der Wille, um zur Kunst zu kommen, sich in diese Welten, Sterne, Körper und Atome ausgegossen hat: mindestens müßte uns dann klar werden, daß die Kunst nicht für die Individuen, sondern für den Willen selbst nothwendig ist: eine erhabene Aussicht, auf die einen Blick zu werfen uns noch einmal von einer andern Stelle erlaubt sein wird.
Über Musik und Wort.
(Bruchstück 1871.)
Was wir hier über das Verhältnis; der Sprache zur Musik aufgestellt haben, muß aus gleichen Gründen auch vom Verhältnis; des Mimus zur Musik gelten. Auch der Mimus, als die gesteigerte Geberdensymbolik des Menschen, ist, an der ewigen Bedeutsamkeit der Musik gemessen, nur ein Gleichniß, das deren innerstes Geheimniß nur sehr äußerlich, nämlich am Substrat des leidenschaftlich bewegten Menschenleibes, zum Ausdruck bringt. Fassen wir aber auch die Sprache mit unter die Kategorie der leiblichen Symbolik und halten wir das Drama, gemäß unserm aufgestellten Kanon, an die Musik heran: so dürfte jetzt ein Satz Schopenhauer’s in die hellste Beleuchtung treten, an den an einer späteren Stelle wieder angeknüpft werden muß. »Es möchte hingehn, obgleich ein rein musikalischer Geist es nicht verlangt, daß man der reinen Sprache der Töne, obwohl sie, selbstgenügsam, keiner Beihülfe bedarf, Worte, sogar auch eine anschaulich vorgeführte Handlung, zugesellt und unterlegt, damit unser anschauender und reflektirender Intellekt, der nicht ganz müßig sein mag, doch auch eine leichte und analoge Beschäftigung dabei erhalte, wodurch sogar die Aufmerksamkeit der Musik fester anhängt und folgt, auch zugleich Dem, was die Töne in ihrer allgemeinen bilderlosen Sprache des Herzens besagen, ein anschauliches Bild, gleichsam ein Schema, oder wie ein Exempel zu einem allgemeinen Begriff, untergelegt wird: ja, dergleichen wird den Eindruck der Musik erhöhen.« (Schopenhauer, Parerga II, Zur Metaphysik des Schönen und Ästhetik § 224). Wenn wir von der naturalistisch äußerlichen Motivirung absehn, wonach unser anschauender und reflektirender Intellekt beim Anhören der Musik nicht ganz müßig sein mag, und die Aufmerksamkeit, an der Hand einer anschaulichen Aktion, besser folgt, – so ist von Schopenhauer mit höchstem Rechte das Drama im Verhältniß zur Musik als ein Schema, als ein Exempel zu einem allgemeinen Begriff charakterisirt worden: und wenn er hinzufügt: »ja, dergleichen wird den Eindruck der Musik erhöhen«, so bürgt die ungeheure Allgemeinheit und Ursprünglichkeit der Vokalmusik, der Verbindung von Ton mit Bild und Begriff, für die Richtigkeit dieses Ausspruchs. Die Musik jedes Volkes beginnt durchaus im Bunde mit der Lyrik, und lange bevor an eine absolute Musik gedacht werden kann, durchläuft sie in jener Vereinigung die wichtigsten Entwicklungsstufen. Verstehen wir diese Urlyrik eines Volkes, wie wir es ja müssen, als eine Nachahmung der künstlerisch vorbildenden Natur, so muß uns als ursprüngliches Vorbild jener Vereinigung von Musik und Lyrik die von der Natur vorgebildete Doppelheit im Wesen der Sprache gelten: in welches wir jetzt, nach den Erörterungen über die Stellung von Musik zum Bild, tiefer eindringen werden.
In der Vielheit der Sprachen giebt sich sofort die Thatsache kund, daß Wort und Ding sich nicht vollständig und nothwendig decken, sondern daß das Wort ein Symbol ist. Was symbolisirt aber das Wort? Doch gewiß nur Vorstellungen, seien dies nun bewußte oder, der Mehrzahl nach, unbewußte: denn wie sollte ein Wort-Symbol jenem innersten Wesen, dessen Abbilder wir selbst, sammt der Welt, sind, entsprechen? Nur als Vorstellungen kennen wir jenen Kern, nur in seinen bildlichen Äußerungen haben wir eine Vertrautheit mit ihm: außerdem giebt es nirgends eine direkte Brücke, die uns zu ihm selbst führte. Auch das gesammte Triebleben, das Spiel der Gefühle Empfindungen Affekte Willensakte, ist uns – wie ich hier gegen Schopenhauer einschalten muß – bei genauester Selbstprüfung nur als Vorstellung, nicht seinem Wesen nach, bekannt: und wir dürfen wohl sagen, daß selbst der »Wille« Schopenhauer’s nichts als die allgemeinste Erscheinungsform eines uns übrigens gänzlich Unentzifferbaren ist. Müssen wir uns also schon in die starre Nothwendigkeit fügen, nirgends über die Vorstellungen hinauszukommen, so können wir doch wieder im Bereich der Vorstellungen zwei Hauptgattungen unterscheiden. Die einen offenbaren sich uns als Lust- und Unlustempfindungen und begleiten als nie fehlender Grundbaß alle übrigen Vorstellungen. Diese allgemeinste Erscheinungsform, aus der und unter der wir alles Werden und alles Wollen einzig verstehen und für die wir den Namen »Wille« festhalten wollen, hat nun auch in der Sprache ihre eigne symbolische Sphäre: und zwar ist diese für die Sprache ebenso fundamental, wie jene Erscheinungsform für alle übrigen Vorstellungen. Alle Lust- und Unlustgrade – Äußerungen eines uns nicht durchschaubaren Urgrundes – symbolisiren sich im Tone des Sprechenden: während sämmtliche übrigen Vorstellungen durch die Geberdensymbolik des Sprechenden bezeichnet werden. Insofern jener Urgrund in allen Menschen derselbe ist, ist auch der Tonuntergrund der allgemeine und über die Verschiedenheit der Sprachen hinaus verständliche. Aus ihm entwickelt sich nun die willkürlichere und ihrem Fundament nicht völlig adäquate Geberdensymbolik: mit der die Mannigfaltigkeit der Sprachen beginnt, deren Vielheit wir gleichnißweise als einen strophischen Text auf jene Urmelodie der Lust- und Unlustsprache ansehen dürfen. Das ganze Bereich des Consonantischen und Vokalischen glauben wir nur unter die Geberdensymbolik rechnen zu dürfen – Consonanten und Vokale sind ohne den vor Allem nöthigen fundamentalen Ton nichts als Stellungen der Sprachorgane, kurz Geberden –; sobald wir uns das Wort aus dem Munde des Menschen hervorquellen denken, so erzeugt sich zu allererst die Wurzel des Wortes und das Fundament jener Geberdensymbolik, der Tonuntergrund, der Wiederklang der Lust- und Unlustempfindungen. Wie sich unsre ganze Leiblichkeit zu jener ursprünglichsten Erscheinungsform, dem »Willen« verhält, so verhält sich das consonantisch-vokalische Wort zu seinem Tonfundamente.
Diese ursprünglichste Erscheinungsform, der »Wille«, mit seiner Skala der Lust- und Unlustempfindungen, kommt aber in der Entwicklung der Musik zu einem immer adäquateren symbolischen Ausdruck: als welchem historischen Proceß das fortwährende Streben der Lyrik nebenher läuft, die Musik in Bildern zu umschreiben: wie dieses Doppelphänomen, nach der soeben gemachten Ausführung, in der Sprache uranfänglich vorgebildet liegt.
Wer uns in diese schwierigen Betrachtungen bereitwillig, aufmerksam und mit einiger Phantasie gefolgt ist – auch mit Wohlwollen ergänzend, wo der Ausdruck zu knapp oder zu unbedingt ausgefallen