allen Reihen wieder. Hier heißt die erste Pflicht: in Reih und Glied kämpfen, die zweite: alle Die zu vernichten, die sich nicht in Reih und Glied stellen wollen. Der andre Weg führt euch mit seltneren Wandergenossen zusammen, er ist schwieriger, verschlungener und steiler: Die, welche auf dem ersten gehen, verspotten euch, weil ihr dort mühsamer schreitet, sie versuchen es auch wohl, euch zu sich hinüberzulocken. Wenn aber einmal beide Wege sich kreuzen, so werdet ihr mißhandelt, bei Seite gedrängt, oder man weicht euch scheu aus und isolirt euch.
Was würde nun, für die so verschiedenartigen Wanderer beider Wege, eine Bildungsanstalt zu bedeuten haben? Jener ungeheure Schwarm, der sich auf dem ersten Wege zu seinen Zielen drängt, versteht darunter eine Institution, wodurch er selbst in Reih und Glied aufgestellt wird und von der Alles abgeschieden und losgelöst wird, was etwa nach höheren und entlegeneren Zielen hinstrebt. Freilich verstehen sie es prunkende Worte für ihre Tendenzen in Umlauf zu bringen: sie reden zum Beispiel von der »allseitigen Entwicklung der freien Persönlichkeit innerhalb fester gemeinsamer nationaler und menschlich-sittlicher Überzeugungen«, oder nennen als ihr Ziel »die Begründung des auf Vernunft, Bildung, Gerechtigkeit ruhenden Volksstaates«.
Für die andere kleinere Schaar ist eine Bildungsanstalt etwas durchaus Verschiedenes. Diese will, an der Schutzwehr einer festen Organisation, verhüten, daß sie selbst, durch jenen Schwarm, weggeschwemmt und auseinandergetrieben werde, daß ihre Einzelnen in frühzeitiger Ermattung oder abgelenkt, entartet, zerstört, ihre edele und erhabene Aufgabe aus dem Auge verlieren. Diese Einzelnen sollen ihr Werk vollenden, das ist der Sinn ihrer gemeinschaftlichen Institution – und zwar ein Werk, das gleichsam von den Spuren des Subjekts gereinigt und über das Wechselspiel der Zeiten hinausgetragen sein soll, als lautere Widerspiegelung des ewigen und unveränderlichen Wesens der Dinge. Und Alle, die an jenem Institute Theil haben, sollen auch mit bemüht sein, durch eine solche Reinigung vom Subjekt, die Geburt des Genius und die Erzeugung seines Werkes vorzubereiten. Nicht Wenige, auch aus der Reihe der zweiten und dritten Begabungen, sind zu einem solchen Mithelfen bestimmt und kommen nur im Dienste einer solchen wahren Bildungs-Institution zu dem Gefühl, ihrer Pflicht zu leben. Jetzt aber werden gerade diese Begabungen von den unausgesetzten Verführungskünsten jener modischen »Cultur« aus ihrer Bahn abgelenkt und ihrem Instinkte entfremdet.
An ihre egoistischen Regungen, an ihre Schwächen und Eitelkeiten richtet sich diese Versuchung, ihnen gerade flüstert jener Zeitgeist zu: »Folgt mir! Dort seid ihr Diener, Gehülfen, Werkzeuge, von höheren Naturen überstrahlt, eurer Eigenart niemals froh, an Fäden gezogen, an Ketten gelegt, als Sklaven, ja als Automaten: hier, bei mir, genießt ihr als Herrn eure freie Persönlichkeit, eure Begabungen dürfen für sich glänzen, mit ihnen werdet ihr selbst an der ersten Stelle stehn, ungeheures Gefolge wird euch begleiten, und der Zuruf der öffentlichen Meinung wird euch mehr behagen, als eine vornehm gespendete Belobigung aus der Höhe des Genius.« Solchen Verlockungen unterliegen jetzt die Allerbesten: und im Grunde entscheidet wohl hier kaum der Grad der Begabung, ob man für derartige Stimmen zugänglich ist oder nicht, sondern die Höhe und der Grad einer gewissen sittlichen Erhabenheit, der Instinkt zum Heroismus, zur Aufopferung – und endlich ein sicheres, zur Sitte gewordenes, durch richtige Erziehung eingeleitetes Bedürfniß der Bildung: als welche, wie ich schon sagte, vor Allem Gehorsam und Gewöhnung an die Zucht des Genius ist. Gerade aber von einer solchen Zucht, einer solchen Gewöhnung wissen die Institute, die man jetzt »Bildungsanstalten« nennt, so viel wie nichts: obwohl es mir nicht zweifelhaft ist, daß das Gymnasium ursprünglich als eine derartige wahre Bildungsinstitution, wenigstens als vorbereitende Veranstaltung, gemeint war und in den wunderbaren, tiefsinnig erregten Zeiten der Reformation die ersten kühnen Schritte auf einer solchen Bahn wirklich gethan hat, ebenfalls, daß sich in der Zeit unseres Schiller, unseres Goethe wieder Etwas von jenem schmählich abgeleiteten oder sekretirten Bedürfnisse merken ließ, gleichsam als ein Keim jener Schwinge, von der Plato im Phädrus redet und welche die Seele, bei jeder Berührung mit dem Schönen, beflügelt und emporträgt – nach dem Reiche der unwandelbaren reinen eingestalten Urbilder der Dinge.«
»Ach, mein verehrter und ausgezeichneter Lehrer,« begann jetzt der Begleiter, »nachdem Sie den göttlichen Plato und die Ideenwelt citirt haben, glaube ich nicht mehr daran, daß Sie mir zürnen, so sehr ich auch durch meine vorige Rede Ihre Mißbilligung und Ihren Zorn verdient habe. Sobald Sie reden, regt sich bei mir jene platonische Schwinge; und nur in den Zwischenpausen habe ich, als Wagenlenker meiner Seele, mit dem widerstrebenden, wilden und ungeberdigen Rosse rechte Mühe, das Plato auch beschrieben hat und von dem er sagt, es sei schief und ungeschlacht, mit starrem Nacken, kurzem Hals und platter Nase, schwarzgefärbt, grauen blutunterlaufenen Auges, an den Ohren struppicht und schwerhörig, zu Frevel und Unthat allezeit bereit und kaum durch Geißel und Stachelstab lenkbar. Denken Sie sodann daran, wie lange ich von Ihnen entfernt gelebt habe und wie gerade auch an mir alle jene Verführungskünste sich erproben konnten, von denen Sie redeten, vielleicht doch nicht ohne einigen Erfolg, wenn auch fast unbemerkt vor mir selber. Ich begreife gerade jetzt stärker als je, wie nothwendig eine Institution ist, welche es uns ermöglicht, mit den seltenen Männern wahrer Bildung zusammenzuleben, um an ihnen Führer und Leitsterne zu haben. Wie stark empfinde ich die Gefahr des einsamen Wanderns! Und wenn ich, wie ich Ihnen sagte, aus dem Gewühl und der direkten Berührung mit dem Zeitgeiste mich durch Flucht zu retten wähnte, so war selbst diese Flucht eine Täuschung. Fortwährend, aus unzähligen Adern, mit jedem Athemzuge quillt jene Atmosphäre in uns hinein, und keine Einsamkeit ist einsam und ferne genug, wo sie uns nicht, mit ihren Nebeln und Wolken, zu erreichen wüßte. Als Zweifel, als Gewinn, als Hoffnung und Tugend verkleidet, in der wechselreichsten Maskentracht umschleichen uns die Bilder jener Cultur: und selbst hier in Ihrer Nähe, das heißt gleichsam an der Hand eines wahren Bildungseremiten wußte uns jene Gaukelei zu verführen. Wie beständig und treu muß jene kleine Schaar einer fast sektirerisch zu nennenden Bildung unter sich wachen! Wie sich gegenseitig stärken! Wie streng muß hier der Fehltritt gerügt, wie mitleidig verziehn werden! So verzeihen Sie nun auch mir, mein Lehrer, nachdem Sie mich so ernst zurechtgewiesen haben!«
»Du führst eine Sprache, mein Guter«, sagte der Philosoph, »die ich nicht mag, und die an religiöse Conventikel erinnert. Damit habe ich nichts zu thun. Aber dein platonisches Pferd hat mir