von den pädagogischen Dingen hoffnungslos ferne bleiben, welche vermeinen, es ließe sich die augenscheinliche, in der Zahl bestehende Ubertät unserer Gymnasien und Lehrer durch irgendwelche Gesetze und Vorschriften in eine wirkliche Ubertät, in eine ubertas ingenii, ohne Verminderung jener Zahl, verwandeln. Sondern darüber müssen wir einmüthig sein, daß von der Natur selbst nur unendlich seltne Menschen zu einem wahren Bildungsgange ausgeschickt werden, und daß zu deren glücklicher Entfaltung auch eine weit geringere Anzahl von höheren Bildungsanstalten ausreicht, daß aber in den gegenwärtigen auf breite Massen angelegten Bildungsanstalten gerade Diejenigen am wenigsten sich gefördert fühlen müssen, für die etwas Derartiges zu gründen überhaupt erst einen Sinn hat.
Das Gleiche gilt nun in Betreff der Lehrer. Gerade die besten, diejenigen, die überhaupt nach einem höheren Maßstäbe, dieses Ehrennamens werth sind, eignen sich jetzt, bei dem gegenwärtigen Stande des Gymnasiums, vielleicht am wenigsten zur Erziehung dieser unausgelesenen zusammengewürfelten Jugend, sondern müssen das Beste, was sie geben könnten, gewissermaßen vor ihr geheim halten; und die ungeheuere Mehrzahl der Lehrer fühlt sich wiederum, diesen Anstalten gegenüber, im Recht, weil ihre Begabungen zu dem niedrigen Fluge und der Dürftigkeit ihrer Schüler in einem gewissen harmonischen Verhältnisse stehen. Von dieser Mehrzahl aus erschallt der Ruf nach immer neuen Gründungen von Gymnasien und höheren Lehranstalten: wir leben in einer Zeit, die durch diesen immerfort und mit betäubendem Wechsel erschallenden Ruf allerdings den Eindruck erweckt, als ob ein ungeheures Bildungsbedürfniß in ihr nach Befriedigung dürstete. Aber gerade hier muß man recht zu hören verstehen, gerade hier muß man, durch den tönenden Effekt der Bildungsworte unbeirrt, Denen in’s Antlitz sehen, die so unermüdlich von dem Bildungsbedürfnisse ihrer Zeit reden. Dann wird man eine sonderbare Enttäuschung erleben, dieselbe, die wir, mein guter Freund, so oft erlebt haben: jene lauten Herolde des Bildungsbedürfnisses verwandeln sich plötzlich, bei einer ernsten Besichtigung aus der Nähe, in eifrige, ja fanatische Gegner der wahren Bildung, das heißt derjenigen, welche an der aristokratischen Natur des Geistes festhält: denn im Grunde meinen sie, als ihr Ziel, die Emancipation der Massen von der Herrschaft der großen Einzelnen, im Grunde streben sie darnach, die heiligste Ordnung im Reiche des Intellektes umzustürzen, die Dienstbarkeit der Masse, ihren unterwürfigen Gehorsam, ihren Instinkt der Treue unter dem Scepter des Genius.
Ich habe mich längst daran gewöhnt, alle Diejenigen vorsichtig anzusehn, welche eifrig für die sogenannte »Volksbildung«, wie sie gemeinhin verstanden wird, sprechen: denn zumeist wollen sie, bewußt oder unbewußt, bei den allgemeinen Saturnalien der Barbarei, für sich selbst die fessellose Freiheit, die ihnen jene heilige Naturordnung nie gewähren wird; sie sind zum Dienen, zum Gehorchen geboren, und jeder Augenblick, in dem ihre kriechenden oder stelzfüßigen oder flügellahmen Gedanken in Thätigkeit sind, bestätigt, aus welchem Thone die Natur sie formte und welches Fabrikzeichen sie diesem Thone aufgebrannt hat. Also, nicht Bildung der Masse kann unser Ziel sein: sondern Bildung der einzelnen ausgelesenen, für große und bleibende Werte ausgerüsteten Menschen: wir wissen nun einmal, daß eine gerechte Nachwelt den gesammten Bildungsstand eines Volkes nur ganz allein nach jenen großen, einsam schreitenden Helden einer Zeit beurtheilen und je nach der Art, wie dieselben erkannt, gefördert, geehrt, oder sekretirt, mißhandelt, zerstört worden sind, ihre Stimme abgeben wird. Dem, was man Volksbildung nennt, ist auf direktem Wege, etwa durch allseitig erzwungenen Elementarunterricht, nur ganz äußerlich und roh beizukommen: die eigentlichen, tieferen Regionen, in denen sich überhaupt die große Masse mit der Bildung berührt, dort wo das Volk seine religiösen Instinkte hegt wo es an seinen mythischen Bildern weiterdichtet, wo es seiner Sitte, seinem Recht, seinem Heimathsboden, seiner Sprache Treue bewahrt, alle diese Regionen sind auf direktem Wege kaum und jedenfalls nur durch zerstörende Gewaltsamkeiten zu erreichen: und in diesen ernsten Dingen die Volksbildung wahrhaft fördern heißt eben nur soviel, als diese zerstörenden Gewaltsamkeiten abzuwehren und jenes heilsame Unbewußtsein, jenes Sich-gesund-schlafen des Volkes zu unterhalten, ohne welche Gegenwirkung, ohne welches Heilmittel keine Cultur, bei der aufzehrenden Spannung und Erregung ihrer Wirkungen, bestehen kann.
Wir wissen aber, was Jene erstreben, die jenen heilenden Gesundheitsschlaf des Volkes unterbrechen wollen, die ihm fortwährend zurufen: »Sei wach, sei bewußt! Sei klug!«; wir wissen, wohin Die zielen, welche durch eine außerordentliche Vermehrung aller Bildungsanstalten, durch einen dadurch erzeugten selbstbewußten Lehrerstand ein gewaltiges Bildungsbedürfnis; zu befriedigen vorgeben. Gerade diese und gerade mit diesen Mitteln kämpfen sie gegen die natürliche Rangordnung im Reiche des Intellekts, zerstören sie die Wurzeln jener aus dem Unbewußtsein des Volkes hervorbrechenden höchsten und edelsten Bildungskräfte, die im Gebären des Genius und sodann in der richtigen Erziehung und Pflege desselben ihre mütterliche Bestimmung haben. Nur an dem Gleichnisse der Mutter werden wir die Bedeutung und die Verpflichtung begreifen, die die wahre Bildung eines Volkes in Hinsicht auf den Genius hat: seine eigentliche Entstehung liegt nicht in ihr, er hat gleichsam nur einen metaphysischen Ursprung, eine metaphysische Heimat. Aber daß er in die Erscheinung tritt, daß er mitten aus einem Volke hervortaucht, daß er gleichsam das zurückgeworfne Bild, das gesättigte Farbenspiel aller eigenthümlichen Kräfte dieses Volkes darstellt, daß er die höchste Bestimmung eines Volkes in dem gleichnißartigen Wesen eines Individuums und in einem ewigen Werke zu erkennen giebt, sein Volk selbst damit an das Ewige anknüpfend und aus der wechselnden Sphäre des Momentanen erlösend – das Alles vermag der Genius nur, wenn er im Mutterschoße der Bildung eines Volkes gereift und genährt ist – während er, ohne diese schirmende und wärmende Heimat, überhaupt nicht die Schwingen zu seinem ewigen Fluge entfalten wird, sondern traurig, bei Zeiten, wie ein in winterliche Einöden verschlagener Fremdling, aus dem unwirthbaren Lande davonschleicht.«
»Mein Lehrer«, sagte hier der Begleiter, »Sie setzen mich mit dieser Metaphysik des Genius in Erstaunen, und nur ganz von ferne ahne ich das Richtige dieser Gleichniß. Dagegen begreife ich vollständig, was Sie über die Überzahl der Gymnasien und dadurch veranlaßte Überzahl von höheren Lehrern