Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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an die­sen Hei­ligt­hü­mern her­um­tas­tet. Gera­de in dem Stan­de aber, aus dem der größ­te Theil der Gym­na­si­al­leh­rer ent­nom­men wird, in dem Stan­de der Phi­lo­lo­gen, ist die­se rohe und re­spekt­lo­se Emp­fin­dung das ganz All­ge­mei­ne: wes­halb nun auch wie­der­um das Fort­pflan­zen und Wei­ter­tra­gen ei­ner sol­chen Ge­sin­nung an den Gym­na­si­en nicht über­ra­schen wird.

      Man sehe sich nur eine jun­ge Ge­ne­ra­ti­on von Phi­lo­lo­gen an; wie sel­ten be­merkt man bei ih­nen je­nes be­schäm­te Ge­fühl, daß wir, an­ge­sichts ei­ner sol­chen Welt, wie die hel­le­ni­sche ist, gar kein Recht zur Exis­tenz ha­ben, wie kühl und dreist da­ge­gen baut jene jun­ge Brut ihre elen­den Nes­ter mit­ten in den groß­ar­tigs­ten Tem­peln! Den Al­ler­meis­ten von De­nen, wel­che von ih­rer Uni­ver­si­täts­zeit an so selbst­ge­fäl­lig und ohne Scheu in den er­staun­li­chen Trüm­mern je­ner Welt her­um­wan­dern, soll­te ei­gent­lich aus je­dem Win­kel eine mäch­ti­ge Stim­me ent­ge­gen­tö­nen: »Weg von hier, ihr Un­ein­ge­weih­ten, ihr nie­mals Ein­zu­wei­hen­den, flüch­tet schwei­gend aus die­sem Hei­ligt­hum, schwei­gend und be­schämt!« Ach, die­se Stim­me tönt ver­ge­bens: denn man muß schon et­was von grie­chi­scher Art sein, um auch nur eine grie­chi­sche Ver­wün­schung und Bann­for­mel zu ver­ste­hen! Jene aber sind so bar­ba­risch, daß sie es sich nach ih­rer Ge­wöh­nung un­ter die­sen Rui­nen be­hag­lich ein­rich­ten: alle ihre mo­der­nen Be­quem­lich­kei­ten und Lieb­ha­be­rei­en brin­gen sie mit und ver­ste­cken sie auch wohl hin­ter an­ti­ken Säu­len und Grab­mo­nu­men­ten: wo­bei es dann großen Ju­bel giebt, wenn man Das in an­ti­ker Um­ge­bung wie­der­fin­det, was man erst selbst vor­her lis­tig hin­ein­prak­tizirt hat. Der Eine macht Ver­se und ver­steht im Le­xi­kon des He­sy­chi­us nach­zu­schla­gen: so­fort ist er über­zeugt, daß er zum Nach­dich­ter des Äschy­lus be­ru­fen sei, und fin­det auch Gläu­bi­ge, wel­che be­haup­ten, daß er dem Äschy­lus »con­ge­ni­al« sei, er, der dich­ten­de Scha­cher! Wie­der ein And­rer spürt mit dem arg­wöh­ni­schen Auge ei­nes Po­li­zei­manns nach al­len Wi­der­sprü­chen, nach den Schat­ten von Wi­der­sprü­chen, de­ren sich Ho­mer schul­dig ge­macht hat: er ver­geu­det sein Le­ben im Aus­ein­an­der­rei­ßen und An­ein­an­der­nä­hen ho­me­ri­scher Fet­zen, die er selbst erst dem herr­li­chen Ge­wan­de ab­ge­stoh­len hat. Ei­nem Drit­ten wird es bei al­len den mys­te­ri­en­haf­ten und or­gias­ti­schen Sei­ten des Al­ter­thums un­be­hag­lich: er ent­schließt sich ein für al­le­mal, nur den auf­ge­klär­ten Apol­lo gel­ten zu las­sen und im Athe­ner einen hei­te­ren, ver­stän­di­gen, doch et­was un­mo­ra­li­schen Apol­li­ni­ker zu se­hen. Wie ath­met er aus, wenn er wie­der einen dunklen Win­kel des Al­ter­thums auf die Höhe sei­ner eig­nen Auf­klä­rung ge­bracht hat, wenn er zum Bei­spiel im al­ten Py­tha­go­ras einen wa­cke­ren Mit­bru­der in auf­klä­re­ri­schen po­li­ti­cis ent­deckt hat. Ein And­rer quält sich mit der Über­le­gung, warum Ödi­pus vom Schick­sa­le zu so ab­scheu­li­chen Din­gen ver­urt­heilt wor­den sei, sei­nen Va­ter töd­ten, sei­ne Mut­ter hei­rat­hen zu müs­sen. Wo bleibt die Schuld! Wo die poe­ti­sche Ge­rech­tig­keit! Plötz­lich weiß er es: Ödi­pus sei doch ei­gent­lich ein lei­den­schaft­li­cher Ge­sell ge­we­sen, ohne alle christ­li­che Mil­de: er ge­rat­he ja ein­mal so­gar in eine ganz un­ziem­li­che Hit­ze – als ihn Ti­re­si­as das Scheu­sal und den Fluch des gan­zen Lan­des nen­ne. Seid sanft­müthig! woll­te viel­leicht So­pho­kles leh­ren: sonst müßt ihr eure Mut­ter hei­rat­hen und eu­ren Va­ter töd­ten! Wie­der And­re zäh­len ihr Le­ben lang an den Ver­sen grie­chi­scher und rö­mi­scher Dich­ter her­um und er­freu­en sich an der Pro­por­ti­on 7:13 = 14:26. End­lich ver­heißt wohl Ei­ner gar die Lö­sung ei­ner sol­chen Fra­ge, wie die ho­me­ri­sche vom Stand­punkt der Prä­po­si­tio­nen und glaubt mit ἀνά und ϰατά die Wahr­heit aus dem Brun­nen zu ziehn. Alle aber, bei den ver­schie­dens­ten Ten­den­zen gra­ben und wüh­len in dem grie­chi­schen Bo­den mit ei­ner Rast­lo­sig­keit, ei­nem täp­pi­schen Un­ge­schick, daß ein erns­ter Freund des Al­ter­thums ge­ra­de­zu ängst­lich wer­den muß: und so möch­te ich je­den be­gab­ten oder un­be­gab­ten Men­schen, der eine ge­wis­se be­rufs­mä­ßi­ge Nei­gung zu dem Al­ter­thu­me hin ah­nen läßt, an die Hand neh­men und vor ihm in fol­gen­der Wei­se per­or­i­ren: »Weißt du auch, was für Ge­fah­ren dir dro­hen, jun­ger, mit ei­nem mä­ßi­gen Schul­wis­sen auf die Rei­se ge­schick­ter Mensch? Hast du ge­hört, daß es nach Ari­sto­te­les ein un­tra­gi­scher Tod ist, von ei­ner Bild­säu­le er­schla­gen zu wer­den? Und ge­ra­de die­ser Tod droht dir. Du wun­derst dich? So wis­se denn, daß die Phi­lo­lo­gen seit Jahr­hun­der­ten ver­su­chen, die in die Erde ver­sun­kne um­ge­fall­ne Sta­tue des grie­chi­schen Al­ter­thums wie­der auf­zu­rich­ten, bis jetzt im­mer mit un­zu­rei­chen­den Kräf­ten: denn das ist ein Ko­loß, auf dem die Ein­zel­nen wie Zwer­ge her­um­klet­tern. Un­ge­heu­re ver­ein­te Mühe und alle He­bel­kräf­te mo­der­ner Cul­tur sind an­ge­wen­det: im­mer wie­der, kaum vom Bo­den ge­ho­ben, fällt sie zu­rück und zer­trüm­mert im Fall die Men­schen un­ter ihr. Das möch­te noch an­gehn: denn je­des We­sen muß an Et­was zu Grun­de gehn: wer aber steht da­für, daß bei die­sen Ver­su­chen die Sta­tue selbst nicht in Stücke bricht! Die Phi­lo­lo­gen ge­hen an den Grie­chen zu Grun­de – das wäre etwa zu ver­schmer­zen – aber das Al­ter­thum zer­bricht durch die Phi­lo­lo­gen selbst in Stücke! Dies über­le­ge dir, jun­ger leicht­sin­ni­ger Mensch, gehe zu­rück, falls du kein Bil­der­stür­mer bist!«

      »In der That«, sag­te der Phi­lo­soph la­chend, »giebt es jetzt zahl­rei­che Phi­lo­lo­gen, wel­che zu­rück­ge­gan­gen sind, wie du es ver­langst: und ich neh­me einen großen Con­trast ge­gen die Er­fah­run­gen mei­ner Ju­gend wahr. Eine große Men­ge von ih­nen kommt, be­wußt oder un­be­wußt, zu der Über­zeu­gung, daß die di­rek­te Berüh­rung mit dem clas­si­schen Al­ter­thu­me für sie nutz­los und hoff­nungs­los sei: wes­halb auch jetzt die­ses Stu­di­um bei der Mehr­zahl der Phi­lo­lo­gen selbst als ste­ril, als aus­ge­lebt, als epi­go­nen­haft gilt. Mit um so grö­ße­rer Lust hat sich die­se Schaar auf die Sprach­wis­sen­schaft ge­stürzt: hier, in ei­nem un­end­li­chen Be­reich frisch auf­ge­worf­nen Acker­lan­des, wo ge­gen­wär­tig noch die mä­ßigs­te Be­ga­bung mit Nut­zen ver­braucht wer­den kann und eine ge­wis­se Nüch­tern­heit so­gar be­reits als po­si­ti­ves Ta­lent be­trach­tet wird, bei der Neu­heit und Un­si­cher­heit der Metho­den und der fort­wäh­ren­den Ge­fahr phan­tas­ti­scher Ver­ir­run­gen – hier, wo eine Ar­beit in Reih und Glied ge­ra­de das Wün­schens­wer­tes­te ist – hier über­rascht den Heran­kom­men­den nicht jene ab­wei­sen­de ma­je­stä­ti­sche Stim­me, die aus der Trüm­mer­welt des Al­ter­thums ihm ent­ge­gen­klingt: hier nimmt man Je­den noch mit off­nen Ar­men auf, und auch Der, wel­cher es vor So­pho­kles und Ari­sto­pha­nes nie­mals zu ei­nem un­ge­wöhn­li­chen Ein­druck, zu ei­nem acht­ba­ren Ge­dan­ken brach­te, wird etwa mit Er­folg an einen ety­mo­lo­gi­schen Web­stuhl ge­stellt oder zum Sam­meln ent­le­ge­ner Dialek­tres­te auf­ge­for­dert – und un­ter Ver­knüp­fen und Tren­nen, Sam­meln und Zer­streu­en, Hin- und Her­lau­fen und Bü­cher­nach­schla­gen ver­geht ihm der Tag. Nun aber soll ein so nütz­lich ver­wen­de­ter Sprach­for­scher noch vor Al­lem Leh­rer sein! Und nun soll er ge­ra­de, sei­nen Ver­pflich­tun­gen ge­mäß, über alte Au­to­ren, zum Hei­le der Gym­na­sial­ju­gend, et­was zu leh­ren ha­ben, über die er es doch selbst nie zu Ein­drücken, noch we­ni­ger zu Ein­sich­ten ge­bracht hat! Wel­che