Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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sein, was den Men­schen von der Na­tur ab­schei­det und aus­zeich­net. Aber eine sol­che Ab­schei­dung giebt es in Wirk­lich­keit nicht: die »na­tür­li­chen« Ei­gen­schaf­ten und die ei­gent­lich »mensch­lich« ge­nann­ten sind un­trenn­bar ver­wach­sen. Der Mensch, in sei­nen höchs­ten und edels­ten Kräf­ten, ist ganz Na­tur und trägt ih­ren un­heim­li­chen Dop­pel­cha­rak­ter an sich. Sei­ne furcht­ba­ren und als un­mensch­lich gel­ten­den Be­fä­hi­gun­gen sind viel­leicht so­gar der frucht­ba­re Bo­den, aus dem al­lein alle Hu­ma­ni­tät, in Re­gun­gen, Tha­ten und Wer­ten her­vor­wach­sen kann.

      So ha­ben die Grie­chen, die hum­an­s­ten Men­schen der al­ten Zeit, einen Zug von Grau­sam­keit, von ti­ger­ar­ti­ger Ver­nich­tungs­lust an sich: ein Zug, der auch in dem in’s Gro­tes­ke ver­grö­ßern­den Spie­gel­bil­de des Hel­le­nen, in Alex­an­der dem Gro­ßen, sehr sicht­bar ist, der aber in ih­rer gan­zen Ge­schich­te, eben­so wie in ih­rer My­tho­lo­gie uns, die wir mit dem weich­li­chen Be­griff der mo­der­nen Hu­ma­ni­tät ih­nen ent­ge­gen­kom­men, in Angst ver­set­zen muß. Wenn Alex­an­der die Füße des tap­fe­ren Vert­hei­di­gers von Gaza, Ba­tis, durch­boh­ren läßt und sei­nen Leib le­bend an sei­nen Wa­gen bin­det, um ihn un­ter dem Hoh­ne sei­ner Sol­da­ten her­um­zu­schlei­fen: so ist dies die Ekel er­re­gen­de Kar­ri­ka­tur des Achil­les, der den Leich­nam des Hek­tor nächt­lich durch ein ähn­li­ches Her­um­schlei­fen miß­han­delt; aber selbst die­ser Zug hat für uns et­was Be­lei­di­gen­des und Grau­sen Ein­flö­ßen­des. Wir se­hen hier in die Ab­grün­de des Has­ses. Mit der­sel­ben Emp­fin­dung ste­hen wir etwa auch vor dem blu­ti­gen und un­er­sätt­li­chen Sich­zer­flei­schen zwei­er grie­chi­scher Par­tei­en, zum Bei­spiel in der korky­räi­schen Re­vo­lu­ti­on. Wenn der Sie­ger, in ei­nem Kampf der Städ­te, nach dem Rech­te des Krie­ges, die ge­samm­te männ­li­che Bür­ger­schaft hin­rich­tet und alle Frau­en und Kin­der in die Skla­ve­rei ver­kauft, so se­hen wir, in der Sank­ti­on ei­nes sol­chen Rech­tes, daß der Grie­che ein vol­les Auss­trö­men­las­sen sei­nes Has­ses als erns­te No­thwen­dig­keit er­ach­te­te; in sol­chen Mo­men­ten er­leich­ter­te sich die zu­sam­men­ge­dräng­te und ge­schwol­le­ne Emp­fin­dung: der Ti­ger schnell­te her­vor, eine wol­lüs­ti­ge Grau­sam­keit blick­te aus sei­nem fürch­ter­li­chen Auge. Wa­rum muß­te der grie­chi­sche Bild­hau­er im­mer wie­der Krieg und Kämp­fe in zahl­lo­sen Wie­der­ho­lun­gen aus­prä­gen, aus­ge­r­eck­te Men­schen­lei­ber, de­ren Seh­nen vom Has­se ge­spannt sind oder vom Über­mu­the des Tri­um­phes, sich krüm­men­de Ver­wun­de­te, aus­rö­cheln­de Ster­ben­de? Wa­rum jauchz­te die gan­ze grie­chi­sche Welt bei den Kampf­bil­dern der Ili­as? Ich fürch­te, daß wir die­se nicht »grie­chisch« ge­nug ver­ste­hen, ja daß wir schau­dern wür­den, wenn wir sie ein­mal grie­chisch ver­stün­den.

      Was aber liegt, als der Ge­burts­schoß al­les Hel­le­ni­schen, hin­ter der ho­me­ri­schen Welt? In die­ser wer­den wir be­reits durch die au­ßer­or­dent­li­che künst­le­ri­sche Be­stimmt­heit, Ruhe und Rein­heit der Li­ni­en über die rein stoff­li­che Ver­schmel­zung hin­weg­ge­ho­ben: ihre Far­ben er­schei­nen, durch eine künst­le­ri­sche Täu­schung, lich­ter, mil­der, wär­mer, ihre Men­schen, in die­ser far­bi­gen, war­men Be­leuch­tung, bes­ser und sym­pa­thi­scher – aber wo­hin schau­en wir, wenn wir, von der Hand Ho­mer’s nicht mehr ge­lei­tet und ge­schützt, rück­wärts, in die vor­ho­me­ri­sche Welt hin­ein schrei­ten? Nur in Nacht und Grau­en, in die Er­zeug­nis­se ei­ner an das Gräß­li­che ge­wöhn­ten Phan­ta­sie. Wel­che ir­di­sche Exis­tenz spie­geln die­se wi­der­lich-furcht­ba­ren theo­go­ni­schen Sa­gen wie­der: ein Le­ben, über dem al­lein die Kin­der der Nacht, der Streit, die Lie­bes­be­gier, die Täu­schung, das Al­ter und der Tod wal­ten. Den­ken wir uns die schwer zu ath­men­de Luft des he­siodi­schen Ge­dich­tes noch ver­dich­tet und ver­fins­tert und ohne alle die Mil­de­run­gen und Rei­ni­gun­gen, wel­che, von Del­phi und zahl­rei­chen Göt­ter­sit­zen aus, über Hel­las hin­ström­ten: mi­schen wir die­se ver­dick­te bö­oti­sche Luft mit der fins­te­ren Wol­lüs­tig­keit der Etrus­ker; dann wür­de uns eine sol­che Wirk­lich­keit eine My­then­welt er­pres­sen, in der Ura­nos, Kro­nos und Zeus und die Ti­ta­nen­kämp­fe wie eine Er­leich­te­rung dün­ken müß­ten; der Kampf ist in die­ser brü­ten­den At­mo­sphä­re das Heil, die Ret­tung, die Grau­sam­keit des Sie­ges ist die Spit­ze des Le­bens­ju­bel Und wie sich in Wahr­heit vom Mor­de und der Mord­süh­ne aus der Be­griff des grie­chi­schen Rech­tes ent­wi­ckelt hat, so nimmt auch die ed­le­re Cul­tur ih­ren ers­ten Sie­ge­s­kranz vom Al­tar der Mord­süh­ne. Hin­ter je­nem blu­ti­gen Zeit­al­ter her zieht sich eine Wel­len­fur­che tief hin­ein in die hel­le­ni­sche Ge­schich­te. Die Na­men des Or­pheus, des Mu­sä­us und ih­rer Cul­te ver­rat­hen, zu wel­chen Fol­ge­run­gen der un­aus­ge­setz­te An­blick ei­ner Welt des Kamp­fes und der Grau­sam­keit dräng­te – zum Ekel am Da­sein, zur Auf­fas­sung die­ses Da­seins als ei­ner ab­zu­bü­ßen­den Stra­fe, zum Glau­ben an die Iden­ti­tät von Da­sein und Ver­schul­detsein. Gera­de die­se Fol­ge­run­gen aber sind nicht spe­ci­fisch hel­le­nisch: in ih­nen be­rührt sich Grie­chen­land mit In­di­en und über­haupt mit dem Ori­ent. Der hel­le­ni­sche Ge­ni­us hat­te noch eine an­de­re Ant­wort auf die Fra­ge be­reit »was will ein Le­ben des Kamp­fes und des Sie­ges?« und giebt die­se Ant­wort in der gan­zen Brei­te der grie­chi­schen Ge­schich­te.

      Um sie zu ver­ste­hen, müs­sen wir da­von aus­ge­hen, daß der grie­chi­sche Ge­ni­us den ein­mal so furcht­bar vor­han­de­nen Trieb gel­ten ließ und als be­rech­tigt er­ach­te­te: wäh­rend in der or­phi­schen Wen­dung der Ge­dan­ke lag, daß ein Le­ben, mit ei­nem sol­chen Trieb als Wur­zel, nicht le­bens­werth sei. Der Kampf und die Luft des Sie­ges wur­den an­er­kannt: und nichts schei­det die grie­chi­sche Welt so sehr von der un­se­ren, als die hieraus ab­zu­lei­ten­de Fär­bung ein­zel­ner ethi­scher Be­grif­fe, zum Bei­spiel der Eris und des Nei­des.

      Als der Rei­sen­de Pau­sa­ni­as auf sei­ner Wan­der­schaft durch Grie­chen­land den He­li­kon be­such­te, wur­de ihm ein ur­al­tes Exem­plar des ers­ten di­dak­ti­schen Ge­dich­tes der Grie­chen, der »Wer­ke und Tage« He­sio­d’s ge­zeigt, auf Blei­plat­ten ein­ge­schrie­ben und arg durch Zeit und Wet­ter ver­wüs­tet. Doch er­kann­te er so­viel, daß es, im Ge­gen­satz zu den ge­wöhn­li­chen Exem­pla­ren, an sei­ner Spit­ze je­nen klei­nen Hym­nus auf Zeus nicht be­saß, son­dern so­fort mit der Er­klä­rung be­gann, » zwei Eris­göt­tin­nen sind auf Er­den«. Dies ist ei­ner der merk­wür­digs­ten hel­le­ni­schen Ge­dan­ken und werth dem Kom­men­den gleich am Ein­gangst­ho­re der hel­le­ni­schen Ethik ein­ge­prägt zu wer­den. »Die eine Eris möch­te man, wenn man Ver­stand hat, eben­so lo­ben als die an­de­re ta­deln; denn eine ganz ge­trenn­te Ge­müths­art ha­ben die­se bei­den Göt­tin­nen. Denn die eine för­dert den schlim­men Krieg und Ha­der, die Grau­sa­me! Kein Sterb­li­cher mag sie lei­den, son­dern un­ter dem Joch der Noth er­weist man der schwer­las­ten­den Eris Ehre, nach dem Rath­schlus­se der Uns­terb­li­chen. Die­se ge­bar, als die Äl­te­re, die schwar­ze Nacht; die An­de­re aber stell­te Zeus, der hoch­wal­ten­de, hin auf die Wur­zeln der Erde und un­ter die Men­schen, als eine viel bes­se­re. Sie treibt auch den un­ge­schick­ten Mann zur Ar­beit! und schaut Ei­ner, der des Be­sitz­t­hums er­man­gelt, auf den An­de­ren, der reich ist, so eilt er sich in glei­cher Wei­se zu säen und zu pflan­zen und das Haus wohl zu be­stel­len; der Nach­bar wett­ei­fert mit dem Nach­barn, der zum Wohl­stan­de hin­strebt. Gut ist