Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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»poe­ti­sche Idee« zu thun im Stan­de wäre. So ge­wiß aus der mys­te­ri­ösen Burg des Mu­si­kers eine Brücke in’s freie Land der Bil­der führt – und der Ly­ri­ker schrei­tet über sie hin –, so un­mög­lich ist es, den um­ge­kehr­ten Weg zu ge­hen, ob­schon es Ei­ni­ge ge­ben soll, wel­che wäh­nen, ihn ge­gan­gen zu sein. Man be­völ­ke­re die Lust mit der Phan­ta­sie ei­nes Raf­fa­el, man schaue, wie er, die hei­li­ge Cä­ci­lia ent­zückt den Har­mo­ni­en der En­gelchö­re lau­schen – es dringt kein Ton aus die­ser in Mu­sik schein­bar ver­lo­re­nen Welt, ja stell­ten wir uns nur vor, daß jene Har­mo­nie wirk­lich, durch ein Wun­der, uns zu er­klin­gen be­gän­ne, wo­hin wä­ren uns plötz­lich Cä­ci­lia, Pau­lus und Mag­da­le­na, wo­hin selbst der sin­gen­de En­gel­chor ver­schwun­den! Wir wür­den so­fort auf­hö­ren, Raf­fa­el zu sein: und wie auf je­nem Bil­de die welt­li­chen In­stru­men­te zer­trüm­mert auf der Erde lie­gen, so wür­de uns­re Ma­ler­vi­si­on, von dem Hö­he­ren be­siegt, schat­ten­gleich ver­blas­sen und ver­lö­schen. – Wie aber soll­te das Wun­der ge­sche­hen! Wie soll­te die ganz in’s An­schau­en ver­sun­ke­ne apol­li­ni­sche Welt des Au­ges den Ton aus sich er­zeu­gen kön­nen, der doch eine Sphä­re sym­bo­li­sirt, die eben durch das apol­li­ni­sche Ver­lo­ren­sein im Schei­ne aus­ge­schlos­sen und über­wun­den ist! Die Lust am Schei­ne kann nicht aus sich die Lust am Nicht-Schei­ne er­re­gen: die Won­ne des Schau­ens ist Won­ne nur da­durch, daß Nichts uns an eine Sphä­re er­in­nert, in der die In­di­vi­dua­ti­on zer­bro­chen und auf­ge­ho­ben ist. Ha­ben wir das Apol­li­ni­sche im Ge­gen­satz zum Dio­ny­si­schen ir­gend­wie rich­tig cha­rak­te­ri­sirt, so muß uns jetzt der Ge­dan­ke nur aben­teu­er­lich falsch dün­ken, wel­cher dem Bil­de, dem Be­grif­fe, dem Schei­ne ir­gend­wie die Kraft bei­mä­ße, den Ton aus sich zu er­zeu­gen. Man mag uns nicht, zu un­se­rer Wi­der­le­gung, auf den Mu­si­ker ver­wei­sen, der vor­han­de­ne ly­ri­sche Ge­dich­te com­po­nirt: denn wir wer­den, nach al­lem Ge­sag­ten, be­haup­ten müs­sen, daß das Ver­hält­nis des ly­ri­schen Ge­dich­tes zu sei­ner Kom­po­si­ti­on je­den­falls ein an­de­res sein muß als das des Va­ters zu sei­nem Kin­de. Und zwar wel­ches?

      Hier nun wird man uns, auf Grund ei­ner be­lieb­ten äs­the­ti­schen An­schau­ung, mit dem Sat­ze ent­ge­gen­kom­men: »nicht das Ge­dicht, son­dern das durch das Ge­dicht er­zeug­te Ge­fühl ist es, wel­ches die Com­po­si­ti­on aus sich ge­biert.« Ich stim­me nicht da­mit über­ein: das Ge­fühl, die lei­se­re oder stär­ke­re Er­re­gung je­nes Lust- und Un­lust-Un­ter­grun­des, ist über­haupt im Be­reich der pro­duk­ti­ven Kunst das an sich Un­künst­le­ri­sche, ja erst sei­ne gänz­li­che Aus­schlie­ßung er­mög­licht das vol­le Sich-Ver­sen­ken und in­ter­es­se­lo­se An­schau­en des Künst­lers. Hier möch­te man mir etwa er­wi­dern, daß ich ja selbst so­eben vom »Wil­len« aus­ge­sagt habe, er kom­me in der Mu­sik zu ei­nem im­mer ad­äqua­te­ren sym­bo­li­schen Aus­druck. Mei­ne Ant­wort, in einen äs­the­ti­schen Grund­satz zu­sam­men­ge­faßt, ist die­se: der Wil­le ist Ge­gen­stand der Mu­sik, aber nicht Ur­sprung der­sel­ben, näm­lich der Wil­le in sei­ner aller­größ­ten All­ge­mein­heit, als die ur­sprüng­lichs­te Er­schei­nungs­form, un­ter der al­les Wer­den zu ver­stehn ist. Das, was wir Ge­füh­le nen­nen, ist, hin­sicht­lich die­ses Wil­lens, be­reits schon mit be­wuß­ten und un­be­wuß­ten Vor­stel­lun­gen durch­drun­gen und ge­sät­tigt und des­halb nicht mehr di­rekt Ge­gen­stand der Mu­sik: ge­schwei­ge denn, daß es die­se aus sich er­zeu­gen könn­te. Man neh­me bei­spiels­wei­se die Ge­füh­le von Lie­be, Furcht und Hoff­nung: die Mu­sik kann mit ih­nen auf di­rek­tem Wege gar nichts mehr an­fan­gen, so er­füllt ist ein je­des die­ser Ge­füh­le schon mit Vor­stel­lun­gen. Da­ge­gen kön­nen die­se Ge­füh­le dazu die­nen, die Mu­sik zu sym­bo­li­si­ren: wie dies der Ly­ri­ker thut, der je­nes be­griff­lich und bild­lich un­nah­ba­re Be­reich des »Wil­lens«, den ei­gent­li­chen In­halt und Ge­gen­stand der Mu­sik, sich in die Gleich­niß­welt der Ge­füh­le über­setzt. Dem Ly­ri­ker ähn­lich sind alle die­je­ni­gen Mu­sik­hö­rer, wel­che eine Wir­kung der Mu­sik auf ihre Af­fek­te spü­ren: die ent­fern­te und ent­rück­te Macht der Mu­sik ap­pel­lirt bei ih­nen an ein Zwi­schen­reich, das ih­nen gleich­sam einen Vor­ge­schmack, einen sym­bo­li­schen Vor­be­griff der ei­gent­li­chen Mu­sik giebt, an das Zwi­schen­reich der Af­fek­te. Von ih­nen dürf­te man, im Hin­blick auf den »Wil­len«, den ein­zi­gen Ge­gen­stand der Mu­sik, sa­gen, sie ver­hiel­ten sich zu die­sem Wil­len, wie der ana­lo­gi­sche Mor­gen­traum, nach der Scho­pen­haue­ri­schen Theo­rie, zum ei­gent­li­chen Trau­me. Al­len je­nen aber, die der Mu­sik nur mit ih­ren Af­fek­ten bei­zu­kom­men ver­mö­gen, ist zu sa­gen, daß sie im­mer in den Vor­hal­len blei­ben und kei­nen Zu­tritt zu dem Hei­ligt­hum der Mu­sik ha­ben wer­den: als wel­ches der Af­fekt, wie ich sag­te, nicht zu zei­gen, son­dern nur zu sym­bo­li­si­ren ver­mag.

      Was da­ge­gen den Ur­sprung der Mu­sik be­trifft, so habe ich schon er­klärt, daß die­ser nie und nim­mer im »Wil­len« lie­gen kann, viel­mehr im Schoo­ße je­ner Kraft ruht, die un­ter der Form des »Wil­lens« eine Vi­si­ons­welt aus sich er­zeugt: der Ur­sprung der Mu­sik liegt jen­seits al­ler In­di­vi­dua­ti­on, ein Satz, der sich nach uns­rer Er­ör­te­rung über das Dio­ny­si­sche aus sich selbst be­weist. An die­ser Stel­le möch­te ich mir ge­stat­ten, die ent­schei­den­den Be­haup­tun­gen, zu de­nen uns der be­han­del­te Ge­gen­satz des Dio­ny­si­schen und des Apol­li­ni­schen ge­nö­thigt hat, noch ein­mal über­sicht­lich ne­ben ein­an­der zu stel­len.

      Der »Wil­le«, als ur­sprüng­lichs­te Er­schei­nungs­form, ist Ge­gen­stand der Mu­sik: in wel­chem Sin­ne sie Nach­ah­mung der Na­tur, aber der all­ge­meins­ten Form der Na­tur ge­nannt wer­den kann. –

      Der »Wil­le« selbst und die Ge­füh­le – als die schon mit Vor­stel­lun­gen durch­drun­ge­nen Wil­lens­ma­ni­fes­ta­tio­nen – sind völ­lig un­ver­mö­gend Mu­sik aus sich zu er­zeu­gen: wie es an­dern­seits der Mu­sik völ­lig ver­sagt ist, Ge­füh­le dar­zu­stel­len, Ge­füh­le zum Ge­gen­stand zu ha­ben, wäh­rend der Wil­le ihr ein­zi­ger Ge­gen­stand ist. –

      Wer Ge­füh­le als Wir­kun­gen der Mu­sik da­von­trägt, hat an ih­nen gleich­sam, ein sym­bo­li­sches Zwi­schen­reich, das ihm einen Vor­ge­schmack von der Mu­sik ge­ben kann, doch ihn zu­gleich aus ih­ren in­ners­ten Hei­ligt­hü­mern aus­schließt. –

      Der Ly­ri­ker deu­tet sich die Mu­sik durch die sym­bo­li­sche Welt der Af­fek­te, wäh­rend er selbst, in der Ruhe der apol­li­ni­schen An­schau­ung, je­nen Af­fek­ten ent­ho­ben ist. –

      Wenn also der Mu­si­ker ein ly­ri­sches Lied com­po­nirt, so wird er als Mu­si­ker we­der durch die Bil­der noch durch die Ge­fühlss­pra­che die­ses Tex­tes er­regt: son­dern eine aus ganz an­dern Sphä­ren kom­men­de Mu­si­ker­re­gung wählt sich je­nen Lie­der­text als einen gleich­niß­ar­ti­gen Aus­druck ih­rer selbst. Von ei­nem nothwen­di­gen Ver­hält­niß zwi­schen Lied und Mu­sik kann also nicht die Rede sein: denn die bei­den hier in Be­zug ge­brach­ten Wel­ten des Tons und des Bil­des stehn sich zu fern, um mehr als eine äu­ßer­li­che Ver­bin­dung ein­ge­hen zu kön­nen; das Lied ist eben nur Sym­bol und ver­hält sich zur Mu­sik wie die ägyp­ti­sche Hie­ro­gly­phe der Tap­fer­keit zum tap­fe­ren Krie­ger selbst. Bei den höchs­ten Of­fen­ba­run­gen der Mu­sik emp­fin­den wir so­gar un­will­kür­lich die Roh­heit je­der Bild­lich­keit und je­des zur Ana­lo­gie