Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


Скачать книгу

Tage ver­brin­ge. Am we­nigs­ten sei ein hoch­müthi­ger Dün­kel die Ur­sa­che ei­nes sol­chen Ent­schlus­ses ge­we­sen.

      »Zu­viel,« sag­te der recht­schaff­ne Jün­ger, »habe ich von Ih­nen, mein Leh­rer, ge­hört, zu lan­ge bin ich in Ih­rer Nähe ge­we­sen, um mich an un­ser bis­he­ri­ge? Bil­dungs- und Er­zie­hungs­we­sen gläu­big hin­ge­ben zu kön­nen. Ich emp­fin­de zu deut­lich jene heil­lo­sen Irr­t­hü­mer und Miß­stän­de, auf die Sie mit dem Fin­ger zu zei­gen pfleg­ten: und doch mer­ke ich we­nig von der Kraft in mir, mit der ich, bei tap­fe­rem Kamp­fe, Er­fol­ge ha­ben wür­de, mit der ich die Boll­wer­ke die­ser an­geb­li­chen Bil­dung zer­trüm­mern könn­te. Eine all­ge­mei­ne Muth­lo­sig­keit über­kam mich: die Flucht in die Ein­sam­keit war nicht Hoch­muth, nicht Über­he­bung.« Da­rauf hat­te er, zu sei­ner Ent­schul­di­gung, die all­ge­mei­ne Si­gna­tur die­ses Bil­dungs­we­sens so be­schrie­ben, daß der Phi­lo­soph nicht um­hin konn­te, mit mit­lei­di­ger Stim­me ihm in’s Wort zu fal­len und ihn so zu be­ru­hi­gen.

      »Nun, halt ein­mal still, mein ar­mer Freund«, sag­te er; »ich be­grei­fe dich jetzt bes­ser und hät­te dir vor­hin kein so har­tes Wort sa­gen sol­len. Du hast in Al­lem Recht, nur nicht in dei­ner Muth­lo­sig­keit. Ich will dir jetzt Et­was zu dei­nem Tros­te sa­gen. Wie lan­ge glaubst du wohl, daß das auf dir so schwer las­ten­de Bil­dungs­ge­bah­ren in der Schu­le uns­rer Ge­gen­wart noch dau­ern wer­de? Ich will dir mei­nen Glau­ben dar­über nicht vor­ent­hal­ten: sei­ne Zeit ist vor­über, sei­ne Tage sind ge­zählt. Der Ers­te, der es wa­gen wird, auf die­sem Ge­bie­te ganz ehr­lich zu sein, wird den Wie­der­hall sei­ner Ehr­lich­keit aus tau­send muthi­gen See­len zu hö­ren be­kom­men. Denn im Grun­de ist un­ter den ed­ler be­gab­ten und wär­mer füh­len­den Men­schen die­ser Ge­gen­wart ein still­schwei­gen­des Ein­ver­ständ­niß: Je­der von ih­nen weiß, was er von den Bil­dungs­zu­stän­den der Schu­le zu lei­den hat­te. Je­der möch­te sei­ne Nach­kom­men min­des­tens von dem glei­chen Dru­cke er­lö­sen, wenn er sich auch selbst preis­ge­ben müß­te. Daß aber trotz­dem es nir­gends zur vol­len Ehr­lich­keit kommt, hat sei­ne trau­ri­ge Ur­sa­che in der päd­ago­gi­schen Geis­te­s­ar­muth un­se­rer Zeit; es fehlt ge­ra­de hier an wirk­lich er­fin­de­ri­schen Be­ga­bun­gen, es feh­len hier die wahr­haft prak­ti­schen Men­schen, das heißt die­je­ni­gen, wel­che gute und neue Ein­fäl­le ha­ben und wel­che wis­sen, daß die rech­te Ge­nia­li­tät und die rech­te Pra­xis sich nothwen­dig im glei­chen In­di­vi­du­um be­geg­nen müs­sen: wäh­rend den nüch­ter­nen Prak­ti­kern es ge­ra­de an Ein­fäl­len und des­halb wie­der an der rech­ten Pra­xis fehlt.

      Man ma­che sich nur ein­mal mit der päd­ago­gi­schen Lit­te­ra­tur die­ser Ge­gen­wart ver­traut; an Dem ist nichts mehr zu ver­der­ben, der bei die­sem Stu­di­um nicht über die al­ler­höchs­te Geis­te­s­ar­muth und über einen wahr­haft täp­pi­schen Cir­kel­tanz erschrickt. Hier muß un­se­re Phi­lo­so­phie nicht mit dem Er­stau­nen, son­dern mit dem Er­schre­cken be­gin­nen: wer es zu ihm nicht zu brin­gen ver­mag, ist ge­be­ten, von den päd­ago­gi­schen Din­gen sei­ne Hän­de zu las­sen. Das Um­ge­kehr­te war frei­lich bis­her die Re­gel; Die­je­ni­gen, wel­che er­schra­ken, lie­fen wie du, mein ar­mer Freund, scheu da­von, und die nüch­ter­nen Uner­schrock­nen leg­ten ihre brei­ten Hän­de recht breit auf die al­lerz­ar­tes­te Tech­nik, die es in ei­ner Kunst ge­ben kann, auf die Tech­nik der Bil­dung. Das wird aber nicht lan­ge mehr mög­lich sein; es mag nur ein­mal der ehr­li­che Mann kom­men, der jene gu­ten und neu­en Ein­fäl­le hat und zu de­ren Ver­wirk­li­chung mit al­lem Vor­han­de­nen zu bre­chen wagt, er mag nur ein­mal an ei­nem groß­ar­ti­gen Bei­spiel es vor­ma­chen, was jene bis­her al­lein thä­ti­gen brei­ten Hän­de nicht nach­zu­ma­chen ver­mö­gen – dann wird man we­nigs­tens über­all an­fan­gen zu un­ter­schei­den, dann wird man we­nigs­tens den Ge­gen­satz spü­ren und über die Ur­sa­chen die­ses Ge­gen­sat­zes nach­den­ken kön­nen, wäh­rend jetzt noch so Vie­le in al­ler Gut­müthig­keit glau­ben, daß die brei­ten Hän­de zum päd­ago­gi­schen Hand­werk ge­hö­ren.«

      »Ich möch­te, mein ge­ehr­ter Leh­rer,« sag­te hier der Beglei­ter, »daß Sie mir an ei­nem ein­zel­nen Bei­spie­le selbst zu je­ner Hoff­nung ver­hül­fen, die aus Ih­nen so muthig zu mir re­det. Wir ken­nen Bei­de das Gym­na­si­um; glau­ben Sie zum Bei­spiel auch in Hin­sicht auf die­ses In­sti­tut, daß hier mit Ehr­lich­keit und gu­ten, neu­en Ein­fäl­len die al­ten zä­hen Ge­wohn­hei­ten auf­ge­löst wer­den könn­ten? Hier schützt näm­lich, scheint es mir, nicht eine har­te Mau­er ge­gen die Sturm­bö­cke ei­nes An­griffs, wohl aber die fa­tals­te Zä­hig­keit und Schlüpf­rig­keit al­ler Prin­ci­pi­en. Der An­grei­fen­de hat nicht einen sicht­ba­ren und fes­ten Geg­ner zu zer­mal­men: die­ser Geg­ner ist viel­mehr mas­kirt, ver­mag sich in hun­dert Ge­stal­ten zu ver­wan­deln und in ei­ner der­sel­ben dem pa­cken­den Grif­fe zu ent­glei­ten, um im­mer von Neu­em wie­der durch fei­ges Nach­ge­ben und zä­hes Zu­rück­pral­len den An­grei­fen­den zu ver­wir­ren. Gera­de das Gym­na­si­um hat mich zu ei­ner muth­lo­sen Flucht in die Ein­sam­keit ge­drängt, ge­ra­de weil ich füh­le, daß, wenn hier der Kampf zum Sie­ge führt, alle an­de­ren In­sti­tu­tio­nen der Bil­dung nach­ge­ben müs­sen, und daß, wer hier ver­za­gen muß, über­haupt in den erns­tes­ten päd­ago­gi­schen Din­gen ver­za­gen muß. Also, mein Meis­ter, be­leh­ren Sie mich über das Gym­na­si­um: was dür­fen wir für eine Ver­nich­tung des Gym­na­si­ums, was für eine Neu­ge­burt des­sel­ben hof­fen?«

      »Auch ich,« sag­te der Phi­lo­soph, »den­ke von der Be­deu­tung des Gy­ma­si­ums so groß als du: an dem Bil­dungs­zie­le, das durch das Gym­na­si­um er­strebt wird, müs­sen sich alle an­de­ren In­sti­tu­te mes­sen, an den Ver­ir­run­gen sei­ner Ten­denz lei­den sie mit, durch die Rei­ni­gung und Er­neue­rung des­sel­ben wer­den sie sich gleich­falls rei­ni­gen und er­neu­ern. Eine sol­che Be­deu­tung als be­we­gen­der Mit­tel­punkt kann jetzt selbst die Uni­ver­si­tät nicht mehr für sich in An­spruch neh­men, die, bei ih­rer jet­zi­gen For­ma­ti­on, we­nigs­tens nach ei­ner wich­ti­gen Sei­te hin nur als Aus­bau der Gym­na­si­al­ten­denz gel­ten darf; wie ich dir dies spä­ter deut­lich ma­chen will. Für jetzt be­trach­ten wir Das mit ein­an­der, was in mir den hoff­nungs­vol­len Ge­gen­satz er­zeugt, daß ent­we­der der bis­her ge­pfleg­te, so bunt­ge­färb­te und schwer zu er­ha­schen­de Geist des Gym­na­si­ums völ­lig in der Luft zer­stie­ben wird oder daß er von Grund aus ge­rei­nigt und er­neu­ert wer­den muß: und da­mit ich dich nicht mit all­ge­mei­nen Sät­zen er­schre­cke, den­ken wir zu­erst an eine je­ner Gym­na­sia­ler­fah­run­gen, die wir Alle ge­macht ha­ben und an de­nen wir Alle lei­den. Was ist jetzt, mit stren­gem Auge be­trach­tet, der deut­sche Un­ter­richt auf dem Gym­na­si­um?

      Ich will dir zu­erst sa­gen, was er sein soll­te. Von Na­tur spricht und schreibt jetzt je­der Mensch so schlecht und ge­mein sei­ne deut­sche Spra­che, als es eben in ei­nem Zeit­al­ter des Zei­tungs­deut­sches mög­lich ist: des­halb müß­te der her­an­wach­sen­de ed­ler be­gab­te Jüng­ling mit Ge­walt un­ter die Glas­glo­cke des gu­ten Ge­schmacks und der stren­gen sprach­li­chen Zucht ge­setzt wer­den: ist dies nicht mög­lich, nun so zie­he ich nächs­tens wie­der vor La­tei­nisch zu spre­chen, weil ich mich ei­ner so ver­hunz­ten und ge­schän­de­ten Spra­che schä­me.

      Was für eine Auf­ga­be hät­te eine hö­he­re Bil­dungs­an­stalt in die­sem Punk­te,