Weiterlebens zeugen und arbeiten muß.
Und selbst auf dieser Höhe der »Arbeit« überkommt die Griechen mitunter ein Gefühl, das wie Scham aussieht. Plutarch sagt einmal mit altgriechischem Instinkte, kein edelgeborner Jüngling werde, wenn er den Zeus in Pisa schaue, das Verlangen haben, selbst ein Phidias, oder wenn er die Hera in Argos sehe, selbst ein Polyklet zu werden: und ebenso wenig würde er wünschen, Anakreon, Philetas oder Archilochus zu sein, so sehr er sich auch an ihren Dichtungen ergehe. Das künstlerische Schaffen fällt für den Griechen ebenso sehr unter den unehrwürdigen Begriff der Arbeit, wie jedes banausische Handwerk. Wenn aber die zwingende Kraft des künstlerischen Triebes in ihm wirkt, dann muß er schaffen und sich jener Noth der Arbeit unterziehn. Und wie ein Vater die Schönheit und Begabung seines Kindes bewundert, an den Akt der Entstehung aber mit schamhaftem Widerwillen denkt, so ergieng es dem Griechen. Das lustvolle Staunen über das Schöne hat ihn nicht über sein Werden verblendet – das ihm wie alles Werden in der Natur erschien, als eine gewaltige Noth, als ein Sichdrängen zum Dasein. Dasselbe Gefühl, mit dem der Zeugungsproceß als etwas schamhaft zu Verbergendes betrachtet wird, obwohl in ihm der Mensch einem höheren Ziele dient als seiner individuellen Erhaltung: dasselbe Gefühl umschleierte auch die Entstehung der großen Kunstwerke, trotzdem daß durch sie eine höhere Daseinsform inaugurirt wird, wie durch jenen Akt eine neue Generation. Die Scham scheint somit dort einzutreten, wo der Mensch nur noch Werkzeug unendlich größerer Willenserscheinungen ist, als er sich selbst, in der Einzelgestalt des Individuums, gelten darf.
Jetzt haben wir den allgemeinen Begriff, unter den die Empfindungen zu ordnen sind, die die Griechen in Betreff der Arbeit und der Sklaverei hatten. Beide galten ihnen als eine nothwendige Schmach, vor der man Scham empfindet, zugleich Schmach, zugleich Nothwendigkeit. In diesem Schamgefühl birgt sich die unbewußte Erkenntniß, daß das eigentliche Ziel jener Voraussetzungen bedarf, daß aber in jenem Bedürfnisse das Entsetzliche und Raubthierartige der Sphinx Natur liegt, die in der Verherrlichung des künstlerisch freien Kulturlebens so schön den Jungfrauenleib vorstreckt. Die Bildung, die vornehmlich wahrhaftes Kunstbedürfniß ist, ruht auf einem erschrecklichen Grunde: dieser aber giebt sich in der dämmernden Empfindung der Scham zu erkennen. Damit es einen breiten tiefen und ergiebigen Erdboden für eine Kunstentwicklung gebe, muß die ungeheure Mehrzahl im Dienste einer Minderzahl, über das Maß ihrer individuellen Bedürftigkeit hinaus, der Lebensnoth sklavisch unterworfen sein. Auf ihre Unkosten, durch ihre Mehrarbeit soll jene bevorzugte Klasse dem Existenzkämpfe entrückt werden, um nun eine neue Welt des Bedürfnisses zu erzeugen und zu befriedigen.
Demgemäß müssen wir uns dazu verstehen, als grausam klingende Wahrheit hinzustellen, daß zum Wesen einer Cultur das Sklaventhum gehöre: eine Wahrheit freilich, die über den absoluten Werth des Daseins keinen Zweifel übrig laßt. Sie ist der Geier, der dem prometheischen Förderer der Cultur an der Leber nagt. Das Elend der mühsam lebenden Menschen muß noch gesteigert werden, um einer geringen Anzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermöglichen. Hier liegt der Quell jenes Ingrimms, den die Kommunisten und Socialisten und auch ihre blasseren Abkömmlinge, die weiße Rasse der »Liberalen«, jeder Zeit gegen die Künste, aber auch gegen das classische Alterthum genährt haben. Wenn wirklich die Cultur im Belieben eines Volkes stünde, wenn hier nicht unentrinnbare Mächte walteten, die dem Einzelnen Gesetz und Schranke sind, so wäre die Verachtung der Cultur, die Verherrlichung der Armuth des Geistes, die bilderstürmerische Vernichtung der Kunstansprüche mehr als eine Auflehnung der unterdrückten Masse gegen drohnenartige Einzelne: es wäre der Schrei des Mitleidens, der die Mauern der Cultur umrisse; der Trieb nach Gerechtigkeit, nach Gleichmaß des Leidens würde alle anderen Vorstellungen überfluthen. Wirklich hat ein überschwänglicher Grad des Mitleidens auf kurze Zeit hier und da einmal alle Dämme des Culturlebens zerbrochen; ein Regenbogen der mitleidigen Liebe und des Friedens erschien mit dem ersten Aufglänzen des Christenthums, und unter ihm wurde seine schönste Frucht, das Johannesevangelium, geboren. Es giebt aber auch Beispiele, daß mächtige Religionen auf lange Perioden hinaus einen bestimmten Culturgrad versteinern und Alles, was noch kräftig weiter wuchern will, mit unerbittlicher Sichel abschneiden. Eins nämlich ist nicht zu vergessen: dieselbe Grausamkeit, die wir im Wesen jeder Cultur fanden, liegt auch im Wesen jeder mächtigen Religion und überhaupt in der Natur der Macht, die immer böse ist: so daß wir ebenso gut es verstehen werden, wenn eine Cultur mit dem Schrei nach Freiheit oder mindestens Gerechtigkeit ein allzu hoch gethürmtes Bollwerk religiöser Ansprüche zerbricht. Was in dieser entsetzlichen Constellation der Dinge leben will, das heißt leben muß, ist im Grunde seines Wesens Abbild des Urschmerzes und Urwiderspruches, muß also in unfrei Augen »welt- und erdgemäß Organ« fallen als unersättliche Gier zum Dasein und ewiges Sichwidersprechen in der Form der Zeit, also als Werden. Jeder Augenblick frißt den Vorhergehenden, jede Geburt ist der Tod unzähliger Wesen, Zeugen Leben und Morden ist eins. Deshalb dürfen wir auch die herrliche Cultur mit einem bluttriefenden Sieger vergleichen, der bei seinem Triumphzuge die an seinen Wagen gefesselten Besiegten als Sklaven mitschleppt: als welchen eine wohlthätige Macht die Augen verblendet hat, so daß sie, von den Rädern des Wagens fast zermalmt, doch noch rufen: »Würde der Arbeit!« »Würde des Menschen!« Die üppige Kleopatra Cultur wirft immer wieder die unschätzbarsten Peilen in ihren goldenen Becher: diese Perlen sind die Thränen des Mitleidens mit dem Sklaven und mit dem Sklavenelende. Aus der Verzärtelung des neueren Menschen sind die ungeheuren socialen Nothstände der Gegenwart geboren, nicht aus dem wahren und tiefen Erbarmen mit jenem Elende; und wenn es wahr sein sollte, daß die Griechen an ihrem Sklaventhum zu Grunde gegangen sind, so ist das Andere viel gewisser, daß wir an dem Mangel des Sklaventhums zu Grunde gehen werden: als welches weder dem ursprünglichen Christenthum, noch dem Germanenthum irgendwie anstößig, geschweige denn verwerflich zu sein dünkte. Wie erhebend wirkt auf uns die Betrachtung des mittelalterlichen Hörigen, mit dem innerlich kräftigen und zarten Rechts- und Sittenverhältnisse zu dem höher Geordneten, mit der tiefsinnigen Umfriedung seines engen Daseins – wie erhebend – und wie vorwurfsvoll!
Wer nun über die Configuration der Gesellschaft nicht ohne Schwermuth nachdenken kann, wer sie als die fortwährende schmerzhafte Geburt jener eximirten Culturmenschen zu begreifen gelernt hat, in deren