Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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end­lich doch fragt: »Was ist mir die­se Ge­stalt ei­ner Göt­tin? Was nüt­zen mir die Ge­dan­ken, die sie in mir er­wa­chen läßt? Orest und Ödi­pus, Iphi­ge­nie und An­ti­go­ne, was ha­ben sie ge­mein mit mei­nem Her­zen?« – Nein, mei­ne Gym­na­sias­ten, die Ve­nus von Milo geht euch nichts an: aber eure Leh­rer eben­so­we­nig – und das ist das Un­glück, das ist das Ge­heim­niß des jet­zi­gen Gym­na­si­ums. Wer wird euch zur Hei­mat der Bil­dung füh­ren, wenn eure Füh­rer blind sind und gar noch als Se­hen­de sich aus­ge­ben! Wer von euch wird zu ei­nem wah­ren Ge­fühl für den hei­li­gen Ernst der Kunst kom­men, wenn ihr mit Metho­de ver­wöhnt wer­det, selb­stän­dig zu stot­tern, wo man euch leh­ren soll­te zu spre­chen, selb­stän­dig zu äs­the­ti­si­ren, wo man euch an­lei­ten soll­te vor dem Kunst­werk an­däch­tig zu sein, selb­stän­dig zu phi­lo­so­phi­ren, wo man euch zwin­gen soll­te, auf große Den­ker zu hö­ren: Al­les mit dem Re­sul­tat, daß ihr dem Al­ter­thu­me ewig fern bleibt und Die­ner des Ta­ges wer­det.

      Das Heil­sams­te, was die jet­zi­ge In­sti­tu­ti­on des Gym­na­si­ums in sich birgt, liegt je­den­falls in dem Erns­te, mit dem die la­tei­ni­sche und grie­chi­sche Spra­che durch eine gan­ze Rei­he von Jah­ren hin­durch be­han­delt wird: hier lernt man den Re­spekt vor ei­ner re­gel­recht fi­xir­ten Spra­che, vor Gram­ma­tik und Le­xi­kon, hier weiß man noch, was ein Feh­ler ist, und wird nicht je­den Au­gen­blick durch den An­spruch in­com­mo­dirt, daß auch gram­ma­ti­sche und or­tho­gra­phi­sche Gril­len und Un­ar­ten, wie in dem deut­schen Stil der Ge­gen­wart, sich be­rech­tigt füh­len. Wenn nur die­ser Re­spekt vor der Spra­che nicht so in der Luft hän­gen blie­be, gleich­sam als eine theo­re­ti­sche Bür­de, von der man sich bei sei­ner Mut­ter­spra­che so­fort wie­der ent­las­tet! Ge­wöhn­lich pflegt viel­mehr der la­tei­ni­sche oder grie­chi­sche Leh­rer selbst mit die­ser Mut­ter­spra­che we­nig Um­stän­de zu ma­chen, er be­han­delt sie von vorn­her­ein als ein Be­reich, auf dem man sich von der stren­gen Zucht des La­tei­ni­schen und des Grie­chi­schen wie­der er­ho­len darf, auf dem wie­der die läs­si­ge Ge­müth­lich­keit er­laubt ist, mit der der Deut­sche al­les Hei­mi­sche zu be­han­deln pflegt. Jene herr­li­chen Übun­gen, aus ei­ner Spra­che in die an­de­re zu über­set­zen, die auf das heil­sams­te auch den künst­le­ri­schen Sinn für die eig­ne Spra­che be­fruch­ten kön­nen, sind nach der Sei­te des Deut­schen hin nie­mals mit der ge­büh­ren­den ka­te­go­ri­schen Stren­ge und Wür­de durch­ge­führt wur­den, die hier, als bei ei­ner un­dis­ci­pli­nir­ten Spra­che, vor Al­lem noth thut. Neu­er­dings ver­schwin­den auch die­se Übun­gen im­mer mehr: man be­gnügt sich, die frem­den klas­si­schen Spra­chen zu wis­sen, man ver­schmäht es sie zu kön­nen.

      Hier bricht wie­der die ge­lehr­ten­haf­te Ten­denz in der Auf­fas­sung des Gym­na­si­ums durch: ein Phä­no­men, wel­ches auf die in frü­he­rer Zeit ein­mal ernst ge­nom­me­ne Hu­ma­ni­täts­bil­dung als Ziel des Gym­na­si­ums ein auf­klä­ren­des Licht wirft. Es war die Zeit un­se­rer großen Dich­ter, das heißt je­ner we­ni­gen wahr­haft ge­bil­de­ten Deut­schen, als von dem groß­ar­ti­gen Fried­rich Au­gust Wolf der neue, von Grie­chen­land und Rom her durch jene Män­ner strö­men­de clas­si­sche Geist auf das Gym­na­si­um ge­lei­tet wur­de; sei­nem küh­nen Be­gin­nen ge­lang es, ein neu­es Bild des Gym­na­si­ums auf­zu­stel­len, das von jetzt ab nicht etwa nur noch eine Pflanz­stät­te der Wis­sen­schaft, son­dern vor Al­lem die ei­gent­li­che Wei­he­stät­te für all­hö­he­re und ed­le­re Bil­dung wer­den soll­te.

      Von den äu­ßer­lich dazu nö­thig er­schei­nen­den Maß­re­geln sind sehr we­sent­li­che mit dau­ern­dem Er­fol­ge auf die mo­der­ne Ge­stal­tung des Gym­na­si­ums über­ge­gan­gen: nur ist ge­ra­de das Wich­tigs­te nicht ge­lun­gen, die Leh­rer selbst mit die­sem neu­en Geis­te zu wei­hen, so daß sich in­zwi­schen das Ziel des Gym­na­si­ums wie­der be­deu­tend von je­ner durch Wolf an­ge­streb­ten Hu­ma­ni­täts­bil­dung ent­fernt hat. Viel­mehr hat die alte, von Wolf selbst über­wun­de­ne ab­so­lu­te Schät­zung der Ge­lehr­sam­keit und der ge­lehr­ten Bil­dung all­mäh­lich nach mat­tem Kamp­fe die Stel­le des ein­ge­drung­nen Bil­dungs­prin­cips ein­ge­nom­men und be­haup­tet jetzt wie­der, wenn­gleich nicht mit der frü­he­ren Of­fen­heit, son­dern mas­kirt, und mit ver­hüll­tem An­ge­sicht, ihre al­lei­ni­ge Be­rech­ti­gung. Und daß es nicht ge­lin­gen woll­te, das Gym­na­si­um in den groß­ar­ti­gen Zug der clas­si­schen Bil­dung zu brin­gen, lag in dem un­deut­schen, bei­na­he aus­län­di­schen oder kos­mo­po­li­ti­schen Cha­rak­ter die­ser Bil­dungs­be­mü­hun­gen, in dem Glau­ben, daß es mög­lich sei, sich den hei­mi­schen Bo­den un­ter den Fü­ßen fort­zu­ziehn und dann doch noch fest­ste­hen zu kön­nen, in dem Wah­ne, daß man in die ent­frem­de­te hel­le­ni­sche Welt durch Ver­leug­nung des deut­schen, über­haupt des na­tio­na­len Geis­tes gleich­sam di­rekt und ohne Brücken hin­ein­sprin­gen kön­ne.

      Frei­lich muß man ver­stehn, die­sen deut­schen Geist erst in sei­nen Ver­ste­cken, un­ter mo­di­schen Über­klei­dun­gen oder un­ter Trüm­mer­hau­fen, auf­zu­su­chen, man muß ihn so lie­ben, um sich auch sei­ner ver­küm­mer­ten Form nicht zu schä­men, man muß vor Al­lem sich hü­ten, ihn nicht mit Dem zu ver­wech­seln, was sich jetzt mit stol­zer Ge­bär­de als »deut­sche Cul­tur der Jetzt­zeit« be­zeich­net. Mit die­ser ist viel­mehr je­ner Geist in­ner­lich ver­fein­det: und ge­ra­de in den Sphä­ren, über de­ren Man­gel an Cul­tur jene »Jetzt­zeit« zu kla­gen pflegt, hat sich oft­mals ge­ra­de je­ner äch­te deut­sche Geist, wenn­gleich nicht in an­muthen­der Form und un­ter ro­hen Äu­ßer­lich­kei­ten er­hal­ten. Was da­ge­gen sich jetzt mit be­son­de­rem Dün­kel »deut­sche Cul­tur« nennt, ist ein kos­mo­po­li­ti­sches Ag­gre­gat, das sich zum deut­schen Geis­te ver­hält, wie der Jour­na­list zu Schil­ler, wie Meyer­beer zu Beetho­ven: hier übt den stärks­ten Ein­fluß die im tiefs­ten Fun­da­men­te un­ger­ma­ni­sche Ci­vi­li­sa­ti­on der Fran­zo­sen, die ta­lent­los und mit un­si­chers­tem Ge­schmack nach­ge­ahmt wird und in die­ser Nach­ah­mung der deut­schen Ge­sell­schaft und Pres­se, Kunst und Sti­lis­tik eine gleiß­ne­ri­sche Form giebt. Frei­lich bringt es die­se Co­pie nir­gends zu ei­ner so künst­le­risch ab­ge­schlos­se­nen Wir­kung, wie sie jene ori­gi­na­le, aus dem We­sen des Ro­ma­ni­schen her­vor­ge­wach­se­ne Ci­vi­li­sa­ti­on fast bis auf uns­re Tage in Frank­reich her­vor­bringt. Um die­sen Ge­gen­satz nach­zu­emp­fin­den, ver­glei­che man un­se­re nam­haf­tes­ten deut­schen Ro­man­schrei­ber mit je­dem auch we­ni­ger nam­haf­ten fran­zö­si­schen oder ita­liä­ni­schen: auf bei­den Sei­ten die­sel­ben zwei­fel­haf­ten Ten­den­zen und Zie­le, die­sel­ben noch zwei­fel­haf­te­ren Mit­tel, aber dort mit künst­le­ri­schem Ernst, min­des­tens mit sprach­li­cher Cor­rekt­heit, oft mit Schön­heit ver­bun­den, über­all der Wie­der­klang ei­ner ent­spre­chen­den ge­sell­schaft­li­chen Cul­tur, hier Al­les un­o­ri­gi­nal, schlot­te­rig, im Haus­ro­cke des Ge­dan­kens und des Aus­drucks oder un­an­ge­nehm ge­spreizt, dazu ohne je­den Hin­ter­grund ei­ner wirk­li­chen ge­sell­schaft­li­chen Form, höchs­tens durch ge­lehr­te Ma­nie­ren und Kennt­nis­se dar­an er­in­nernd, daß in Deutsch­land der ver­dor­be­ne Ge­lehr­te, in den ro­ma­ni­schen Län­dern der künst­le­risch ge­bil­de­te Mensch zum Jour­na­lis­ten wird. Mit die­ser an­geb­lich deut­schen, im Grun­de un­o­ri­gi­na­len Cul­tur darf der Deut­sche sich nir­gends Sie­ge ver­spre­chen: in ihr be­schämt ihn der Fran­zo­se und der Ita­liä­ner und, was die ge­schick­te Nach­ah­mung ei­ner