da sind.«
Hier recitirte mein Freund sofort:
»Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es uns gelingen,
»Das leichte Naturell zu zwingen,
»Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.«
Der Philosoph wunderte sich und blieb stehen. »Ihr überrascht mich«, sagte er, »meine Herren Irrlichter: dies ist doch kein Sumpf! Was haben Sie von dieser Stätte? Was bedeutet Ihnen die Nähe eines Philosophen? Da ist die Luft scharf und klar, da ist der Boden trocken und hart. Ihr müßt euch eine phantastischere Region für eure Zickzackneigungen aussuchen.«
»Ich denke«, sprach hier der Begleiter dazwischen, »die Herren haben uns bereits gesagt, daß ein Versprechen sie für diese Stunde an diesen Ort bindet: aber wie mich dünkt, haben sie auch, als Chor, unserer Bildungskomödie zugehört und zwar als wahrhaft »idealische Zuschauer« – denn sie haben uns nicht gestört, wir glaubten miteinander allein zu sein.«
»Ja«, sagte der Philosoph, »das ist wahr: dieses Lob darf Ihnen nicht versagt werden, aber es schien mir, daß Sie noch ein größeres verdienten –«
Hier erfaßte ich die Hand des Philosophen und sagte: »Der muß ja stumpf wie ein Reptil sein, Bauch am Boden, Kopf im Schlamme, der solche Reden, wie die Ihrigen, anhören könnte, ohne ernst und nachdenklich, ja erregt und heiß zu werden. Vielleicht würde der Eine oder der Andere dabei ergrimmen, aus Verdruß und Selbstanklage; bei uns aber war der Eindruck anders, nur daß ich nicht weiß, wie ich ihn beschreiben soll. Gerade diese Stunde war für uns so ausgesucht, unsere Stimmung war so vorbereitet, wir saßen da wie offene Gefäße – nun scheint es, daß wir uns mit dieser neuen Weisheit überfüllt haben, denn ich weiß mir gar nicht mehr zu helfen, und wenn mich Jemand fragte, was ich am morgenden Tage thun wolle oder was ich überhaupt mir von jetzt ab zu thun vornähme, so würde ich gar nicht zu antworten wissen. Denn offenbar haben wir bis jetzt ganz anders gelebt, ganz anders uns gebildet, als es recht ist – aber was machen wir, um über die Kluft von heute zu morgen hinwegzukommen?«
»Ja«, bestätigte mein Freund, »so geht es auch mir, so frage ich gleichfalls: dann aber ist mir’s, als ob ich überhaupt durch so hohe und ideale Ansichten über die Aufgabe der deutschen Bildung von ihr fortgescheucht würde, ja als ob ich nicht würdig sei, an ihrem Werke mitzubauen. Ich sehe nur einen glänzenden Zug der allerreichsten Naturen nach jenem Ziele sich hinbewegen, ich ahne, über welche Abgründe hin, an welchen Verlockungen vorbei dieser Zug führt. Wer darf so kühn sein, diesem Zuge sich zuzugesellen?«
Hier wendete sich auch der Begleiter wieder an den Philosophen und sagte: »Verargen Sie es auch mir nicht, wenn ich etwas Ähnliches empfinde und wenn ich es jetzt vor Ihnen ausspreche. In der Unterredung mit Ihnen geht es mir oft so, daß ich mich über mich selbst hinausgehoben fühle und mich an Ihrem Muthe, Ihren Hoffnungen, bis zum Selbstvergessen, erwärme. Dann kommt ein kühlerer Augenblick, irgend ein scharfer Wind der Wirklichkeit bringt mich zum Besinnen – und dann sehe ich nur die weit zwischen uns aufgerissne Kluft, über die Sie selbst mich, wie im Traume, wegtrugen. Was Sie Bildung nennen, das schlottert dann um mich herum oder lastet schwer auf meiner Brust, das ist ein Panzerhemd, durch das ich niedergedrückt werde, ein Schwert, das ich nicht schwingen kann.«
Plötzlich waren wir Drei, angesichts des Philosophen, einmüthig, und uns gegenseitig stimulirend und ermuthigend brachten wir etwa Folgendes gemeinschaftlich vor, während wir mit dem Philosophen auf der baumfreien Fläche, die uns an jenem Tage als Schießplatz gedient hatte, langsam auf- und abgiengen, in völlig schweigsamer Nacht und unter einem ruhig ausgespannten Sternenhimmel.
»Sie haben soviel vom Genius gesprochen«, sagten wir etwa, »von seiner einsamen beschwerlichen Wanderung durch die Welt, als ob die Natur nur immer die äußersten Gegensätze producire, einmal die stumpfe schlafende, durch Instinkte fortwuchernde Masse und dann in ungeheurer Entfernung davon, die großen contemplativen, zu ewigen Schöpfungen ausgerüsteten Einzelnen. Nun aber nennen Sie diese selbst die Spitze der intellektuellen Pyramide: es scheint doch, daß vom breiten schwerbelasteten Fundamente aus bis zu dem frei ragenden Gipfel zahllose Zwischengrade nöthig sind, und daß gerade hier der Satz gelten muß: natura non facit saltus. Wo aber beginnt nun Das, was Sie Bildung nennen, bei welchen Quadern scheidet sich die Sphäre, die von unten her und die andere, die von oben her beherrscht wird? Und wenn nur bei diesen entlegensten Naturen wahrhaft von Bildung geredet werden darf, wie will man auf das unberechenbare Dasein solcher Naturen Institutionen gründen, wie darf man über Bildungsanstalten nachdenken, die eben nur jenen Auserwählten zu gute kämen? Vielmehr dünkt es uns, daß gerade diese ihren Weg zu finden wissen, und daß dann ihre Kraft sich zeigt, ohne solche Bildungskrücken, wie sie jeder Andere braucht, gehen zu können und so, ungestört, durch das Drängen und Stoßen der Weltgeschichte hindurchzuschreiten, gleichsam wie ein Gespenst durch eine große dichte Versammlung.«
Derartiges brachten wir miteinander, ohne viel Geschick und Ordnung vor, ja der Begleiter des Philosophen gieng noch weiter und sagte zu seinem Lehrer: »Nun denken Sie selbst an alle die großen Genien, auf die wir gerade, als auf ächte und treue Führer und Wegweiser jenes wahren deutschen Geistes stolz zu sein pflegen, deren Andenken wir durch Feste und Statuen ehren, deren Werke wir mit Selbstgefühl dem Auslande entgegenhalten: worin ist diesen eine solche Bildung, wie Sie sie verlangen, entgegengekommen, inwiefern zeigen sie sich ernährt und gereift an einer heimischen Bildungssonne? Und trotzdem sind sie möglich gewesen, und trotzdem sind sie Das geworden, was wir jetzt so zu verehren haben, ja ihre Werke rechtfertigen vielleicht gerade die Form der Entwicklung, die diese edlen Naturen nahmen, ja selbst einen solchen Mangel an Bildung, den wir wohl bei ihrer Zeit und ihrem Volke zugeben müssen. Was hatte Lessing, was hatte Winckelmann aus einer vorhandenen deutschen Bildung zu entnehmen? Nichts oder mindestens ebensowenig als Beethoven, als Schiller, als Goethe, als alle unsere großen Künstler und Dichter. Vielleicht ist es ein Naturgesetz, daß immer erst die späteren Generationen sich bewußt werden müssen, durch welche himmlischen Geschenke eine frühere ausgezeichnet worden sei.«
Hier gerieth der philosophische Greis in heftigen Zorn und schrie seinen Begleiter an: »O du Lamm an Einfalt der Erkenntniß! O ihr insgesammt Säugethiere zu Nennende! Was sind das für schiefe, linkische, enge, höckerige, krüppelhafte Argumentationen! Ja, jetzt eben hörte ich die Bildung unserer Tage, und meine Ohren klingen wieder von lauter geschichtlichen »Selbstverständlichkeiten«, von lauter altklugen