Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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frü­he­ren Rhein­rei­se, die im Spät­som­mer un­ter­nom­men wor­den war, einen Plan fast zu glei­cher Zeit und an glei­chem Orte – und doch Je­der für sich – aus­ge­dacht, so daß wir uns ge­ra­de durch dies un­ge­wöhn­li­che Zu­sam­men­tref­fen ge­zwun­gen fühl­ten, ihn durch­zu­füh­ren. Wir be­schlos­sen da­mals eine klei­ne Ve­rei­ni­gung von we­nig Ka­me­ra­den zu stif­ten, mit der Ab­sicht, für un­se­re pro­duk­ti­ven Nei­gun­gen in Kunst und Lit­te­ra­tur eine fes­te und ver­pflich­ten­de Or­ga­ni­sa­ti­on zu fin­den: das heißt schlich­ter aus­ge­drückt: es muß­te sich ein Je­der von uns ver­bind­lich ma­chen, von Mo­nat zu Mo­nat ein eig­nes Pro­dukt, sei es eine Dich­tung oder eine Ab­hand­lung oder ein ar­chi­tek­to­ni­scher Ent­wurf oder eine mu­si­ka­li­sche Pro­duk­ti­on, ein­zu­sen­den, über wel­ches Pro­dukt nun ein Je­der der An­de­ren mit der un­be­grenz­ten Of­fen­heit freund­schaft­li­cher Kri­tik zu rich­ten be­fugt war. So glaub­ten wir un­se­re Bil­dungs­trie­be durch ge­gen­sei­ti­ges Über­wa­chen eben­so zu rei­zen, als im Zau­me zu hal­ten: und wirk­lich war auch der Er­folg der­art, daß wir im­mer eine dank­ba­re, ja fei­er­li­che Emp­fin­dung für je­nen Mo­ment und je­nen Ort zu­rück­be­hal­ten mutz­ten, die uns je­nen Ein­fall ein­ge­ge­ben hat­ten.

      Für die­se Emp­fin­dung fand sich bald die rech­te Form, in­dem wir uns ge­gen­sei­tig ver­pflich­te­ten, wenn es ir­gend mög­lich sei, an je­nem Tage, in je­dem Jah­re die ein­sa­me Stät­te bei Ro­land­seck auf­zu­su­chen, an der wir da­mals, im Spät­som­mer, in Ge­dan­ken ne­ben ein­an­der sit­zend, uns plötz­lich zu dem glei­chen Ent­schlüs­se be­geis­tert fühl­ten. Genau ge­nom­men, ist die­se Ver­pflich­tung doch nicht streng ge­nug ein­ge­hal­ten wor­den; aber ge­ra­de des­halb, weil wir man­che Un­ter­las­sungs­sün­de auf dem Ge­wis­sen hat­ten, wur­de von uns Bei­den in je­nem Bon­ner Stu­den­ten­jahr, als wir end­lich wie­der dau­ernd am Rhei­ne wohn­ten, mit größ­ter Fes­tig­keit be­schlos­sen, dies­mal nicht nur un­se­rem Ge­setz, son­dern auch un­se­rem Ge­fühl, un­se­rer dank­ba­ren Er­re­gung zu ge­nü­gen und am rech­ten Tage die Stät­te bei Ro­land­seck in wei­he­vol­ler Wei­se heim­zu­su­chen.

      Es wur­de uns nicht leicht ge­macht: denn ge­ra­de an die­sem Tage mach­te uns die zahl­rei­che und mun­te­re Stu­den­ten­ver­bin­dung, die uns am Flie­gen hin­der­te, recht zu schaf­fen und zog mit al­len Kräf­ten an al­len Fä­den, die uns nie­der­hal­ten konn­ten. Un­se­re Ver­bin­dung hat­te für die­sen Zeit­punkt eine große fest­li­che Aus­fahrt nach Ro­land­seck be­schlos­sen, um am Schlüs­se des Som­mer» Halb­jahrs sich noch ein­mal ih­rer sämmt­li­chen Mit­glie­der zu ver­si­chern und sie mit den bes­ten Ab­schied­ser­in­ne­run­gen nach­her in die Hei­math zu schi­cken.

      Es war ei­ner je­ner voll­komm­nen Tage, wie sie, in un­se­rem Kli­ma we­nigs­tens, nur eben die­se Spät­som­mer­zeit zu er­zeu­gen ver­mag: Him­mel und Erde im Ein­klang ru­hig ne­ben ein­an­der hin­strö­mend, wun­der­bar aus Son­nen­wär­me, Herbst­fri­sche und blau­er Unend­lich­keit ge­mischt. Wir be­stie­gen in dem bun­tes­ten phan­tas­ti­schen Auf­zu­ge, an dem sich, bei der Trüb­sin­nig­keit al­ler sons­ti­gen Trach­ten, al­lein noch der Stu­dent er­göt­zen darf, ein Dampf­schiff, das zu un­se­ren Ehren fest­lich be­wim­pelt war, und pflanz­ten un­se­re Ver­bin­dungs­fah­nen auf sei­nem Ver­de­cke auf. Von bei­den Ufern des Rhei­nes er­tön­te von Zeit zu Zeit ein Si­gnal­schuß, durch den, nach un­se­rer An­ord­nung, eben­so die Rhein­an­woh­ner als vor Al­lem un­ser Wirth in Ro­land­seck über un­ser Heran­kom­men be­nach­rich­tigt wur­de. Ich er­zäh­le nun nichts von dem lär­men­den Ein­zü­ge, vom Lan­dungs­plat­ze aus, durch den auf­ge­regt-neu­gie­ri­gen Ort hin­durch, eben­so we­nig von den nicht für Je­der­mann ver­ständ­li­chen Freu­den und Scher­zen, die wir uns un­ter ein­an­der ge­stat­te­ten; ich über­ge­he ein all­mäh­lich be­weg­ter, ja wild wer­den­des Fes­tes­sen und eine un­glaub­li­che mu­si­ka­li­sche Pro­duk­ti­on, an der sich, bald durch Ein­zel­vor­trä­ge, bald durch Ge­sammt­leis­tun­gen die gan­ze Ta­fel­ge­sell­schaft bet­hei­li­gen muß­te, und die ich, als mu­si­ka­li­scher Be­rat­her un­se­rer Ver­bin­dung, frü­her ein­zu­stu­die­ren und jetzt zu di­ri­gi­ren hat­te. Wäh­rend des et­was wüs­ten und im­mer schnel­ler wer­den­den Fina­le hat­te ich be­reits mei­nem Freun­de einen Wink ge­ge­ben, und un­mit­tel­bar nach dem ge­heu­l­ähn­li­chen Schluß­ac­cord ver­schwan­den wir Bei­de durch die Thü­re: hin­ter uns klapp­te ge­wis­ser­ma­ßen ein brül­len­der Ab­grund zu.

      Plötz­lich er­qui­cken­de, athem­lo­se Na­tur­stil­le. Die Schat­ten la­gen schon et­was brei­ter, die Son­ne glüh­te un­be­weg­lich, aber schon nie­der­ge­senkt, und von den grün­li­chen glit­zern­den Wel­len des Rhei­nes her weh­te ein leich­ter Hauch über un­se­re hei­ßen Ge­sich­ter. Un­se­re Erin­ne­rungs­wei­he ver­pflich­te­te uns nur erst für die spä­te­ren Stun­den des Tags, und da­her hat­ten wir dar­an ge­dacht, die letz­ten hel­len Mo­men­te des Tags mit ei­ner un­se­rer ein­sa­men Lieb­ha­be­rei­en aus­zu­fül­len, an de­nen wir da­mals so reich wa­ren.

      Wir pfleg­ten da­mals mit Pas­si­on Pis­to­len zu schie­ßen, und ei­nem Je­den von uns ist die­se Tech­nik in ei­ner spä­te­ren mi­li­tä­ri­schen Lauf­bahn von großem Nut­zen ge­we­sen. Der Die­ner un­se­rer Ver­bin­dung kann­te un­se­ren et­was ent­fernt und hoch­ge­le­ge­nen Schieß­platz und hat­te uns dort­hin un­se­re Pis­to­len vor­an­ge­tra­gen. Die­ser Platz be­fand sich am obe­ren Sau­me des Wal­des, der die nied­ri­gen Hö­hen­zü­ge hin­ter Ro­land­seck be­deckt, auf ei­nem klei­nen un­eb­nen Pla­teau, und zwar ganz in der Nähe un­se­rer Stif­tungs- und Wei­he­stät­te. Am be­wal­de­ten Ab­hang, seit­wärts von un­se­rem Schieß­platz, gab es eine klei­ne baum­freie, zum Nie­der­sit­zen ein­la­den­de Stel­le, die einen Durch­blick über Bäu­me und Ge­strüpp hin­weg nach dem Rhei­ne zu ge­stat­te­te, so daß ge­ra­de die schön ge­wun­de­nen Li­ni­en des Sie­ben­ge­birgs und vor Al­lem der Dra­chen­fels den Ho­ri­zont ge­gen die Baum­grup­pen ab­grenz­ten, wäh­rend den Mit­tel­punkt die­ses ge­run­de­ten Aus­schnitts der glit­zern­de Rhein selbst, die In­sel Non­nen­wörth im Arme hal­tend, bil­de­te. Dies war un­se­re, durch ge­mein­sa­me Träu­me und Plä­ne ge­weih­te Stät­te, zu der wir uns in spä­te­rer Abend­stun­de zu­rück­ziehn woll­ten, ja so­gar muß­ten, falls wir im Sin­ne un­se­res Ge­set­zes den Tag be­schlie­ßen moch­ten.

      Seit­wärts da­von, auf je­nem klei­nen un­ebe­nen Pla­teau, stand un­weit ein mäch­ti­ger Stumpf ei­ner Ei­che, ein­sam sich von der sonst baum- und strauch­lo­sen Flä­che und den nied­ri­gen wel­len­ar­ti­gen Er­hö­hun­gen ab­he­bend. An die­sem Stumpf hat­ten wir einst, mit ver­ein­ter Kraft, ein deut­li­ches Pen­ta­gramm ein­ge­schnit­ten, das in Wet­ter und Sturm der letz­ten Jah­re noch mehr auf­ge­bors­ten war und eine will­komm­ne Ziel­schei­be für un­se­re Pis­to­len­küns­te dar­bot. Es war be­reits eine spä­te­re Nach­mit­tags­stun­de, als wir auf un­se­rem Schieß­platz an­lang­ten, und von un­se­rem Ei­chen­stumpf aus lehn­te sich ein brei­ter und zu­ge­spitz­ter Schat­ten über die dürf­ti­ge Hai­de hin. Es war sehr still: durch die hö­he­ren Bäu­me zu un­se­ren Fü­ßen wa­ren wir ver­hin­dert, nach dem Rhein zu in die Tie­fe zu se­hen. Um so er­schüt­tern­der klang in die­se Ein­sam­keit bald der wi­der­hal­len­de schar­fe Laut un­se­rer Pis­to­len­schüs­se – und eben hat­te ich die zwei­te Ku­gel nach dem Pen­ta­gramm