Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Umständen bekannt zu sein, denn er spielt darauf sehr schonend an. Er hält mich für einen ehrlichen Mann; das freut mich am meisten; auch soll er sich nicht geirrt haben. Ich werde nun selbst, sobald ich kann, nach Trowbridge reisen, und ihm Fleetmann's zwölf Pfund Sterling auf Abschlag meiner ungeheuren Schuld bringen.

       Am 8. Januar.

      Meine Abschiedspredigt war von den Thränen der meisten Zuhörer begleitet. Nun sehe ich erst, daß ich doch den Gemeinden lieb war. Man hat mir von allen Seiten viel Verbindliches gesagt und mich mit Geschenken überhäuft. Nie habe ich so viele Lebensmittel und Leckerbissen aller Art und so viel Wein im Hause gehabt, als jetzt. Hätte ich ehemals, an manchem Nottage, nur den hundertsten Teil davon besessen, ich würde mich für überglücklich gehalten haben. Jetzt schwimmen wir wirklich im Überflusse, aber ein guter Teil davon ist auch schon wieder ausgewandert. Ich kenne einige arme Familien in Crekelade, und Jenny kennt deren noch mehr als ich. Die lieben Leute freuen sich nun mit uns.

      Ich fühlte mein Innerstes von jener Predigt tief ergriffen; unter Thränen hatte ich sie geschrieben. Es war ja ein Scheiden von meiner ganzen bisherigen Welt, von meinem Berufe, von meiner Bestimmung. Ich bin hinweggestoßen aus dem Weinberge, wie ein unnützer Knecht, und habe doch gearbeitet, nicht wie ein Mietling, und habe manche edle Rebe gepflanzt, manches verderbliche Reis hinweggeschnitten. Aber Gottes Wille geschehe!

       Am 13. Januar.

      Meine Reise nach Trowbridge ist über alle Erwartung gut ausgefallen. Ich kam spät nachts mit müden Füßen in dem alten, freundlichen Städtchen an und konnte mich des Morgens erst spät vom Schlaf ermuntern. Nachdem ich mich sauber gekleidet hatte – seit meinem Hochzeitstage ging ich nicht so zierlich; die gute Jenny hatte für ihren Vater töchterlich gesorgt – verließ ich das Wirtshaus und ging zum Herrn Withiel. Er wohnt in einem prächtigen, großen Hause. Anfangs empfing er mich etwas kalt, als ich aber meinen Namen nannte, führte er mich in sein kleines, aber schönes Arbeitsgemach. Hier dankte ich ihm nun für seine große Güte und Nachsicht, erzählte, wie ich zu der Bürgschaft gekommen und welche harte Schicksale ich bisher getragen; dann wollte ich ihm meine zwölf Pfund Sterling auf den Tisch legen. Herr Withiel sah mich lächelnd und mit einer Art Rührung lange schweigend an, reichte mir dann seine Hand, schüttelte die meinige und sagte: »Ich kenne Sie schon. Ich habe mich genau nach Ihnen erkundigt. Sie sind ein Biedermann. Nehmen Sie Ihre zwölf Pfund wieder zu sich; ich kann es nicht über mein Herz bringen, Sie in Ihren Umständen des Neujahrsgeschenks zu berauben. Lieber füge ich eins bei, das Sie wohl so gütig sind, von mir zum Andenken zu nehmen.« Er stand auf, holte aus einem andern Zimmer eine Schrift, schlug sie auf und sagte: »Sie kennen doch diese Bürgschaft und Ihre Unterschrift noch? Ich gebe sie Ihnen und Ihren Kindern.« Er riß das Papier in der Mitte durch und legte es in meine Hand.

      Ich konnte keine Worte finden, so bestürzt war ich. Meine Augen wurden naß. Er sah wohl, daß ich ihm danken wollte und nicht konnte. Er sagte: »Still, still! Keine Silbe mehr, ich bitte Sie! Das ist der einzige Dank, den ich von Ihnen verlange. Ich hätte dem unglücklichen Brook gern die Schuld geschenkt, würde er sich nur offen an mich gewendet haben.« Darauf stellte er mich seiner Gemahlin und seinem Herrn Sohne vor und ließ aus dem Wirtshause mein Bündel holen, worin ich die alten Kleider hatte, und behielt mich in seinem Hause. Es war eine fürstliche Bewirtung. Das Zimmer. in welchem ich die Nacht schlief, die Teppiche, die Betten waren so prachtvoll und köstlich, daß ich mich beinahe fürchtete, davon Gebrauch zu machen. Am folgenden Tage ließ mich Herr Withiel in seiner schönen Kutsche nach Crekelade zurückfahren. Ich schied mit tief bewegtem Herzen von meinem Wohlthäter.

       Am 16. Januar.

      Gestern war der denkwürdigste Tag meines Lebens. Als wir Vormittags im Zimmer beisammen saßen und ich den kleinen Alfred wiegte, Polly aus einem Buche vorlas und Jenny am Fenster saß und nähte, sprang Jenny plötzlich vom Stuhl auf und sank totenbleich zurück. Wir waren alle erschrocken und fragten, was ihr geschehen sei. Sie erzwang ein Lächeln und sagte: »Er kommt!« Indem ging die Thür auf und in zierlichen Reisekleidern trat Herr Fleetmann herein. Wir begrüßten ihn alle recht herzlich und freuten uns, ihn so unerwartet bald und, wie es scheine, in besseren Umständen wieder zu sehen als das erste Mal. Er umarmte mich, er küßte Polly; er verneigte sich gegen Jenny, die sich noch nicht vom Schrecken erholen konnte. Ihre Blässe entging ihm nicht und er fragte sehr bekümmert um ihr Befinden. Polly erklärte ihm alles. Dann küßte er Jennys Hand, als wolle er ihr abbitten, ihr den Schrecken verursacht zu haben.

      Ich befahl Wein und Kuchen zu bringen, meinen Gast und teuern Wohlthäter stattlicher als das erste Mal zu bewirten, aber er lehnte es ab; er könne nicht lange bei uns verweilen; er habe Gesellschaft bei sich im Wirtshause. Doch auf Jennys Bitten gehorchte er und setzte sich, den Wein mit uns zu teilen.

      Ich goß für alle Wein ein und wir tranken auf das Wohl unseres Wohlthäters. Fleetmann ging zur Wiege, betrachtete das Kind darin, und als ihm Polly und ich die Begebenheit erzählt hatten, sagte er lächelnd zu Polly: »Sie haben mich also nicht erkannt, als ich Ihnen das Neujahrsgeschenk überreichte?« Wir alle riefen mit unglaublichem Erstaunen: »Wer! Sie?«

      Nun erzählte er ungefähr folgendermaßen: »Ich heiße nicht Fleetmann, sondern ich bin der Baronet Cecil Fairford. In einem unseligen, vielfältigen Prozesse hielt meines Vaters Bruder, gestützt auf ältere, zweideutige Verträge, mir und meiner Schwester das gesamte Vermögen unseres verstorbenen Vaters zurück. Wir lebten bis dahin nur kümmerlich von dem, was unsere früher verstorbene Mutter von ihrem wenigen Vermögen hinterlassen hatte. Meine Schwester litt dabei am meisten von der Tyrannei des Oheims, der ihr Vormund war. Derselbe hatte sie schon dem Sohne eines seiner vertrautesten und mächtigsten Freunde zur Gemahlin bestimmt, meine Schwester hingegen sich heimlich dem jungen Lord Sandom zugesagt, dessen Vater aber damals noch lebte, welcher wider dieser Vermählung war. Ohne Vorwissen des Oheims und des alten Lords fand die Vermählung dennoch in geheimnisvoller Stille statt; die Frucht dieser Ehe war der kleine Alfred. Es gelang, meine Schwester auf ein Vierteljahr unter dem Vorwande, ihre Gesundheit herzustellen und Seebäder zu gebrauchen, unter meiner Aufsicht und Verantwortlichkeit aus dem Hause des Vormundes zu entfernen. Nach ihrer Niederkunft war uns sehr darum zu thun, das Kind in gute und unerforschbare Hand und Pflege zu geben. Ich hörte zufällig einen rührenden Zug von der Armut und Menschenliebe des Pfarr-Vikars von Crekelade und begab mich selbst hierher, mich zu überzeugen. Die Art, wie Sie mich aufnahmen, entschied. Ich habe vergessen zu sagen, daß meine Schwester nicht mehr in das Haus des Oheims zurückgekehrt ist, denn schon vor vier Monaten gewann ich gegen ihn den Prozeß und trat in den Besitz meiner, mir rechtmäßig gehörenden väterlichen Güter. Während der Vormund einen neuen Prozeß gegen mich wegen Auslieferung meiner Schwester angestrengt hat, ist vor wenigen Tagen der alte Lord, vom Schlage gerührt, gestorben und mein Schwager erklärt nun seine Vermählung öffentlich. Damit ist der Prozeß zu Ende, auch die Ursache gehoben, das Geheimnis des Kindes länger zu verbergen. Die Eltern sind mit mir gekommen, ihr Kind abzuholen, so wie ich gekommen bin, Sie selbst mit Ihrer Familie abzuholen, wenn Sie meinen Antrag nicht verschmähen. Während des Prozesses, den ich führte, blieb nämlich die Pfarrei unbesetzt, wovon meiner Familie das Patronat zusteht. Es ist an mir, die Pfründe, welche mit den großen und kleinen Zehnten über zweihundert Pfund Sterling einträgt, zu vergeben. Sie, Herr Vikar, haben Ihre Stelle verloren. Ich kann nur glücklich sein, wenn Sie in meiner Nähe wohnen und die Pfarrei annehmen.«

      Gott allein weiß, wie mir bei diesen Worten zu Mute ward. Meine Augen verdunkelten sich unter Freudenthränen. Ich streckte meine Hände nach dem Manne aus, der mir ein Bote des Himmels ward; ich fiel an seine Brust. Dann umschlang ihn Polly mit Freudengeschrei und Jenny küßte dankbar die Hand des Baronets. Er aber riß sich mit sichtbarer Rührung los und verließ uns.

      Noch hielten mich meine entzückten Kinder umarmt, noch vermischten sich unsere Thränen und Glückwünsche, als der Baronet wieder hereintrat, mit ihm sein Schwager Lord Sandom und Dessen Gemahlin. Diese, eine ungemein schöne junge Dame, ging, ohne uns zu begrüßen, zur Wiege des Kindes, kniete vor dem kleinen Alfred nieder, küßte seine Wange und weinte mit ausgelassenem Schmerze und Entzücken.

      Nachdem sie sich erholt und sich bei uns allen wegen ihres Betragens entschuldigt hatte, dankte sie in den rührendsten Ausdrücken