Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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was man dir auch sage«. Es ist in Son­der­heit mäch­ti­ger als die Macht der Wahr­heit. Die Mensch­heit bringt so sel­ten ein gu­tes Buch her­vor, in dem mit küh­ner Frei­heit das Schlacht­lied der Wahr­heit, das Lied des phi­lo­so­phi­schen He­ro­is­mus an­ge­stimmt wird: und doch hängt es von den elen­des­ten Zu­fäl­lig­kei­ten, von plötz­li­chen Ver­fins­te­run­gen der Köp­fe, von aber­gläu­bi­schen Zu­ckun­gen und An­ti­pa­thi­en, zu­letzt selbst von schrei­befau­len Fin­gern oder gar von Kerb­wür­mern und Re­gen­wet­ter ab, ob es noch ein Jahr­hun­dert län­ger lebt oder zu Mo­der und Gide wird. Doch wol­len wir nicht kla­gen, viel­mehr uns selbst die Ab­fer­ti­gungs- und Trost­wor­te Ha­mann’s ge­sagt sein las­sen, die er an die Ge­lehr­ten rich­tet, die über ver­lor­ne Wer­ke kla­gen: »Hat­te der Künst­ler, wel­cher mit ei­ner Lin­se durch ein Na­delöhr traf, nicht an ei­nem Schef­fel Lin­sen ge­nug zur Übung sei­ner er­wor­be­nen Ge­schick­lich­keit? Die­se Fra­ge möch­te man an alle Ge­lehr­te thun, wel­che die Wei­le der Al­ten nicht klü­ger als Je­ner die Lin­sen zu ge­brau­chen wis­sen.« Es wäre in un­se­rem Fal­le noch hin­zu­zu­fü­gen, daß uns lein Wort, kei­ne An­ek­do­te, lei­ne Jah­res­zahl mehr über­lie­fert zu sein brauch­te, als über­lie­fert ist, ja daß selbst viel we­ni­ger uns er­hal­ten sein dürf­te, um die all­ge­mei­ne Leh­re fest­zu­stel­len, daß die Grie­chen die Phi­lo­so­phie recht­fer­ti­gen.

      1 Von *) bis *) vgl. Vom Nut­zen und Nacht­heil der His­to­rie für das Le­ben, Bd. II S. 146/47. <<<

      3.

      Die grie­chi­sche Phi­lo­so­phie scheint mit ei­nem un­ge­reim­ten Ein­fal­le zu be­gin­nen, mit dem Sat­ze: daß das Was­ser der Ur­sprung und der Mut­ter­schooß al­ler Din­ge sei. Ist es wirk­lich nö­thig, hier­bei stil­le zu ste­hen und ernst zu wer­den? Ja, und aus drei Grün­den: ers­tens weil der Satz Et­was vom Ur­sprung der Din­ge aus­sagt; zwei­tens weil er dies ohne Bild und Fa­be­lei thut; und end­lich drit­tens, weil in ihm, wenn­gleich nur im Zu­stan­de der Ver­pup­pung, der Ge­dan­ke ent­hal­ten ist »Al­les ist Eins«. Der erst­ge­nann­te Grund läßt Tha­les noch in der Ge­mein­schaft mit Re­li­gi­ösen und Aber­gläu­bi­schen, der zwei­te aber nimmt ihn aus die­ser Ge­sell­schaft und zeigt uns ihn als Na­tur­for­scher, aber ver­mö­ge des drit­ten Grun­des gilt Tha­les als der ers­te grie­chi­sche Phi­lo­soph. Hät­te er ge­sagt: aus Was­ser wird Erde, so hät­ten wir nur eine wis­sen­schaft­li­che Hy­po­the­se, eine falsche, aber doch schwer wi­der­leg­ba­re. Aber er gieng über das Wis­sen­schaft­li­che hin­aus. Tha­les hat in der Dar­stel­lung die­ser Ein­heits-Vor­stel­lung durch die Hy­po­the­se vom Was­ser den nied­ri­gen Stand der phy­si­ka­li­schen Ein­sich­ten sei­ner Zeit nicht über­wun­den, son­dern höchs­tens über­sprun­gen. Die dürf­ti­gen und un­ge­ord­ne­ten Beo­b­ach­tun­gen em­pi­ri­scher Art, die Tha­les über das Vor­kom­men und die Ver­wand­lun­gen des Was­sers oder, ge­nau­er, des Feuch­ten, ge­macht hat­te, hät­ten am we­nigs­ten eine sol­che un­ge­heu­re Ver­all­ge­mei­ne­rung er­laubt oder gar an­ge­rat­hen; Das, was zu die­ser trieb, war ein me­ta­phy­si­scher Glau­bens­satz, der sei­nen Ur­sprung in ei­ner mys­ti­schen In­tui­ti­on hat und dem wir bei al­len Phi­lo­so­phien, sammt den im­mer er­neu­ten Ver­su­chen, ihn bes­ser aus­zu­drücken, be­geg­nen: – der Satz » Al­les ist Eins«.

      Es ist merk­wür­dig, wie ge­walt­her­risch ein sol­cher Glau­be mit al­ler Em­pi­rie ver­fährt: ge­ra­de an Tha­les kann man ler­nen, wie es die Phi­lo­so­phie, zu al­len Zei­ten, ge­macht hat, wenn sie zu ih­rem ma­gisch an­zie­hen­den Zie­le, über die He­cken der Er­fah­rung hin­weg, hin­über­woll­te. Sie springt auf leich­ten Stüt­zen vor­aus: die Hoff­nung und die Ah­nung be­flü­geln ih­ren Fuß. Schwer­fäl­lig keucht der rech­nen­de Ver­stand hin­ter­drein und sucht bes­se­re Stüt­zen, um auch selbst je­nes lo­cken­de Ziel zu er­rei­chen, an dem der gött­li­che­re Ge­fähr­te schon an­ge­langt ist. Man glaubt, zwei Wan­de­rer an ei­nem wil­den, Stei­ne mit sich fort­wäl­zen­den Wald­bach zu se­hen: der eine springt leicht­fü­ßig hin­über, die Stei­ne be­nut­zend und sich auf ih­nen im­mer wei­ter schwin­gend, ob sie auch jäh hin­ter ihm in die Tie­fe sin­ken. Der an­de­re steht alle Au­gen­bli­cke hül­f­los da, er muß sich erst Fun­da­men­te bau­en, die sei­nen schwe­ren, be­däch­ti­gen Schritt er­tra­gen, mit­un­ter geht dies nicht, und dann hilft ihm kein Gott über den Bach. Was bringt also das phi­lo­so­phi­sche Den­ken so schnell an sein Ziel? Un­ter­schei­det es sich von dem rech­nen­den und ab­mes­sen­den Den­ken etwa nur durch das ra­sche­re Durch­flie­gen großer Räu­me? Nein, denn es hebt sei­nen Fuß eine frem­de, un­lo­gi­sche Macht, die Phan­ta­sie. Durch sie ge­ho­ben, springt es wei­ter von Mög­lich­keit zu Mög­lich­keit, die einst­wei­len als Si­cher­hei­ten ge­nom­men wer­den: hier und da er­greift es selbst Si­cher­hei­ten im Flu­ge. Ein ge­nia­li­sches Vor­ge­fühl zeigt sie ihm, es er­räth von fer­ne, daß an die­sem Punk­te be­weis­ba­re Si­cher­hei­ten sind. Be­son­ders aber ist die Kraft der Phan­ta­sie mäch­tig im blitz­ar­ti­gen Er­fas­sen und Be­leuch­ten von Ähn­lich­kei­ten: die Re­fle­xi­on bringt nach­her ihre Maß­stä­be und Scha­blo­nen her­an und sucht die Ähn­lich­kei­ten durch Gleich­hei­ten, das Ne­ben­ein­an­der-Ge­schau­te durch Cau­sa­li­tä­ten zu er­set­zen. Aber selbst, wenn dies nie mög­lich sein soll­te, selbst im Fal­le des