Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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noch auf meiner Lippe die Glut ihres Gegenkusses, und meine geschmeichelte Eitelkeit vernichtete mit trüglichen Schlüssen und Folgerungen die ernste Warnung des Gewissens. Und indem mir die heilige Vernunft ihr Gebot in die Feder diktierte, und ich der Tugend das erste schwere Opfer darbringen wollte, schrieb ich an Madame Bertollon die feierlichsten Schwüre meiner Liebe; log ich ihr vor, wie mich geheime Leidenschaft verzehre, und ich nur in ihrer Liebe meinen Himmel erblicke. Ich bat, ich beschwor sie, mich nicht sinken zu lassen, und rollte vor ihrer Phantasie ein begeisterndes Gemälde unserer Seligkeit aus.

      Ich sprang auf. Ich las und las – zerriß den Brief, schrieb einen zweiten, schrieb alles vorige wieder, und las und zerriß es wieder. Wie eine unbekannte Gewalt schleppte es mich wider meinen Willen zum Verbrechen hin, vor dem meine Seele schauderte. Indem ich schwor, mit halblauter Stimme schwor, noch heute nach Nismes aufzubrechen, und nie die Mauern von Montpellier wieder zu sehen, schwor ich leise bei mir, das hold-unglückliche Weib nie zu verlassen, sondern an ihr zu hangen, und sollte ich aus ihren Küssen meinen unvermeidlichen Tod saugen.

      Es war, als rängen zwei verschiedene Seelen in mir mit gleicher Kraft und Gewandtheit. Die Überlegung schwand; das Gefühl der Pflicht erstarb im Gefühl der alles verzehrenden Neigung. Ich beschloß, zu Madame Bertollon hinzueilen. Vielleicht daß auch sie sich wegen ihrer bewiesenen Schwäche mit Vorwürfen quälte; vielleicht daß auch sie mich und Montpellier zu fliehen willens sein konnte. Ich wollte sie zurückhalten. Ich wollte ihre Besorgnisse zerstreuen und ihr das Erlaubte unserer Liebe vorstellen.

      Ich sprang auf und zur Thür hin. »Also doch freveln?« rief's wieder in mir. »Also doch nun den lange bewahrten innern Ruhm der Unschuld einbüßen?« Ich wankte und trat zurück.

      »Sei rein wie Gott und bleib' es! Dieser Tag und dieser Sturm gehe vorüber, dann bist du gerettet!« sprach ich zu mir selbst. Dies religiöse Gefühl erhob mich. Der Gedanke: Sei rein wie Gott! drang durch das Gewühl meiner wilden Empfindungen immer hindurch, und hielt mich wenigstens für diesmal ab, sogleich zu Madame Bertollon zu eilen.

      Da öffnete sich die Thür meines Zimmers. Herr Bertollon trat herein.

      »Was machst Du, lieber Colas? Dir ist nicht wohl?« sagte er. Erst jetzt nahm ich wahr, daß ich mich aufs Bett geworfen hatte. Ich sprang auf. Er reichte mir die Hand, aber ich hatte nicht den Mut, ihm die meinige zu geben.

      »Aber was fehlt Dir? Dein Blick ist so verstört, Colas! Du siehst blaß aus!« sagte er wieder. Ich aber konnte nicht antworten.

      »Entdecke ihm alles Vorgefallene!« rief's in mir. »Dem Ehemann entdecke alles, alles. so ist mit einem Male die ewige Scheidewand zwischen Dir und seiner Gattin gezogen, und Du bleibst rein, wirst nicht der Verführer eines Weibes, der Verräter Deines edlen Wohltäters und der Betrüger Deines Freundes!

      »Bertollon, ich bin unglücklich, weil ich Deine Gattin liebe!« sagte ich schnell und aus Furcht, ich möchte das Bekenntnis nicht vollenden. Und kaum hatte ich die letzte Silbe vorgebracht, so überfiel mich die Reue, nun aber zu spät. Es war geschehen. Der Ehemann wußte alles. Ich aber war gerettet.

      Bertollon entfärbte sich, und sprach: »Was redest Du, Colas?«

      »Ich muß fort! Ich muß Montpellier, muß Dich, muß Deine Gattin fliehen, denn ich liebe sie!« antwortete ich.

      »Du bist ein Narr, glaub' ich!« sagte er lächelnd und gewann wieder Farbe.

      »O Bertollon, es ist mein Ernst! Ich darf hier nicht bleiben. Deine Gemahlin ist ein edles Weib. Aber ich fürchte, mein Umgang mit ihr wird ihr und mir verderblich.«

      »Ein Heiliger, wie Du, Colas,« sagte Bertollon laut lachend, »der dem Ehemann selbst die Geheimnisse seines Herzens in frommer Andacht beichtet, ist keinem Ehemann gefährlich. Sei ruhig, Du bleibst bei uns. Wer wird auch so viel Wesen aus einer Liebschaft machen? Ich vertraue Dir und habe keinen Argwohn weder gegen Dich, noch gegen mein Weib. Dies sei Dir genug. Wenn Ihr Euch beide liebt, was kann ich gegen Eure Herzen? Und wenn Ihr zwischen Euch beide den ganzen Erdball wälztet: würdet Ihr Euch beide darum weniger lieben? Liebet Euch! Ich weiß, Ihr denket beide zu edel, als daß Ihr Euch vergessen solltet!«

      Er sagte dies alles so unbefangen und heiter, und mit dem Tone so argloser Zuversicht, daß ich gerührt ihn an mein Herz schloß. Sein Edelmut stärkte meine Kraft zum Guten. Ich schämte mich der Niedrigkeit, und sogar deswegen, daß ich einen so schweren Kampf gekämpft.

      »Nein,« sagte ich, lieber Bertollon, ich wäre ein Ungeheuer, wenn ich Dein Vertrauen täuschen und Deine Freundschaft so schändlich vergelten könnte. Du hast mich jetzt wieder zum Gefühl meines besseren Selbst gebracht. Ich bleibe, und die Erinnerung an Deine Zuversicht wird mich vor jedem entehrenden Gedanken bewahren. Ich bleibe und will Dir beweisen, daß ich Deiner wert bin. Ich werde meinen Umgang mit Deiner Gemahlin abbrechen. Ich will sie nie ohne Zeugen sehen. Ich will . . .«

      »Wozu mir das sagen?« unterbrach mich Bertollon. »Genug, ich vertraue Dir! Denkst Du, daß ich's nicht längst bemerkt, daß meine Frau Dich liebt? Daß ihre Liebe die Farbe ihres heftigen ungestümen Charakters trägt? Daß ihre Leidenschaft um so gewaltiger ist, je tiefer sie solche verbirgt? Teile ihr Deine edlen Grundsätze mit, und heile sie, wenn Du willst, aber mit Vorsicht. Ich kenne sie, ihre Liebe könnte sich sehr bald in einen fürchterlichen Haß verwandeln, und dann wehe Dir!«

      Er brach hiermit das Gespräch ab und lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen fremdartigen Gegenstand. Er duldete es nicht, daß ich wieder vom vorigen anfing. Je mehr ich Ursache hatte, die Größe seines Vertrauens zu bewundern, desto kühler wurde ich selbst, und desto entschlossener, mich allmählich von seiner Gattin zu trennen.

      11.

       Inhaltsverzeichnis

      Erst am Abend des folgenden Tages sah ich sie wieder. Sie saß einsam in ihrem Zimmer, das schöne Haupt schwermutsvoll auf ihren Arm gestützt. Sie stand auf, sobald sie mich gewahr ward; ihr Gesicht war voll lieblicher Verwirrung. Ich näherte mich ihr. Wir blieben beide lange sprachlos. Sie hatte die Augen niedergesenkt.

      »Darf ich's noch wagen, vor Ihnen zu erscheinen?« sagte ich zitternd. »Ich komme nur, um mein Vergehen zu büßen.«

      Sie schwieg.

      »Ich habe Ihr Vertrauen gemißbraucht,« fuhr ich fort; »ich sollte nur Achtung gegen die Gattin meines einzigen Freundes hegen . . . ich habe gefehlt.«

      »Und ich!« stammelte sie leise.

      »Ach, Madame, ich fühl's, ich habe mich zu wenig in der Gewalt; und wer könnte es bei Ihnen? . . . Aber . . . und sollte es mir das Leben kosten, ich will Ihre Ruhe nicht stören. Mein Entschluß ist unwiderruflich gefaßt. Ich habe Ihrem Gemahl das Innere meines Herzens entdeckt.«

      »Entdeckt?« rief sie erschrocken: »Und er?«

      »Er entfärbte sich anfangs . . .«

      »Er entfärbte sich?« stammelte sie.

      »Aber mit Vertrauen auf Sie, Madame, und mit einem Vertrauen, größer als meine Tugend, wollte er mir den Vorsatz ausreden, mich von Montpellier zu entfernen.«

      »War das Ihr Vorsatz, Alamontade?«

      »Er ist's noch jetzt. Ich liebe Sie, Madame! Sie aber sind die Gattin Bertollons. Ich will die Ruhe einer Familie nicht stören, der ich tausend Wohlthaten verdanke.«

      »Sie sind ein edler Mensch!« sagte sie, und Thränen rollten über ihre Wangen, »Sie wollen thun, was ich zu thun entschlossen war. Meine Sachen sind bereits gepackt. Ich darf, ich will es Ihnen nicht verhehlen, Alamontade, daß ich wünsche, Sie nie kennen gelernt zu haben! Unsere Freundschaft artete in Liebe aus. Ich belog mich vergebens. Ich rang zu spät gegen meine strafbaren Empfindungen.«

      Sie schluchzte heftiger. »Ja!« rief sie. »So ist es besser! Wir müssen uns trennen. Aber nicht für immer und ewig. Nein, nur bis unsere Herzen ruhiger schlagen, bis wir uns mit Zurückhaltung begegnen können!«

      Sie