früheren Rheinreise, die im Spätsommer unternommen worden war, einen Plan fast zu gleicher Zeit und an gleichem Orte – und doch Jeder für sich – ausgedacht, so daß wir uns gerade durch dies ungewöhnliche Zusammentreffen gezwungen fühlten, ihn durchzuführen. Wir beschlossen damals eine kleine Vereinigung von wenig Kameraden zu stiften, mit der Absicht, für unsere produktiven Neigungen in Kunst und Litteratur eine feste und verpflichtende Organisation zu finden: das heißt schlichter ausgedrückt: es mußte sich ein Jeder von uns verbindlich machen, von Monat zu Monat ein eignes Produkt, sei es eine Dichtung oder eine Abhandlung oder ein architektonischer Entwurf oder eine musikalische Produktion, einzusenden, über welches Produkt nun ein Jeder der Anderen mit der unbegrenzten Offenheit freundschaftlicher Kritik zu richten befugt war. So glaubten wir unsere Bildungstriebe durch gegenseitiges Überwachen ebenso zu reizen, als im Zaume zu halten: und wirklich war auch der Erfolg derart, daß wir immer eine dankbare, ja feierliche Empfindung für jenen Moment und jenen Ort zurückbehalten mutzten, die uns jenen Einfall eingegeben hatten.
Für diese Empfindung fand sich bald die rechte Form, indem wir uns gegenseitig verpflichteten, wenn es irgend möglich sei, an jenem Tage, in jedem Jahre die einsame Stätte bei Rolandseck aufzusuchen, an der wir damals, im Spätsommer, in Gedanken neben einander sitzend, uns plötzlich zu dem gleichen Entschlüsse begeistert fühlten. Genau genommen, ist diese Verpflichtung doch nicht streng genug eingehalten worden; aber gerade deshalb, weil wir manche Unterlassungssünde auf dem Gewissen hatten, wurde von uns Beiden in jenem Bonner Studentenjahr, als wir endlich wieder dauernd am Rheine wohnten, mit größter Festigkeit beschlossen, diesmal nicht nur unserem Gesetz, sondern auch unserem Gefühl, unserer dankbaren Erregung zu genügen und am rechten Tage die Stätte bei Rolandseck in weihevoller Weise heimzusuchen.
Es wurde uns nicht leicht gemacht: denn gerade an diesem Tage machte uns die zahlreiche und muntere Studentenverbindung, die uns am Fliegen hinderte, recht zu schaffen und zog mit allen Kräften an allen Fäden, die uns niederhalten konnten. Unsere Verbindung hatte für diesen Zeitpunkt eine große festliche Ausfahrt nach Rolandseck beschlossen, um am Schlüsse des Sommer» Halbjahrs sich noch einmal ihrer sämmtlichen Mitglieder zu versichern und sie mit den besten Abschiedserinnerungen nachher in die Heimath zu schicken.
Es war einer jener vollkommnen Tage, wie sie, in unserem Klima wenigstens, nur eben diese Spätsommerzeit zu erzeugen vermag: Himmel und Erde im Einklang ruhig neben einander hinströmend, wunderbar aus Sonnenwärme, Herbstfrische und blauer Unendlichkeit gemischt. Wir bestiegen in dem buntesten phantastischen Aufzuge, an dem sich, bei der Trübsinnigkeit aller sonstigen Trachten, allein noch der Student ergötzen darf, ein Dampfschiff, das zu unseren Ehren festlich bewimpelt war, und pflanzten unsere Verbindungsfahnen auf seinem Verdecke auf. Von beiden Ufern des Rheines ertönte von Zeit zu Zeit ein Signalschuß, durch den, nach unserer Anordnung, ebenso die Rheinanwohner als vor Allem unser Wirth in Rolandseck über unser Herankommen benachrichtigt wurde. Ich erzähle nun nichts von dem lärmenden Einzüge, vom Landungsplatze aus, durch den aufgeregt-neugierigen Ort hindurch, ebenso wenig von den nicht für Jedermann verständlichen Freuden und Scherzen, die wir uns unter einander gestatteten; ich übergehe ein allmählich bewegter, ja wild werdendes Festessen und eine unglaubliche musikalische Produktion, an der sich, bald durch Einzelvorträge, bald durch Gesammtleistungen die ganze Tafelgesellschaft betheiligen mußte, und die ich, als musikalischer Berather unserer Verbindung, früher einzustudieren und jetzt zu dirigiren hatte. Während des etwas wüsten und immer schneller werdenden Finale hatte ich bereits meinem Freunde einen Wink gegeben, und unmittelbar nach dem geheulähnlichen Schlußaccord verschwanden wir Beide durch die Thüre: hinter uns klappte gewissermaßen ein brüllender Abgrund zu.
Plötzlich erquickende, athemlose Naturstille. Die Schatten lagen schon etwas breiter, die Sonne glühte unbeweglich, aber schon niedergesenkt, und von den grünlichen glitzernden Wellen des Rheines her wehte ein leichter Hauch über unsere heißen Gesichter. Unsere Erinnerungsweihe verpflichtete uns nur erst für die späteren Stunden des Tags, und daher hatten wir daran gedacht, die letzten hellen Momente des Tags mit einer unserer einsamen Liebhabereien auszufüllen, an denen wir damals so reich waren.
Wir pflegten damals mit Passion Pistolen zu schießen, und einem Jeden von uns ist diese Technik in einer späteren militärischen Laufbahn von großem Nutzen gewesen. Der Diener unserer Verbindung kannte unseren etwas entfernt und hochgelegenen Schießplatz und hatte uns dorthin unsere Pistolen vorangetragen. Dieser Platz befand sich am oberen Saume des Waldes, der die niedrigen Höhenzüge hinter Rolandseck bedeckt, auf einem kleinen unebnen Plateau, und zwar ganz in der Nähe unserer Stiftungs- und Weihestätte. Am bewaldeten Abhang, seitwärts von unserem Schießplatz, gab es eine kleine baumfreie, zum Niedersitzen einladende Stelle, die einen Durchblick über Bäume und Gestrüpp hinweg nach dem Rheine zu gestattete, so daß gerade die schön gewundenen Linien des Siebengebirgs und vor Allem der Drachenfels den Horizont gegen die Baumgruppen abgrenzten, während den Mittelpunkt dieses gerundeten Ausschnitts der glitzernde Rhein selbst, die Insel Nonnenwörth im Arme haltend, bildete. Dies war unsere, durch gemeinsame Träume und Pläne geweihte Stätte, zu der wir uns in späterer Abendstunde zurückziehn wollten, ja sogar mußten, falls wir im Sinne unseres Gesetzes den Tag beschließen mochten.
Seitwärts davon, auf jenem kleinen unebenen Plateau, stand unweit ein mächtiger Stumpf einer Eiche, einsam sich von der sonst baum- und strauchlosen Fläche und den niedrigen wellenartigen Erhöhungen abhebend. An diesem Stumpf hatten wir einst, mit vereinter Kraft, ein deutliches Pentagramm eingeschnitten, das in Wetter und Sturm der letzten Jahre noch mehr aufgeborsten war und eine willkommne Zielscheibe für unsere Pistolenkünste darbot. Es war bereits eine spätere Nachmittagsstunde, als wir auf unserem Schießplatz anlangten, und von unserem Eichenstumpf aus lehnte sich ein breiter und zugespitzter Schatten über die dürftige Haide hin. Es war sehr still: durch die höheren Bäume zu unseren Füßen waren wir verhindert, nach dem Rhein zu in die Tiefe zu sehen. Um so erschütternder klang in diese Einsamkeit bald der widerhallende scharfe Laut unserer Pistolenschüsse – und eben hatte ich die zweite Kugel nach dem Pentagramm