»poetische Idee« zu thun im Stande wäre. So gewiß aus der mysteriösen Burg des Musikers eine Brücke in’s freie Land der Bilder führt – und der Lyriker schreitet über sie hin –, so unmöglich ist es, den umgekehrten Weg zu gehen, obschon es Einige geben soll, welche wähnen, ihn gegangen zu sein. Man bevölkere die Lust mit der Phantasie eines Raffael, man schaue, wie er, die heilige Cäcilia entzückt den Harmonien der Engelchöre lauschen – es dringt kein Ton aus dieser in Musik scheinbar verlorenen Welt, ja stellten wir uns nur vor, daß jene Harmonie wirklich, durch ein Wunder, uns zu erklingen begänne, wohin wären uns plötzlich Cäcilia, Paulus und Magdalena, wohin selbst der singende Engelchor verschwunden! Wir würden sofort aufhören, Raffael zu sein: und wie auf jenem Bilde die weltlichen Instrumente zertrümmert auf der Erde liegen, so würde unsre Malervision, von dem Höheren besiegt, schattengleich verblassen und verlöschen. – Wie aber sollte das Wunder geschehen! Wie sollte die ganz in’s Anschauen versunkene apollinische Welt des Auges den Ton aus sich erzeugen können, der doch eine Sphäre symbolisirt, die eben durch das apollinische Verlorensein im Scheine ausgeschlossen und überwunden ist! Die Lust am Scheine kann nicht aus sich die Lust am Nicht-Scheine erregen: die Wonne des Schauens ist Wonne nur dadurch, daß Nichts uns an eine Sphäre erinnert, in der die Individuation zerbrochen und aufgehoben ist. Haben wir das Apollinische im Gegensatz zum Dionysischen irgendwie richtig charakterisirt, so muß uns jetzt der Gedanke nur abenteuerlich falsch dünken, welcher dem Bilde, dem Begriffe, dem Scheine irgendwie die Kraft beimäße, den Ton aus sich zu erzeugen. Man mag uns nicht, zu unserer Widerlegung, auf den Musiker verweisen, der vorhandene lyrische Gedichte componirt: denn wir werden, nach allem Gesagten, behaupten müssen, daß das Verhältnis des lyrischen Gedichtes zu seiner Komposition jedenfalls ein anderes sein muß als das des Vaters zu seinem Kinde. Und zwar welches?
Hier nun wird man uns, auf Grund einer beliebten ästhetischen Anschauung, mit dem Satze entgegenkommen: »nicht das Gedicht, sondern das durch das Gedicht erzeugte Gefühl ist es, welches die Composition aus sich gebiert.« Ich stimme nicht damit überein: das Gefühl, die leisere oder stärkere Erregung jenes Lust- und Unlust-Untergrundes, ist überhaupt im Bereich der produktiven Kunst das an sich Unkünstlerische, ja erst seine gänzliche Ausschließung ermöglicht das volle Sich-Versenken und interesselose Anschauen des Künstlers. Hier möchte man mir etwa erwidern, daß ich ja selbst soeben vom »Willen« ausgesagt habe, er komme in der Musik zu einem immer adäquateren symbolischen Ausdruck. Meine Antwort, in einen ästhetischen Grundsatz zusammengefaßt, ist diese: der Wille ist Gegenstand der Musik, aber nicht Ursprung derselben, nämlich der Wille in seiner allergrößten Allgemeinheit, als die ursprünglichste Erscheinungsform, unter der alles Werden zu verstehn ist. Das, was wir Gefühle nennen, ist, hinsichtlich dieses Willens, bereits schon mit bewußten und unbewußten Vorstellungen durchdrungen und gesättigt und deshalb nicht mehr direkt Gegenstand der Musik: geschweige denn, daß es diese aus sich erzeugen könnte. Man nehme beispielsweise die Gefühle von Liebe, Furcht und Hoffnung: die Musik kann mit ihnen auf direktem Wege gar nichts mehr anfangen, so erfüllt ist ein jedes dieser Gefühle schon mit Vorstellungen. Dagegen können diese Gefühle dazu dienen, die Musik zu symbolisiren: wie dies der Lyriker thut, der jenes begrifflich und bildlich unnahbare Bereich des »Willens«, den eigentlichen Inhalt und Gegenstand der Musik, sich in die Gleichnißwelt der Gefühle übersetzt. Dem Lyriker ähnlich sind alle diejenigen Musikhörer, welche eine Wirkung der Musik auf ihre Affekte spüren: die entfernte und entrückte Macht der Musik appellirt bei ihnen an ein Zwischenreich, das ihnen gleichsam einen Vorgeschmack, einen symbolischen Vorbegriff der eigentlichen Musik giebt, an das Zwischenreich der Affekte. Von ihnen dürfte man, im Hinblick auf den »Willen«, den einzigen Gegenstand der Musik, sagen, sie verhielten sich zu diesem Willen, wie der analogische Morgentraum, nach der Schopenhauerischen Theorie, zum eigentlichen Traume. Allen jenen aber, die der Musik nur mit ihren Affekten beizukommen vermögen, ist zu sagen, daß sie immer in den Vorhallen bleiben und keinen Zutritt zu dem Heiligthum der Musik haben werden: als welches der Affekt, wie ich sagte, nicht zu zeigen, sondern nur zu symbolisiren vermag.
Was dagegen den Ursprung der Musik betrifft, so habe ich schon erklärt, daß dieser nie und nimmer im »Willen« liegen kann, vielmehr im Schooße jener Kraft ruht, die unter der Form des »Willens« eine Visionswelt aus sich erzeugt: der Ursprung der Musik liegt jenseits aller Individuation, ein Satz, der sich nach unsrer Erörterung über das Dionysische aus sich selbst beweist. An dieser Stelle möchte ich mir gestatten, die entscheidenden Behauptungen, zu denen uns der behandelte Gegensatz des Dionysischen und des Apollinischen genöthigt hat, noch einmal übersichtlich neben einander zu stellen.
Der »Wille«, als ursprünglichste Erscheinungsform, ist Gegenstand der Musik: in welchem Sinne sie Nachahmung der Natur, aber der allgemeinsten Form der Natur genannt werden kann. –
Der »Wille« selbst und die Gefühle – als die schon mit Vorstellungen durchdrungenen Willensmanifestationen – sind völlig unvermögend Musik aus sich zu erzeugen: wie es andernseits der Musik völlig versagt ist, Gefühle darzustellen, Gefühle zum Gegenstand zu haben, während der Wille ihr einziger Gegenstand ist. –
Wer Gefühle als Wirkungen der Musik davonträgt, hat an ihnen gleichsam, ein symbolisches Zwischenreich, das ihm einen Vorgeschmack von der Musik geben kann, doch ihn zugleich aus ihren innersten Heiligthümern ausschließt. –
Der Lyriker deutet sich die Musik durch die symbolische Welt der Affekte, während er selbst, in der Ruhe der apollinischen Anschauung, jenen Affekten enthoben ist. –
Wenn also der Musiker ein lyrisches Lied componirt, so wird er als Musiker weder durch die Bilder noch durch die Gefühlssprache dieses Textes erregt: sondern eine aus ganz andern Sphären kommende Musikerregung wählt sich jenen Liedertext als einen gleichnißartigen Ausdruck ihrer selbst. Von einem nothwendigen Verhältniß zwischen Lied und Musik kann also nicht die Rede sein: denn die beiden hier in Bezug gebrachten Welten des Tons und des Bildes stehn sich zu fern, um mehr als eine äußerliche Verbindung eingehen zu können; das Lied ist eben nur Symbol und verhält sich zur Musik wie die ägyptische Hieroglyphe der Tapferkeit zum tapferen Krieger selbst. Bei den höchsten Offenbarungen der Musik empfinden wir sogar unwillkürlich die Rohheit jeder Bildlichkeit und jedes zur Analogie