meine doch«, sagte der Begleiter, »es käme gerade darauf an, daß ein Lehrer der classischen Bildung seine Griechen und Römer eben nicht mit den anderen, mit den barbarischen Völkern verwechsele, und daß für ihn Griechisch und Lateinisch nie eine Sprache neben anderen sein könne: gerade für seine classische Tendenz ist es gleichgültig, ob das Knochengerüste dieser Sprachen mit dem anderer Sprachen übereinstimme und verwandt sei: auf das Übereinstimmende kommt es ihm nicht an: gerade an dem Nichtgemeinsamen, gerade an Dem, was jene Völker als nicht barbarische über alle andern Völker stellt, haftet seine wirkliche Theilnahme, soweit er eben ein Lehrer der Bildung ist und sich selbst an dem erhabenen Vorbild des Classischen umbilden will.«
»Und, täusche ich mich«, sagte der Philosoph, »ich habe den Argwohn, daß bei der Art, wie jetzt auf den Gymnasien Lateinisch und Griechisch gelehrt wird, gerade das Können, die bequeme in Sprechen und Schreiben sich äußernde Herrschaft über die Sprache verloren geht: Etwas, worin sich meine jetzt freilich schon sehr veraltete und spärlich gewordene Generation auszeichnete: während mir die jetzigen Lehrer so genetisch und historisch mit ihren Schülern umzugehen scheinen, daß zuletzt besten Falls auch wieder kleine Sanskritaner oder etymologische Sprühteufelchen oder Konjekturen-Wüstlinge daraus werden, aber Keiner von ihnen, zu seinem Behagen, gleich uns Alten, seinen Plato, seinen Tacitus lesen kann. So mögen die Gymnasien auch jetzt noch Pflanzstätten der Gelehrsamkeit sein, aber nicht der Gelehrsamkeit, welche gleichsam nur die natürliche und unabsichtliche Nebenwirkung einer auf die edelsten Ziele gerichteten Bildung ist, sondern vielmehr jener, welche mit der hypertrophischen Anschwellung eines ungesunden Leibes zu vergleichen wäre. Für diese gelehrte Fettsucht sind die Gymnasien die Pflanzstätten: wenn sie nicht gar zu Ringschulen jener eleganten Barbarei entartet sind, die sich jetzt als »deutsche Cultur der Jetztzeit« zu brüsten pflegt.«
»Wohin aber«, antwortete der Begleiter, »sollen sich jene armen zahlreichen Lehrer flüchten, denen die Natur zu wahrer Bildung keine Mitgift verliehen, die vielmehr nur durch eine Noth, weil das Übermaß von Schulen ein Übermaß von Lehrern braucht, und um sich selbst zu ernähren, zu dem Anspruche gekommen sind, Bildungslehrer vorzustellen! Wohin sollen sie sich flüchten, wenn das Alterthum sie gebieterisch zurückweist! Müssen sie nicht denjenigen Mächten der Gegenwart zum Opfer fallen, die Tag für Tag, aus dem unermüdlich tönenden Organ der Presse, ihnen zurufen: »Wir sind die Cultur! Wir sind die Bildung! Wir sind auf der Höhe! Wir sind die Spitze der Pyramide! Wir sind das Ziel der Weltgeschichte!« – wenn sie die verführerischen Verheißungen hören, wenn ihnen gerade die schmählichsten Anzeichen der Uncultur, die plebejische Öffentlichkeit der sogenannten »Culturinteressen« in Journal und Zeitung als das Fundament einer ganz neuen allerhöchsten reifsten Bildungsform angepriesen wird! Wohin sollen sich die Armen flüchten, wenn in ihnen auch nur der Rest einer Ahnung lebt, daß es mit jenen Verheißungen sehr lügenhaft bestellt sei – wohin anders als in die stumpfeste, mikrologisch dürrste Wissenschaftlichkeit, um nur hier von dem unermüdlichen Bildungsgeschrei nichts mehr zu hören? Müssen sie nicht, in dieser Weise verfolgt, endlich wie der Vogel Strauß ihren Kopf in einen Haufen Sandes stecken! Ist es nicht ein wahres Glück für sie, daß sie, vergraben unter Dialekten, Etymologien und Conjekturen, ein Ameisenleben führen, wenn auch in meilenweiter Entfernung von wahrer Bildung, so doch wenigstens mit verklebten Ohren und gegen die Stimme der eleganten Zeitcultur taub und abgeschlossen?«
»Du hast Recht, mein Freund«, sagte der Philosoph, »aber wo liegt jene eherne Nothwendigkeit, daß ein Übermaß von Bildungsschulen bestehen müsse, und daß dadurch wieder ein Übermaß von Bildungslehrern nöthig werde? – wenn wir doch so deutlich erkennen, daß die Forderung dieses Übermaßes aus einer der Bildung feindlichen Sphäre her erschallt, und daß die Consequenzen dieses Übermaßes auch nur der Umbildung zu gute kommen? In der That kann von einer solchen ehernen Nothwendigkeit nur insofern die Rede sein, als der moderne Staat in diesen Dingen mitzureden gewohnt ist und seine Forderungen mit einem Schlag an seine Rüstung zu begleiten pflegt: welches Phänomen dann freilich auf die Meisten den gleichen Eindruck macht, als ob die ewige eherne Nothwendigkeit, das Urgesetz der Dinge zu ihnen redete. Im Übrigen ist ein mit solchen Forderungen redender »Culturstaat«, wie man jetzt sagt, etwas Junges und ist erst in dem letzten halben Jahrhundert zu einer »Selbstverständlichkeit« geworden, das heißt in einer Zeit, der, nach ihrem Lieblingswort, so vielerlei »selbstverständlich« vorkommt, was an sich durchaus sich nicht von selbst versteht. Gerade von dem kräftigsten modernen Staate, von Preußen, ist dieses Recht der obersten Führung in Bildung und Schule so ernst genommen worden, daß, bei der Kühnheit, die diesem Staatswesen zu eigen ist, das von ihm ergriffne bedenkliche Princip eine allgemeinhin bedrohliche und für den wahren deutschen Geist gefährliche Bedeutung bekommt. Denn von dieser Seite aus finden wir das Bestreben, das Gymnasium auf die sogenannte »Höhe der Zeit« zu bringen, förmlich systematisirt: hier blühen alle jene Vorrichtungen, wodurch möglichst viel Schüler zu einer Gymnasialerziehung angespornt werden: hier hat sogar der Staat sein allermächtigstes Mittel, die Verleihung gewisser auf den Militärdienst bezüglicher Privilegien, mit dem Erfolge angewendet, daß, nach dem unbefangnen Zeugnisse statistischer Beamten, gerade daraus und nur daraus die allgemeine Überfüllung aller preußischen Gymnasien und das dringendste fortwährende Bedürfniß zu neuen Gründungen zu erklären wäre. Was kann der Staat mehr thun, zu Gunsten eines Übermaßes von Bildungsanstalten, als wenn er alle höheren und den größten Theil der niederen Beamtenstellen, den Besuch der Universität, ja die einflußreichsten militärischen Vergünstigungen in eine nothwendige Verbindung mit dem Gymnasium bringt und dies in einem Lande, wo ebensowohl die allgemeine durchaus volksthümlich approbirte Wehrpflicht als der unumschränkteste politische Beamtenehrgeiz unbewußt alle begabten Naturen nach diesen Richtungen hinziehn. Hier wird das Gymnasium vor Allem als eine gewisse Staffel der Ehre angesehn: und Alles was einen Trieb nach der Sphäre der Regierung zu fühlt, wird auf der Bahn des Gymnasiums gefunden werden. Dies ist eine neue und jedenfalls originelle Erscheinung: der Staat zeigt sich als ein Mystagoge der Cultur, und während er seine Zwecke fördert, zwingt er jeden seiner Diener, nur mit der Fackel der allgemeinen Staatsbildung in den Händen vor ihm zu erscheinen: in deren unruhigem Lichte sie ihn selbst wieder erkennen sollen