Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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mir gleichgeschaffene Wesen, und nenne sie und mich, weil sie eine freie Selbstthätigkeit haben, zu wirken, Geister. Ich kenne sie, wie mich, nur aus ihren Erscheinungen in Worten und Handlungen . . . Doch ihre Natur ist mir unbekannt. Sie gehören zu den ersten Ursachen, zu jenen Kräften, welche die Welt mit ihren Wirkungen füllen, wiewohl sie an sich selbst Geheimnis bleiben.«

      »Und warum müssen sie an sich ein Geheimnis bleiben?« frug ich.

      Auf dieses warum antwortete er: »Die Frage streift an die Grenze unseres Wissens. Ich könnte wohl antworten: Wie die ganze Natur um uns her lebt und wirkt, und dabei keine Anschauung von ihrem eigenen Innern hat; oder wie der einzelne Gedanke aus dem menschlichen Geiste hervorgeht, ohne daß der Gedanke sich in seiner eigenen Wesenheit erkennen kann, weil er nicht Quell seiner selbst, sondern ein Ausfluß oder gleichsam ein Teil unseres Ich ist: so hat auch der Geist zwar Bewußtsein, aber ebenfalls keine Anschauung und Erkenntnis von der eigentlichen Beschaffenheit seiner Natur, weil auch er nicht unabhängiger Quell seines Vorhandenseins, sondern Teil und Ausfluß eines höheren Lebens, ein Gedanke ist aus diesem Höhern, welchen die menschlichen Zungen Urgrund alles Seins oder Gott heißen. Ich könnte sagen: Das unendliche All der Geister, Wesen, Kräfte und Dinge ist nur ein Einziges, ein getrenntes Ganze, das zwar den Sinnen oder dem menschlichen Vorstellungsvermögen teilbar vorkommt, aber es in sich selbst nicht ist. Das Einzige, dies All, außer welchem nichts mehr möglich gedacht werden kann, weil es selbst alles ist, hat, weil es alles ist, allein im höchsten Bewußtsein die Anschauung seiner selbst. Wir andern Geister, Wesen, Kräfte und Dinge sind Gottesausflüsse, ohne Anschauung unserer innern Wesenheit, weil wir sonst das Wesen Gottes durchschauen und erkennen müßten, der unser Urwesen ist. Ich könnte Ihnen mehr sagen. Aber würden Sie mich verstehen? Auch ich habe einst vorwitzig oder neugierig den Kreis überschreiten wollen, welchen die Natur mir für meine Wirksamkeit vorgezeichnet hat; aber bald fühlte ich die Eitelkeit meines Bemühens. Der erste Schritt zur Weisheit und Beruhigung ist, das Unmögliche anzuerkennen; der zweite, nicht das Unmögliche zu wollen. Da es nun thöricht ist, das Unmögliche zu wollen, so muß uns das Opfer leicht werden, für immer und gänzlich mit unsern Gedanken von ihm abzulassen, und uns mit dem zu begnügen, was wir haben. Und das, was wir im Reiche des Wissens haben, ist genug für unsere Beruhigung. Während mein Geist in den Wundern der unendlichen Natur schwelgt, fühlt er sich selbst, als einen der edlern Teile, in ihr. Die Natur bleibt, nur die Formen, die Farben, die Zusammensetzungen der Dinge ändern sich; aber was hinter diesen Farben und Formen liegt, und was diese wechselnden Erscheinungen hervorbringt, hört nicht auf. Ich kann durch die Gewalt des Feuers einen Palast in unsichtbare Sonnenstäubchen auflösen; aber damit habe ich nur ein Verhältnis der kleinen Teile zu einander aufgehoben, welches ehemals Palast hieß; die Teile selbst habe ich nicht aus dem Weltall ausgerottet. Die wirkenden, unbekannten Kräfte, die Dinge an sich bleiben; nur andere Erscheinungen erzeugen sich selbst, das heißt, sie machen auf meine Sinne einen andern Eindruck, da sie in andern Verhältnissen mit mir stehen. Weiter dringe ich nicht. Teils erblicke ich überall den Grenzstein meines Wissens; teils bedarf ich zu meiner Beruhigung nicht mehr, als mir zu wissen vergönnt ist.«

      »Ich gestehe Dir,« sagte ich zu Alamontade, »Deine Philosophie ist sehr genügsam. Die meinige fordert leider mehr. Sie sucht feste, unbedingte Wahrheit, und findet sie nirgends. Sie sucht Gewißheiten über die wichtigsten Angelegenheiten der menschlichen Natur, und entdeckt nur Zweifel weit umher.«

      Alamontade lächelte sanft, streckte seine Arme empor, und seine Augen glänzten von einem freudigen Strahl. »Auf meinem Eden,« rief er, liegt keine trostlose Nacht! Ich bin . . . und bin im unendlichen, unerforschten All; aus ihm, aus Gott verliert sich nichts. Mein Sein ist mit dem Sein des Weltalls eins. Es ist eine Urkraft; aus ihr bin ich; ihr Name ist auf aller vernünftigen Wesen Zungen; von ihr weht jedem Herzen Ahnung zu; und jeder Vernunft ist's gegeben, sie zu denken, sie zu ehren . . . Und das ist Gott! Und der Gedanke an Gott ist die dunkle Anschauung unseres eigenen geheimnisvollen Wesens; und die Selbstachtung des tugendhaften Geistes für sich ist eine Verehrung des Urgrundes von allem, was ist.«

      Alamontade hatte meine Frage nicht verloren. Er nahm sie nach einiger Zeit wieder auf.

      »Nichts scheint mir natürlicher,« sagte er, »als daß der Mensch tiefer in Zweifeln versinkt, je weiter er den Spuren einer aus der Ferne leuchtenden Wahrheit nacheilt! Die träge Ungewißheit nur allein glaubt alles, sie bezweifelt nichts. Wer sich ihr entreißt, entdeckt unter zehn verehrten Wahrheiten gewiß neun Irrtümer. Beschämt von mannigfachem Selbstbetrug, wird er voll Mißtrauen. Ihm genügt nichts mehr als feste, unumstößliche Gewißheit: er findet sie nirgends, denn überall kann er hinzusetzen: unter andern Verhältnissen könnte doch auch alles anders sein . . . Darum fließen Aberglaube und Unglaube unmittelbar aus derselben Quelle. Der Stuhl Petri zu Rom trug die ersten Gottesläugner der Christenheit . . . Zwischen der Nacht und dem Tage ruht Dämmerung: zwischen Irrtum und Wahrheit das quälende Helldunkel des Zweifels.«

      »Aber warum verschmachtet so mancher in diesen Nebeln, und findet sich nicht hinaus zum Licht?« fragte ich dazwischen.

      »Vielleicht fehlt's manchem,« sagte er, »an Mut, er bleibt stehen, statt in gerader Bahn vorwärts zu schreiten; ein anderer, der die Träume seiner Kindheit liebt, schaudert vor der ungewöhnlichen Gestalt der Wahrheit, und kehrt im Alter dahin zurück, von wannen er kam. Ich kannte in meiner Jugend manchen bußfertigen Gottesläugner. Noch andere suchen das Licht auf falschen Wegen, das heißt, statt fortzuschreiten, drehen sie sich in ihrem Zweifelkreise herum. Sie wollen Überzeugung vom Dasein Gottes und von der Unsterblichkeit der Seele. Um diese Entdeckung zu machen, fangen sie vergebliche Untersuchungen über die Natur der Dinge an, der Kräfte, von denen wir nur die Wirkung, nicht sie selbst wahrnehmen, Sie wollen erfahren, was Gott an sich, und was die Seele an sich sei, während sie ihrer Natur nach doch nur Erscheinungen von beiden erblicken können. Nach fruchtlosen Bemühungen stehen sie in ihrem Halbdunkel wieder auf der alten Stelle, und verzweifeln daran, aus den Irrgängen zu entkommen. Aber bei den meisten entspringt wahrscheinlich die Zweifelskrankheit aus der falschen Anwendung ihrer Geisteskräfte bei Behandlung des großen Gegenstandes. Sie wollen mit der Phantasie erwirken, was nur die Vernunft allein vermag. Sie wollen sich unter Bildern vorstellen, was sich nur denken läßt, wie auch mathematische Punkte und Linien sich denken lassen. Während die Vernunft arbeitet, schiebt die Phantasie unvermerkt den reinen Begriffen Bilder unter, und der getäuschte Philosoph nimmt diese für jene, und verzagt zuletzt am Gelingen seiner Sache. Daher ist jene Krankheit meistens jungen Männern Ihres Alters eigen, mein lieber Herr Abbé, wo man vom Spielplatz der Einbildungskraft in die Werkstatt des Verstandes tritt, beide liebt und beide wirken läßt, und wo dann die ersten Werke unserer Selbstthätigkeit seltsame, wenngleich zuweilen schöne Mißgestalten werden!«

      5.

       Inhaltsverzeichnis

      Dillon überschlug einige Hefte, zog eines der letzten hervor, und las:

      »Und welchen Weg wähltest Du, Alamontade, um Dich aus der düstern Region der Zweifel zum Licht empor zu schwingen?« frug ich ihn eines Tages.

      »Auch mich,« antwortete er, »marterte einst die fürchterliche Ungewißheit über den Wert meines Lebens und über mein künftiges Schicksal. Wem sind diese Gegenstände nicht früher oder später einmal wichtig geworden? Immer aber fand ich nur zwei Wege, welche mich zu einiger Kenntnis über diese Angelegenheiten führen konnten: den Weg der bloßen Erfahrung und den Weg der selbsttätigen Vernunft. Der Pfad der Erfahrung schien mir lange der sichere. Allein bald empfand ich, daß meine Gegenstände außerhalb des Grenzkreises der irdischen Erfahrung liegen; daß ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen und mit den dermaligen Werkzeugen meiner Seele die außersinnlichen Ursachen der Dinge oder Erscheinungen nie kennen lerne, die mich umgeben; daß ich vergebens ringe, Erfahrungen in einer Welt zu machen, für die mir keine Schwingen gegeben worden; daß ich zwar selbst ein Teil dieser dunkeln Welt der Kräfte und Ursachen, aber ohne Wahrnehmungssinn für sie sei, nur Wahrnehmungen für ihre Wirkungen habe. So blieb mir noch allein der Vernunftweg. Ich empfand lebhaft, daß ich, wenn ich von Überzeugungen sprach, auf Gesetze der Vernunft zurücksehen mußte. Was ihnen widersprach,