Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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je­nen schwü­len und ver­derb­ten Hauch, der über der Stät­te der Uni­ver­si­täts­bil­dung lag. Plötz­lich sah er mit er­schreck­tem, weit­ge­öff­ne­tem Auge die hier un­ter Ge­lehr­sam­kei­ten al­ler Art künst­lich ver­steck­te un­deut­sche Bar­ba­rei, plötz­lich ent­deck­te er sei­ne eig­nen Ka­me­ra­den, wie sie füh­rer­los ei­nem wi­der­li­chen Ju­gend­tau­mel über­las­sen wur­den. Und er er­grimm­te. Mit der glei­chen Mie­ne der stol­zes­ten Em­pö­rung er­hob er sich, mit der sein Fried­rich Schil­ler einst die »Räu­ber« vor den Ge­nos­sen re­ci­tirt ha­ben moch­te: und wenn die­ser sei­nem Schau­spiel das Bild ei­nes Lö­wen und die Auf­schrift »in ty­ran­nos« ge­ge­ben hat­te, so war sein Jün­ger selbst je­ner zum Sprun­ge sich an­schi­cken­de Löwe: und wirk­lich er­zit­ter­ten alle »Ty­ran­nen«. Ja, die­se em­pör­ten Jüng­lin­ge sa­hen für den scheu­en und ober­fläch­li­chen Blick nicht viel an­ders aus als Schil­ler’s Räu­ber: ihre Re­den klan­gen dem ängst­li­chen Hor­cher wohl so, als ob Spar­ta und Rom ge­gen sie Non­nen­k­lös­ter ge­we­sen wä­ren. Der Schre­cken über die­se em­pör­ten Jüng­lin­ge war so all­ge­mein, wie ihn nicht ein­mal jene »Räu­ber« in der Sphä­re der Höfe er­regt hat­ten: von de­nen doch ein deut­scher Fürst, nach Goethe’s Er­klä­rung, ein­mal ge­äu­ßert ha­ben soll: »wäre er Gott und hät­te er die Ent­ste­hung der Räu­ber vor­aus­ge­se­hen, so wür­de er die Welt nicht ge­schaf­fen ha­ben«.

      Wo­her die un­be­greif­li­che Stär­ke die­ses Schre­ckens? Denn jene em­pör­ten Jüng­lin­ge wa­ren die tap­fers­ten, be­gab­tes­ten und reins­ten un­ter ih­ren Ge­nos­sen: eine groß­her­zi­ge Un­be­küm­mert­heit, eine edle Ein­falt der Sit­te zeich­ne­te sie in Ge­bär­de und Tracht aus: die herr­lichs­ten Ge­bo­te ver­knüpf­ten sie un­ter ein­an­der zu stren­ger und from­mer Tüch­tig­keit: was konn­te man an ih­nen fürch­ten? Es ist nie zur Klar­heit zu brin­gen, wie weit man bei die­ser Furcht sich be­trog oder sich ver­stell­te oder wirk­lich das Rech­te er­kann­te: aber ein fes­ter In­stinkt sprach aus die­ser Furcht und aus der schmach­vol­len und un­sin­ni­gen Ver­fol­gung. Die­ser In­stinkt haß­te mit zä­hem Has­se zwei­er­lei an der Bur­schen­schaft: ein­mal ihre Or­ga­ni­sa­ti­on, als den ers­ten Ver­such ei­ner wah­ren Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on, und so­dann den Geist die­ser Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on, je­nen männ­lich erns­ten, schwer­ge­muthen, har­ten und küh­nen deut­schen Geist, je­nen aus der Re­for­ma­ti­on her ge­sund be­wahr­ten Geist des Berg­manns­soh­nes Luther.

      An das Schick­sal der Bur­schen­schaft denkt nun, wenn ich fra­ge: hat die deut­sche Uni­ver­si­tät da­mals je­nen Geist ver­stan­den, als so­gar die deut­schen Fürs­ten ihn in ih­rem Has­se ver­stan­den zu ha­ben schei­nen? Hat sie kühn und ent­schie­den ih­ren Arm um ihre edels­ten Söh­ne ge­schlun­gen, mit dem Wor­te, »mich müßt ihr töd­ten, ehe ihr die­se töd­tet?« – Ich höre eure Ant­wort: an ihr sollt ihr er­mes­sen, ob die deut­sche Uni­ver­si­tät eine deut­sche Bil­dungs­an­stalt ist.

      Da­mals hat der Stu­dent ge­ahnt, in wel­chen Tie­fen eine wah­re Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on wur­zeln muß: näm­lich in ei­ner in­ner­li­chen Er­neue­rung und Er­re­gung der reins­ten sitt­li­chen Kräf­te. Und dies soll dem Stu­den­ten im­mer­dar zu sei­nem Ruh­me nach­er­zählt wer­den. Auf den Schlacht­fel­dern mag er ge­lernt ha­ben, was er am we­nigs­ten in der Sphä­re der »aka­de­mi­schen Frei­heit« ler­nen konn­te: daß man große Füh­rer braucht, und daß alle Bil­dung mit dem Ge­hor­sam be­ginnt. Und mit­ten in dem sieg­rei­chen Ju­bel, im Ge­dan­ken an sein be­frei­tes Va­ter­land hat­te er sich das Gelöb­niß ge­ge­ben, deutsch zu blei­ben. Deutsch! Jetzt lern­te er den Ta­ci­tus ver­stehn, jetzt be­griff er den ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv Kant’s, jetzt ent­zück­te ihn die Ley­er- und Schwert­wei­se Karl Ma­ria von We­ber’s. Die Tho­re der Phi­lo­so­phie, der Kunst, ja des Al­ter­thums spran­gen vor ihm auf – und in ei­ner der denk­wür­digs­ten Blut­t­ha­ten, in der Er­mor­dung Kot­ze­bue’s räch­te er, mit tie­fem In­stink­te und schwär­me­ri­scher Kurz­sich­tig­keit, sei­nen ein­zi­gen zu zei­tig am Wi­der­stan­de der stump­fen Welt ver­zehr­ten Schil­ler, der ihm hät­te Füh­rer, Meis­ter, Or­ga­ni­sa­tor sein kön­nen und den er jetzt mit so herz­li­chem In­grim­me ver­miß­te.

      Denn das war das Ver­häng­niß je­ner ah­nungs­vol­len Stu­den­ten: sie fan­den die Füh­rer nicht, die sie brauch­ten. All­mäh­lich wur­den sie un­ter­ein­an­der selbst un­si­cher, un­eins, un­zu­frie­den; un­glück­li­che Un­ge­schickt­hei­ten ver­rie­then nur zu bald, daß es an dem Al­les über­schat­ten­den Ge­ni­us in ih­rer Mit­te man­ge­le: und jene mys­te­ri­öse Blut­t­hat ver­rieth ne­ben ei­ner er­schre­cken­den Kraft auch eine er­schre­cken­de Ge­fähr­lich­keit je­nes Man­gels. Sie wa­ren füh­rer­los – und dar­um gien­gen sie zu Grun­de.

      Denn ich wie­der­ho­le es, mei­ne Freun­de! – alle Bil­dung fängt mit dem Ge­gent­hei­le al­les Des­sen an, was man jetzt als aka­de­mi­sche Frei­heit preist, mit dem Ge­hor­sam, mit der Un­ter­ord­nung, mit der Zucht, mit der Dienst­bar­keit. Und wie die großen Füh­rer der Ge­fähr­ten be­dür­fen, so be­dür­fen die zu Füh­ren­den der Füh­rer: Hier herrscht in der Ord­nung der Geis­ter eine ge­gen­sei­ti­ge Prä­dis­po­si­ti­on, ja eine Art von prä­sta­bi­lir­ter Har­mo­nie. Die­ser ewi­gen Ord­nung, zu der mit na­tur­ge­mäßem Schwer­ge­wich­te die Din­ge im­mer wie­der hin­stre­ben, will ge­ra­de jene Cul­tur stö­rend und ver­nich­tend ent­ge­gen­ar­bei­ten, jene Cul­tur, die jetzt auf dem Thro­ne der Ge­gen­wart sitzt. Sie will die Füh­rer zu ih­rem Frohn­diens­te er­nied­ri­gen oder sie zum Ver­schmach­ten brin­gen: sie lau­ert den zu Füh­ren­den auf, wenn sie nach ih­rem prä­des­ti­nir­ten Füh­rer su­chen, und über­täubt durch be­rau­schen­de Mit­tel ih­ren su­chen­den In­stinkt. Wenn aber trotz­dem die für ein­an­der Be­stimm­ten sich kämp­fend und ver­wun­det zu­sam­men­ge­fun­den ha­ben, dann giebt es ein tief er­reg­tes won­ni­ges Ge­fühl, wie bei dem Er­klin­gen ei­nes ewi­gen Sai­ten­spiels, ein Ge­fühl, das ich euch nur mit ei­nem Gleich­nis­se er­rat­hen las­sen möch­te.

      Habt ihr euch ein­mal, in ei­ner Mu­sik­pro­be, mit ei­ni­ger Theil­nah­me die son­der­ba­re ver­schrumpft-gut­müthi­ge Spe­cies des Men­schen­ge­schlechts an­ge­sehn, aus der das deut­sche Or­che­s­ter sich zu bil­den pflegt? Wel­che Wech­sel­spie­le der lau­nen­haf­ten Göt­tin »Form«! Wel­che Na­sen und Ohren, wel­che un­ge­len­ken oder klap­per­dürr­ra­scheln­den Be­we­gun­gen! Denkt ein­mal, daß ihr taub wä­ret und von der Exis­tenz des Tons und der Mu­sik nicht ein­mal et­was ge­träumt hät­tet und daß ihr das Schau­spiel ei­ner Or­che­s­te­re­vo­lu­ti­on rein als plas­ti­sche Ar­tis­ten ge­nie­ßen soll­tet: ihr wür­det euch, un­ge­stört durch die idea­li­si­ren­de Wir­kung des Tons, gar nicht satt se­hen kön­nen an der mit­tel­al­ter­lich der­ben Holz­schnitts­ma­nier die­ser Ko­mik, an die­ser harm­lo­sen Par­odie auf den ho­mo sa­pi­ens.

      Nun denkt euch wie­der­um eu­ren Sinn für Mu­sik wie­der­keh­rend, eure Ohren er­schlos­sen und an der Spit­ze des Or­che­s­ters einen ehr­sa­men Takt­schlä­ger in an­ge­mes­se­ner Thä­tig­keit: die Ko­mik je­ner Fi­gu­ra­tio­nen ist jetzt für euch nicht mehr da, ihr hört – aber der Geist der Lan­ge­wei­le scheint euch aus dem ehr­sa­men Takt­schlä­ger auf sei­ne Ge­sel­len über­zu­ge­hen. Ihr seht nur noch das Schlaf­fe, Weich­li­che, ihr hört nur noch das Rhyth­misch-Un­ge­naue, das Me­lo­disch-Ge­mei­ne