütert, ist meine Erbin. Daß Sie Klementinen ohne Rücksicht auf Reichtum lieben, war mir wohl bekannt! Und wahrlich, das Mädchen hat inneren Wert genug, um seiner selbst willen geliebt zu werden! Ihr Zartgefühl, mein Lieber, bleibt aber unverletzt. Konnten Sie Klementinens Herz bekehren und nehmen, wahrlich, so dürfen Sie nicht erröten, wenn sie Ihnen eine reiche Aussteuer zubringt! Das Herz, welches Sie beherrschen, ist mehr wert als das elende Geld, bei dem Sie, als dem Zuviel, Bedenklichkeit empfinden. Meine Tochter kann nicht glücklicher werden, wenn sie eine Million heiratet, an die ein ungeliebter Mann geknüpft ist; sie wird es nur durch den Geist, durch den Edelsinn, durch die treue Liebe, durch die Sorgfalt des Geliebten um sie.«

      »Und?« . . . sagte Klementine, indem sie in ihrer reizenden Unschuld hereinschwebte, meine Hand nahm und ihrer edlen Mutter freundlich ins Auge sah.

      »Du hast wohl gewählt!« sagte Madame de Sonnes, indem sie uns beide umarmte. »Du sorgst immer für das Glück Deiner Mutter mehr als für Dich.«

      18.

       Inhaltsverzeichnis

      Klementine war meine Verlobte. Die ganze Familie trug mich auf Händen. Ich war im Palast de Sonnes der geliebte Sohn. Die Achtung der ganzen Stadt wurde mir zuteil. Ich hatte mein höchstes Ziel errungen, und es würde ermüdend sein, wenn ich die Mannigfaltigkeiten meiner Freuden ausmalen wollte.

      Ich eilte auf einige Tage nach Nismes zum Marschall, infolge seines Befehls.

      »Kommen Sie zu mir,« sagte er, »und nehmen Sie die erste Stelle in der Kanzlei des Gouvernements an! Doch eine Bedingung muß ich hinzufügen: Sie dürfen nirgends anders als in meinem Schlosse wohnen. Ich muß Sie täglich sehen! Meiner Geschäfte sind viele und Ihr Rat ist mir zu wichtig.«

      Ich dankte dem Marschall für die ehrenvollen Gnadenbezeugungen. Ich bat nur um Bedenkzeit, eine Stelle anzunehmen, deren Wichtigkeit meine Kenntnisse nicht gewachsen waren.

      Mein Oheim und die liebenswürdige Familie, in deren Kreis nur eine Tochter fehlte, die verheiratet war, und alle seine Freunde, die sämtlich geheime Protestanten waren, ließen nicht ab, mir die dringendsten Vorstellungen zu machen. Ich mußte halb und halb geloben, die Stelle anzunehmen. Es war mir nur noch darum zu thun, den Wunsch Klementinens und ihrer Mutter zu erforschen. Beide aber, sobald ich sie mit dem Antrage des Marschalls bekannt gemacht hatte, stimmten sogleich dafür, daß ich mir nicht die Gelegenheit entgehen lassen dürfe, einen größeren Wirkungskreis für mich zu gewinnen. »Und wir begleiten Sie nach Nismes!« sagte Klementine.

      Und so geschah es. Wir reisten mit einander nach Nismes. Ich trat meine Stelle an, und in Klementinens Armen durfte ich von den Geschäften ausruhen.

      19.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Marschall von Montreval behandelte mich in den ersten Monaten mit ausgezeichneter Gnade, aber nie konnte ich mir's abgewinnen, ihm mit Vertraulichkeit zu begegnen oder seine gütigen Gesinnungen mit einiger Herzlichkeit zu erwidern. Sein freundliches Wesen hatte etwas Fürchterliches, sein Lächeln immer etwas Drohendes an sich.

      Ich ward gewahr, wie wenig Gutes ich unter den obwaltenden Verhältnissen überhaupt wirken konnte, und wie schädlich hingegen meine Gegenwart in Nismes, mein Amt und der Wahn von meinem Einfluß den Anhängern Calvins werden mußte, die sich mit allzu großem Vertrauen auf mich stützten. Dies bewog mich zu dem Entschluß, meine Entlassung zu begehren.

      Es war am Palmsonntage des Jahres 1703. Der Marschall, welcher vor kurzem von Montpellier zurückgekommen war, hatte mich zu einem festlichen Schmause im Schlosse eingeladen. Mir war nicht wohl, doch beschloß ich dahin zu gehen.

      »Und morgen verlang ich meine Entlassung,« sagte ich lächelnd des Morgens zu Klementinen, »mag auch die Mutter dagegen einwenden, was sie will, morgen geschieht's! Und dann, Klementine, nicht länger unsere Verbindung am Altare verzögert! Also in acht Tagen bist Du meine Gattin.«

      So ward es beschlossen und mit einem Kuß besiegelt.

      Da rief man mich von ihr hinweg. Ich ging hinaus. Mein Oheim, Herr Etienne, war gekommen; er begehrte eine geheime Unterredung mit mir in meinem Zimmer.

      »Colas,« sagte er, »heute ist Palmsonntag. Du mußt mit mir kommen!« – »Unmöglich kann ich das,« war meine Antwort, »denn ich bin beim Marschall zum Essen geladen.«

      »Und ich,« sagte er mit feierlicher Stimme, »und ich lade Dich zum heiligen Abendmahl ein! Kein Großer dieser Erde wird dort mit uns zu Tische sitzen, aber wir sind daselbst in Jesu Namen versammelt, und er wird mitten unter uns sein. Wir alle, einige Hundert mit Weib und Kindern, feiern diesen Morgen das heilige Abendmahl in meiner Mühle beim Karmeliterthor.«

      »Welche Verwegenheit?« rief ich. »Wisset Ihr nicht, daß der Marschall in Nismes ist?«

      »Wir wissen es, und der allmächtige Gott ist auch da!«

      »Wollt Ihr Euch denn mit Vorsatz in Elend und Kerker stürzen? Das Gesetz verbietet auf's Strengste alle Versammlungen dieser Art. Es drohet mit dem Tode.«

      »Welches Gesetz? Das Gesetz des sterblichen Königs? Du sollst Gott mehr gehorchen denn den Menschen!«

      So wußte mein Oheim jede meiner Einwendungen mit biblischen Sprüchen zu beseitigen, je mehr ich das Unerlaubte und Gefährliche solcher Zusammenkünfte einsah, je lebhafter ich ihm die möglichen Folgen davon schilderte, desto eifriger ward mein Oheim. Er hieß mich einen Abtrünnigen, einen Heuchler, einen Papisten und verließ mich im Zorn.

      Ich kehrte zu Klementinen zurück. Sie hatte meinen Oheim und Verdruß in allen seinen Geberden gesehen. Sie forschte nach den Ursachen; ich wagte nicht, sie ihr zu entdecken. Unter ihren unschuldigen Liebkosungen verlor sich allmälich meine Furcht und Unruhe. Sie erzählte mir von der Einwilligung ihrer Mutter in alle meine Wünsche. Dies erheiterte mich noch mehr. An Klementinens Busen schwärmte ich vom Glück der stillen Zukunft.

      Da trat mein Bedienter herein, bleich wie die Wand und atemlos.

      »Herr,« stammelte er, »die Hugenotten sind draußen am Karmeliterthor in der Mühle des Herrn Etienne zum verbotenen Gottesdienste . . .«

      Ich erschrak heftig. Also war's verraten. »Und weiter?« rief ich.

      »Die