Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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vor Al­lem sei­nen Beglei­ter auf die selt­sa­me Ent­ar­tung auf­merk­sam ge­macht, die in dem Ker­ne ei­ner Cul­tur ein­ge­tre­ten sein muß, wenn der Staat glau­ben darf, sie zu be­herr­schen, wenn er durch sie Staats­zie­le er­reicht, wenn er, mit ihr ver­bün­det, ge­gen feind­se­li­ge an­de­re Mäch­te eben­so­wohl als ge­gen den Geist an­kämpft, den der Phi­lo­soph den »wahr­haft deut­schen« zu nen­nen wag­te. Die­ser Geist, durch das edels­te Be­dürf­niß an die Grie­chen ge­ket­tet, in schwe­rer Ver­gan­gen­heit als aus­dau­ernd und muthig be­währt, rein und er­ha­ben in sei­nen Zie­len, durch sei­ne Kunst zur höchs­ten Aus­ga­be be­fä­higt, den mo­der­nen Men­schen vom Flu­che des Mo­der­nen zu er­lö­sen – die­ser Geist ist ver­urt­heilt, ab­seits, sei­nem Erbe ent­frem­det zu le­ben: wenn aber sei­ne lang­sa­men Kla­ge­lau­te durch die Wüs­te der Ge­gen­wart schal­len, dann erschrickt die über­häuf­te und bunt­be­häng­te Bil­dungs­ka­ra­wa­ne die­ser Ge­gen­wart. Nicht nur Er­stau­nen, son­dern Schre­cken sol­len wir brin­gen, das war die Mei­nung des Phi­lo­so­phen, nicht scheu da­von­zu­fliehn, son­dern an­zu­grei­fen war sein Rath: be­son­ders aber re­de­te er sei­nem Beglei­ter zu, nicht zu ängst­lich und ab­wä­gend an das In­di­vi­du­um zu den­ken, aus dem, durch einen hö­he­ren In­stinkt, jene Ab­nei­gung ge­gen die jet­zi­ge Bar­ba­rei her­vor­strömt. »Mag es zu Grun­de gehn: der py­thi­sche Gott war nicht ver­le­gen dar­um, einen neu­en Drei­fuß, eine zwei­te Py­thia zu fin­den, so lan­ge über­haupt der mys­ti­sche Dampf noch aus der Tie­fe quoll«.

      Von Neu­em er­hob der Phi­lo­soph sei­ne Stim­me: »Merkt es wohl, mei­ne Freun­de,« sag­te er, »zwei­er­lei dürft ihr nicht ver­wech­seln. Sehr viel muß der Mensch ler­nen, um zu le­ben, um sei­nen Kampf um’s Da­sein zu kämp­fen: aber Al­les, was er in die­ser Ab­sicht als In­di­vi­du­um lernt und thut, hat noch nichts mit der Bil­dung zu schaf­fen. Die­se be­ginnt im Ge­gent­heil erst in ei­ner Luft­schicht, die hoch über je­ner Welt der Noth, des Exis­tenz­kamp­fes, der Be­dürf­tig­keit la­gert. Es fragt sich nun, wie sehr ein Mensch sein Sub­jekt ne­ben an­de­ren Sub­jek­ten schätzt, wie viel er von sei­ner Kraft für je­nen in­di­vi­du­el­len Le­bens­kampf ver­braucht. Man­cher wird, bei ei­ner sto­isch-en­gen Um­schrän­kung sei­ner Be­dürf­nis­se, sehr bald und leicht in jene Sphä­re sich er­he­ben, in der er sein Sub­jekt ver­ges­sen und gleich­sam ab­schüt­teln darf, um nun in ei­nem Son­nen­sys­tem zeit­lo­ser und un­per­sön­li­cher An­ge­le­gen­hei­ten sich ewi­ger Ju­gend zu er­freu­en. Ein An­de­rer dehnt die Wir­kung und die Be­dürf­nis­se sei­nes Sub­jekts so in die Brei­te und baut in ei­nem so er­staun­li­chen Maa­ße an dem Mau­so­le­um die­ses sei­nes Sub­jekts, als ob er so im Stan­de sei, im Ring­kamp­fe den un­ge­heu­ren Geg­ner, die Zeit, zu über­win­den. Auch in ei­nem sol­chen Trie­be zeigt sich ein Ver­lan­gen nach Uns­terb­lich­keit: Reicht­hum und Macht. Klug­heit, Geis­tes­ge­gen­wart, Be­redt­sam­keit, ein blü­hen­des An­sehn, ein ge­wich­ti­ger Name – Al­les sind hier nur Mit­tel ge­wor­den, mit de­nen der un­er­sätt­li­che per­sön­li­che Le­bens­wil­le nach neu­em Le­ben ver­langt, mit de­nen er nach ei­ner, zu­letzt il­lu­so­ri­schen Ewig­keit lechzt.

      Aber selbst in die­ser höchs­ten Form des Sub­jekts, auch in dem ge­stei­gerts­ten Be­dürf­niß ei­nes sol­chen er­wei­ter­ten und gleich­sam col­lek­ti­ven In­di­vi­du­ums giebt es noch kei­ne Berüh­rung mit der wah­ren Bil­dung: und wenn von die­ser Sei­te aus zum Bei­spiel nach Kunst ver­langt wird, so kom­men ge­ra­de nur die zer­streu­en­den oder sti­mu­li­ren­den ih­rer Wir­kun­gen in Be­tracht, also die­je­ni­gen, wel­che die rei­ne und er­ha­be­ne Kunst am we­nigs­ten und die ent­wür­dig­te und ver­un­rei­nig­te am Bes­ten zu er­re­gen ver­steht. Denn in sei­nem ge­samm­ten Thun und Trei­ben, so groß­ar­tig es sich viel­leicht für den Be­trach­ter aus­neh­men mag, ist er doch nie­mals sei­nes be­geh­ren­den und rast­lo­sen Sub­jek­tes le­dig ge­wor­den: je­ner er­leuch­te­te Äther­raum der sub­jekt­frei­en Con­tem­pla­ti­on flieht vor ihm zu­rück – und dar­um wird er, er mag ler­nen, rei­sen, sam­meln, von der wah­ren Bil­dung in ewi­ger Ent­fer­nung und ver­bannt le­ben müs­sen. Denn die wah­re Bil­dung ver­schmäht es, sich mit dem be­dürf­ti­gen und be­geh­ren­den In­di­vi­du­um zu ver­un­rei­ni­gen: sie weiß Demje­ni­gen, der sich ih­rer als ei­nes Mit­tels zu egois­ti­schen Ab­sich­ten ver­si­chern möch­te, weis­lich zu ent­schlüp­fen: und wenn sie gar Ei­ner fest­zu­hal­ten wähnt, um nun etwa einen Er­werb aus ihr zu ma­chen und sei­ne Le­bens­noth durch ihre Aus­nut­zung zu stil­len, dann läuft sie plötz­lich, mit un­hör­ba­ren Schlit­ten und mit der Mie­ne der Ver­höh­nung fort.

      Also, mei­ne Freun­de, ver­wech­selt mir die­se Bil­dung, die­se zart­fü­ßi­ge, ver­wöhn­te, äthe­ri­sche Göt­tin nicht mit je­ner nutz­ba­ren Magd, die sich mit­un­ter auch die »Bil­dung« nennt, aber nur die in­tel­lek­tu­el­le Wie­ne­rin und Be­rat­he­rin der Le­bens­noth, des Er­werbs, der Be­dürf­tig­keit ist. Jede Er­zie­hung aber, wel­che an das Ende ih­rer Lauf­bahn ein Amt oder einen Brod­ge­winn in Aus­sicht stellt, ist kei­ne Er­zie­hung zur Bil­dung, wie wir sie ver­ste­hen, son­dern nur eine An­wei­sung, auf wel­chem Wege man im Kamp­fe um das Da­sein sein Sub­jekt ret­te und schüt­ze. Frei­lich ist eine sol­che An­wei­sung für die al­ler­meis­ten Men­schen von ers­ter und nächs­ter Wich­tig­keit: und je schwie­ri­ger der Kampf ist, um so mehr muß der jun­ge Mensch ler­nen, um so an­ge­spann­ter muß er sei­ne Kräf­te re­gen.

      Nur aber glau­be Nie­mand, daß die An­stal­ten, die ihn zu die­sem Kamp­fe an­spor­nen und be­fä­hi­gen, ir­gend­wie in erns­tem Sin­ne als Bil­dungs­an­stal­ten in Be­tracht kom­men könn­ten. Es sind In­sti­tu­tio­nen zur Über­win­dung der Le­bens­noth, mö­gen sie nun ver­spre­chen Be­am­te oder Kauf­leu­te oder Of­fi­zie­re oder Groß­händ­ler oder Land­wir­the oder Ärz­te oder Tech­ni­ker zu bil­den. Für sol­che In­sti­tu­tio­nen gel­ten aber je­den­falls an­de­re Ge­set­ze und Maß­stä­be als für die Er­rich­tung ei­ner Bil­dungs­an­stalt: und was hier er­laubt, ja so ge­bo­ten wie mög­lich ist, dürf­te dort ein fre­vent­li­ches Un­recht sein.

      Ich will euch, mei­ne Freun­de, ein Bei­spiel ge­ben. Wollt ihr einen jun­gen Men­schen auf den rech­ten Bil­dungs­pfad ge­lei­ten, so hü­tet euch wohl, das nai­ve zu­trau­ens­vol­le, gleich­sam per­sön­lich-un­mit­tel­ba­re Ver­hält­niß des­sel­ben zur Na­tur zu stö­ren: zu ihm müs­sen der Wald und der Fels, der Sturm, der Gei­er, die ein­zel­ne Blu­me, der Schmet­ter­ling, die Wie­se, die Ber­ges­hal­de in ih­ren eig­nen Zun­gen re­den, in ih­nen muß er gleich­sam sich wie in zahl­lo­sen aus­ein­an­der­ge­worf­nen Re­fle­xen und Spie­ge­lun­gen, in ei­nem bun­ten Stru­del wech­seln­der Er­schei­nun­gen wie­der­er­ken­nen: so wird er un­be­wußt das me­ta­phy­si­sche Eins­s­ein al­ler Din­ge an dem großen Gleich­niß der Na­tur nach­emp­fin­den und zu­gleich an ih­rer ewi­gen Be­harr­lich­keit und No­thwen­dig­keit sich selbst be­ru­hi­gen. Aber wie vie­len jun­gen Men­schen darf es ge­stat­tet sein, so nahe und fast per­sön­lich zur Na­tur ge­stellt her­an­zu­wach­sen! Die An­de­ren müs­sen früh­zei­tig eine and­re Wahr­heit ler­nen: wie man die Na­tur sich un­ter­jocht. Hier ist es mit je­ner nai­ven Me­ta­phy­sik zu Ende: und die Phy­sio­lo­gie der Pflan­zen und Thie­re, die Geo­lo­gie, die un­or­ga­ni­sche Che­mie zwingt ihre Jün­ger zu ei­ner ganz ver­än­der­ten Be­trach­tung der Na­tur. Was durch die­se neue an­ge­zwun­ge­ne Be­trach­tungs­art ver­lo­ren ge­gan­gen ist, ist nicht etwa eine poe­ti­sche Phan­tas­ma­go­rie,