Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

sind, ein Blick für die finstere Welt der Dinge an sich. Es ist demnach gleich thöricht, Beweise für die Vernichtung als für die Unvernichtbarkeit des menschlichen Geistes aus dem zu ziehen, was unerforschbar ist. Alle Erfahrung verläßt uns bei diesem Gegenstand, weil wir nie Erfahrung von den Urkräften haben, sondern nur von ihren Wirkungen durch die Geisteswerkzeuge aus den Geist.«

      »Wirklich, mein lieber Alamontade,« sagte ich, »diese Versuche habe ich längst als fruchtlos verachtet! Inzwischen will ich Dir nicht verbergen, daß neulich die Stelle eines Buches mich sehr erschüttert hat, wo von eben dieser Angelegenheit geredet wird, und wo der Schriftsteller sagt: Ich finde überall, daß dies Geschlecht der Dinge fortdauert, aber daß die Einzelwesen untergehen. Es liegt für mich darin etwas Wahres. Die Natur, unbekümmert um die Erhaltung des Einzelnen, sorgt nur für die Fortpflanzung der Gattung, und dies ist genug für die Erhaltung der Weltordnung. Es liegt der Natur nichts daran, ob in einem Tage Milliarden von Insekten vergehen, als wären sie niemals am Leben gewesen; aber ihre Gattung, ihr Geschlecht bleibt.«

      »Gattung?« rief Alamontade. »Geschlecht? Giebt es im Reiche der Wesen an sich auch Gattung und Geschlecht? Reden Sie aber von den Körpern, von dem Sinnlichen, das heißt von den Wirkungen der Kräfte? Nun ja, da giebt es Art und Geschlecht; da lösen sich die einzelnen Teile wieder auf, während die Grundgattung bleibt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß im Reiche der Wesen und Kräfte höhere und niedere Ordnungen bestehen. Ihre wechselnden Verbindungen und Scheidungen unter sich selbst verursachen den Wechsel der Erscheinungen. Jede der Urkräfte gehorcht aber beim Zusammen- und Auseinandertreten mit andern ihrem eigenen und ewigen Gesetz. Daher herrscht im bunten Spiel der Erscheinungen keine durchgreifende Gleichmäßigkeit. Eine Hauptkraft scheint aber die untergeordneten mit sich zu dem zu vereinen, was wir Art und Gattung nennen; und sie waltet regsam bis in das Ewige fort; sie ist der Faden, welcher unzerrissen und unvernichtbar das herrliche Gewebe der Dinge durchzieht. Sie erscheint im Pflanzenkeim, verbindet sich da nach ihrem Gesetz mit andern Stoffen, bildet so nach ihrem Gesetz die Palme und den Ölbaum, den Grashalm und das Moos, und läßt so dasjenige erscheinen, was wir bei den Naturkörpern, bei Steinen, Pflanzen und Tieren die Gattung und Art nennen. Die untergeordneten Kräfte trennen sich hinwieder nach ihrem eigentümlichen Gesetz von der Hauptkraft, durch die sie eine Zeitlang mit ihr verbunden waren; dann tritt der Tod ein. Aber, wenn die Kräfte in andere Keime übergegangen sind, fangen sie in Diesen ihr Lebensziel von neuem an. So setzt es sich bis ins Ewige fort. Darum sagen wir, die Geschlechter und Gattungen dauern, nur die Einzelwesen vergehen. Auch das menschliche Geschlecht gehört hierher. Auch hier waltet eine Grund und Stammkraft für die ewige Bildung und Fortsetzung des Geschlechts, wie bei der Pflanze, wie beim Tier ob. Aber gleichwie die Pflanze durch ihre innewohnende Lebenskraft höher steht als der Stein und das Tier durch die ihm innewohnende, empfindende, wahrnehmende Seele höher steht als die Pflanze: so steht der Mensch durch seinen sich bewußten, weltdurchblickenden Geist höher als die gesamte Tierwelt. Der Menschengeist ist eine der Urkräfte des Weltalls, aber unendlich verschieden von allen, die sich mit ihm vereinen, um seine Werkzeuge zu werden, das heißt, seinen Körper zu bilden. Er erkennt sich in seiner Verschiedenheit von ihnen. Er hat das Gefühl seiner Persönlichkeit. Wenn die Einzelwesen der Körperwelt verschwinden, wenn der Stein verwittert, die Pflanze verwelkt, das Tier stirbt, so treten die Kräfte, welche das Erscheinen des einzelnen Dinges bewirkten, ohne Zweifel in den unermeßlichen Behälter des Weltganzen zurück, aus dem sie hervorgingen, und werden in neuen Verbindungen wirksam. Das ist das innere Leben der Welt. Es bleibt ewig dasselbe. Es ist darin kein Edlerwerden, kein Fortschreiten zur Vollendung. Stein, Tier und Pflanze werden, wie man sie vor Jahrtausenden gesehen hat, heute noch gesehen. Anders ist es mit dem Geist des Menschen.«

      »Warum anders?« unterbrach ich Alamontades Rede. »Wenn die geistigen Einzelwesen nach dem Tode des Leibes nun ebenfalls zur allgemeinen Kraft zurückflössen, aus der sie hervorgingen, und sich darin auflösten: so würden auch hier die geistigen Einzelwesen verschwinden, während das Geschlecht, die Gattung, die allgemein verbreitete Denkkraft bliebe.«

      »Und wenn dem so wäre,« erwiderte Alamontade sanft lächelnd, »sollte ich mich darüber beklagen? Diese allgemein verbreitete, weltdurchblickende, sich bewußte Kraft voll heiligen Willens, welche das Weltall belebt und bewegt, wie der Geist des Menschen den Leib, der ihn umhüllt, – das ist die Gottheit. Ich gehe zum Vater zurück, zum Urquell der Geister. Wenn aber die Kraft in uns, die wir Geist nennen, so wenig vernichtbar ist, als Gott selbst: so kann auch ihr Bewußtsein, ihr heiliges Wollen nicht aufhören, wodurch sie sich eben von allen andern Kräften der Natur unterscheidet und über alle erhebt, wodurch sie eben das ist, was sie ist. Aber wer erfaßt einen Maßstab für die Unendlichkeit der Wesen? Wer überschaut die Verkettung der göttlichen Mächte und Kräfte im unbegrenzten Weltall? Wer zählet die Stufen des Throns göttlicher Majestät? Ach, mein Herr, unser Geist schwebt unendlich hoch über Millionen anderer Wesen; aber bis zu Gott sind neue Millionen über uns, und wir stehen wohl tief! Was wir sind, das wissen wir: sich bewußte, denkende, Welt und Gott erkennende Kräfte, voll heilgen Willens, voll unendlicher Sehnsucht des Ewigseins, und mit dem lebendigen Gefühle der persönlichen, in sich abgeschlossenen Selbständigkeit . . . Was wir sein können, das ahnen wir. Alle Kräfte der Natur bleiben sich gleich; nicht also die Geister. Diese schreiten fort von Einsicht zu Einsicht, vom Edlern zum Edlern, vom Vollkommeneren zum Vollkommeneren und verwandeln den Erdball unter unseren Füßen. Die Menschheit des heutigen Tages ist durch das Erbe der Vorwelt eine vollkommenere, als die Menschheit der Urzeiten. Das lehrt die Geschichte. Darin sind die Geister von allen übrigen Naturkräften verschieden . . . Was wir einst sein werden, darüber schweigt selbst die Ahnung. Gott ist groß, Heiligkeit und Liebe sein Walten, Wunder und Herrlichkeit sein Reich, Ewigkeit sein Leben. Und wir sind in Gott, wir seine Kinder, unvergänglich gleich ihm. Was bedarf es mehr zu unserm Troste?«

      »Ja, ich bin!« sagte Alamontade, und seine Blicke wandten sich mit dem Ausdruck stiller Seligkeit himmelwärts. »Ich bin! Das ist mir genug. Ich bin! Dies kleine Wort umfaßt die Ewigkeit. denn was ist, das ist, und alles was Wesenheit hat, ist ewig wie Gott.«

      7.

       Inhaltsverzeichnis

      Hier schwieg der Abbé.

      »Ach!« rief der sanfte Roderich mit bewegtem Herzen. »Ist's auch möglich? . . . Ein Sklave, ein Galeerensklave! Wie konnte in ihm so viel Weisheit gefunden werden, oder vielmehr, wie konnte ein Mann von solchen Einsichten, von so erhabenen Grundsätzen sich so weit verirren, daß er für die Lebenszeit auf die Bank der gröbsten Verbrecher geschmiedet ward? Es ist unbegreiflich!«

      »Morgen sollet ihr auch dies erfahren,« sagte Dillon, »wie eine sonderbare Verkettung von Umständen den guten Alamontade so tief stürzen konnte. Seht, Ihr Lieben, ich ehre sein Andenken, wie das Andenken eines Heiligen. Er hat ein Tagebuch seines unglücklichen Lebens geschrieben; aus diesem, sowie aus dem, was er mir mündlich darüber offenbarte, setzte ich nachher seine Geschichte zusammen. Er hinterließ mir dies Tagebuch und seine kleinen, meistens auf dem Schiffe oder an den heißen Gestaden Afrikas geschriebenen Aufsätze als Vermächtnis. Ich war aber damit noch nicht zufrieden. Ich wollte der Erbe seiner Kette werden. Ich erhielt sie. Ein geschickter Meister malte mir auch sein Bildnis.«

      »Sein Bildnis?« rief Roderich. »Und dies haben Sie uns noch nie gezeigt? Wahrlich, er ist einer der edelsten Menschen! Ich beschwöre Sie, lieber Abbé, zeigen Sie mir sein Bild!«

      Dillon stand auf. Wir nahmen die Kerzen, und folgten unserem Freunde durch einige Zimmer in die Bibliothek, welche zugleich sein Arbeitszimmer war. Er trat vor einen Glasschrank, und öffnete die Thür. Da hing Alamontades Bild, und um dasselbe herum eine schwere eiserne Kette.

      »Diese Kette,« sagte Dillon, »dient meinem Heiligen statt des Strahlenkranzes.«

      »Ists möglich!« rief Roderich mit feuchtem Blick und sanftbebender Stimme. »Ist's möglich, daß solch ein Mann die unglückselige Fessel tragen mußte? Welch ein Adel, welch eine wunderbare Gemütsstille in diesen angenehmen Zügen!«

      Roderich hatte recht. Hier war nicht das heimlichdüstere, in sich zurückgezogene