Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Wei­ter­le­bens zeu­gen und ar­bei­ten muß.

      Und selbst auf die­ser Höhe der »Ar­beit« über­kommt die Grie­chen mit­un­ter ein Ge­fühl, das wie Scham aus­sieht. Plut­arch sagt ein­mal mit alt­grie­chi­schem In­stink­te, kein edel­ge­bor­ner Jüng­ling wer­de, wenn er den Zeus in Pisa schaue, das Ver­lan­gen ha­ben, selbst ein Phi­di­as, oder wenn er die Hera in Ar­gos sehe, selbst ein Po­ly­klet zu wer­den: und eben­so we­nig wür­de er wün­schen, Ana­kre­on, Phi­le­tas oder Archi­lo­chus zu sein, so sehr er sich auch an ih­ren Dich­tun­gen er­ge­he. Das künst­le­ri­sche Schaf­fen fällt für den Grie­chen eben­so sehr un­ter den un­ehr­wür­di­gen Be­griff der Ar­beit, wie je­des ba­nau­si­sche Hand­werk. Wenn aber die zwin­gen­de Kraft des künst­le­ri­schen Trie­bes in ihm wirkt, dann muß er schaf­fen und sich je­ner Noth der Ar­beit un­ter­ziehn. Und wie ein Va­ter die Schön­heit und Be­ga­bung sei­nes Kin­des be­wun­dert, an den Akt der Ent­ste­hung aber mit scham­haf­tem Wi­der­wil­len denkt, so er­gieng es dem Grie­chen. Das lust­vol­le Stau­nen über das Schö­ne hat ihn nicht über sein Wer­den ver­blen­det – das ihm wie al­les Wer­den in der Na­tur er­schi­en, als eine ge­wal­ti­ge Noth, als ein Sich­drän­gen zum Da­sein. Das­sel­be Ge­fühl, mit dem der Zeu­gungs­pro­ceß als et­was scham­haft zu Ver­ber­gen­des be­trach­tet wird, ob­wohl in ihm der Mensch ei­nem hö­he­ren Zie­le dient als sei­ner in­di­vi­du­el­len Er­hal­tung: das­sel­be Ge­fühl um­schlei­er­te auch die Ent­ste­hung der großen Kunst­wer­ke, trotz­dem daß durch sie eine hö­he­re Da­seins­form in­au­gur­irt wird, wie durch je­nen Akt eine neue Ge­ne­ra­ti­on. Die Scham scheint so­mit dort ein­zu­tre­ten, wo der Mensch nur noch Werk­zeug un­end­lich grö­ße­rer Wil­lenser­schei­nun­gen ist, als er sich selbst, in der Ein­zel­ge­stalt des In­di­vi­du­ums, gel­ten darf.

      Jetzt ha­ben wir den all­ge­mei­nen Be­griff, un­ter den die Emp­fin­dun­gen zu ord­nen sind, die die Grie­chen in Be­treff der Ar­beit und der Skla­ve­rei hat­ten. Bei­de gal­ten ih­nen als eine nothwen­di­ge Schmach, vor der man Scham emp­fin­det, zu­gleich Schmach, zu­gleich No­thwen­dig­keit. In die­sem Scham­ge­fühl birgt sich die un­be­wuß­te Er­kennt­niß, daß das ei­gent­li­che Ziel je­ner Voraus­set­zun­gen be­darf, daß aber in je­nem Be­dürf­nis­se das Ent­setz­li­che und Raubt­hier­ar­ti­ge der Sphinx Na­tur liegt, die in der Ver­herr­li­chung des künst­le­risch frei­en Kul­tur­le­bens so schön den Jung­frau­en­leib vor­streckt. Die Bil­dung, die vor­nehm­lich wahr­haf­tes Kunst­be­dürf­niß ist, ruht auf ei­nem er­schreck­li­chen Grun­de: die­ser aber giebt sich in der däm­mern­den Emp­fin­dung der Scham zu er­ken­nen. Da­mit es einen brei­ten tie­fen und er­gie­bi­gen Erd­bo­den für eine Kunst­ent­wick­lung gebe, muß die un­ge­heu­re Mehr­zahl im Diens­te ei­ner Min­der­zahl, über das Maß ih­rer in­di­vi­du­el­len Be­dürf­tig­keit hin­aus, der Le­bens­noth skla­visch un­ter­wor­fen sein. Auf ihre Un­kos­ten, durch ihre Mehr­ar­beit soll jene be­vor­zug­te Klas­se dem Exis­tenz­kämp­fe ent­rückt wer­den, um nun eine neue Welt des Be­dürf­nis­ses zu er­zeu­gen und zu be­frie­di­gen.

      Dem­ge­mäß müs­sen wir uns dazu ver­ste­hen, als grau­sam klin­gen­de Wahr­heit hin­zu­stel­len, daß zum We­sen ei­ner Cul­tur das Skla­vent­hum ge­hö­re: eine Wahr­heit frei­lich, die über den ab­so­lu­ten Werth des Da­seins kei­nen Zwei­fel üb­rig laßt. Sie ist der Gei­er, der dem pro­me­thei­schen För­de­rer der Cul­tur an der Le­ber nagt. Das Elend der müh­sam le­ben­den Men­schen muß noch ge­stei­gert wer­den, um ei­ner ge­rin­gen An­zahl olym­pi­scher Men­schen die Pro­duk­ti­on der Kunst­welt zu er­mög­li­chen. Hier liegt der Quell je­nes In­grimms, den die Kom­mu­nis­ten und So­cia­lis­ten und auch ihre blas­se­ren Ab­kömm­lin­ge, die wei­ße Ras­se der »Li­be­ra­len«, je­der Zeit ge­gen die Küns­te, aber auch ge­gen das clas­si­sche Al­ter­thum ge­nährt ha­ben. Wenn wirk­lich die Cul­tur im Be­lie­ben ei­nes Vol­kes stün­de, wenn hier nicht un­ent­rinn­ba­re Mäch­te wal­te­ten, die dem Ein­zel­nen Ge­setz und Schran­ke sind, so wäre die Ver­ach­tung der Cul­tur, die Ver­herr­li­chung der Ar­muth des Geis­tes, die bil­der­stür­me­ri­sche Ver­nich­tung der Kunst­an­sprü­che mehr als eine Auf­leh­nung der un­ter­drück­ten Mas­se ge­gen droh­nen­ar­ti­ge Ein­zel­ne: es wäre der Schrei des Mit­lei­dens, der die Mau­ern der Cul­tur um­ris­se; der Trieb nach Ge­rech­tig­keit, nach Gleich­maß des Lei­dens wür­de alle an­de­ren Vor­stel­lun­gen über­flu­then. Wirk­lich hat ein über­schwäng­li­cher Grad des Mit­lei­dens auf kur­ze Zeit hier und da ein­mal alle Däm­me des Cul­tur­le­bens zer­bro­chen; ein Re­gen­bo­gen der mit­lei­di­gen Lie­be und des Frie­dens er­schi­en mit dem ers­ten Auf­glän­zen des Chris­tent­hums, und un­ter ihm wur­de sei­ne schöns­te Frucht, das Jo­han­nes­evan­ge­li­um, ge­bo­ren. Es giebt aber auch Bei­spie­le, daß mäch­ti­ge Re­li­gio­nen auf lan­ge Pe­ri­oden hin­aus einen be­stimm­ten Cul­tur­grad ver­stei­nern und Al­les, was noch kräf­tig wei­ter wu­chern will, mit un­er­bitt­li­cher Si­chel ab­schnei­den. Eins näm­lich ist nicht zu ver­ges­sen: die­sel­be Grau­sam­keit, die wir im We­sen je­der Cul­tur fan­den, liegt auch im We­sen je­der mäch­ti­gen Re­li­gi­on und über­haupt in der Na­tur der Macht, die im­mer böse ist: so daß wir eben­so gut es ver­ste­hen wer­den, wenn eine Cul­tur mit dem Schrei nach Frei­heit oder min­des­tens Ge­rech­tig­keit ein all­zu hoch get­hürm­tes Boll­werk re­li­gi­öser An­sprü­che zer­bricht. Was in die­ser ent­setz­li­chen Con­stel­la­ti­on der Din­ge le­ben will, das heißt le­ben muß, ist im Grun­de sei­nes We­sens Ab­bild des Ur­schmer­zes und Ur­wi­der­spru­ches, muß also in un­frei Au­gen »welt- und erd­ge­mäß Or­gan« fal­len als un­er­sätt­li­che Gier zum Da­sein und ewi­ges Sich­wi­der­spre­chen in der Form der Zeit, also als Wer­den. Je­der Au­gen­blick frißt den Vor­her­ge­hen­den, jede Ge­burt ist der Tod un­zäh­li­ger We­sen, Zeu­gen Le­ben und Mor­den ist eins. Des­halb dür­fen wir auch die herr­li­che Cul­tur mit ei­nem blut­trie­fen­den Sie­ger ver­glei­chen, der bei sei­nem Tri­umph­zu­ge die an sei­nen Wa­gen ge­fes­sel­ten Be­sieg­ten als Skla­ven mit­schleppt: als wel­chen eine wohlt­hä­ti­ge Macht die Au­gen ver­blen­det hat, so daß sie, von den Rä­dern des Wa­gens fast zer­malmt, doch noch ru­fen: »Wür­de der Ar­beit!« »Wür­de des Men­schen!« Die üp­pi­ge Kleo­pa­tra Cul­tur wirft im­mer wie­der die un­schätz­bars­ten Pei­len in ih­ren gol­de­nen Be­cher: die­se Per­len sind die Thrä­nen des Mit­lei­dens mit dem Skla­ven und mit dem Skla­ve­ne­len­de. Aus der Ver­zär­te­lung des neue­ren Men­schen sind die un­ge­heu­ren so­cia­len Noth­stän­de der Ge­gen­wart ge­bo­ren, nicht aus dem wah­ren und tie­fen Er­bar­men mit je­nem Elen­de; und wenn es wahr sein soll­te, daß die Grie­chen an ih­rem Skla­vent­hum zu Grun­de ge­gan­gen sind, so ist das An­de­re viel ge­wis­ser, daß wir an dem Man­gel des Skla­vent­hums zu Grun­de ge­hen wer­den: als wel­ches we­der dem ur­sprüng­li­chen Chris­tent­hum, noch dem Ger­man­en­t­hum ir­gend­wie an­stö­ßig, ge­schwei­ge denn ver­werf­lich zu sein dünk­te. Wie er­he­bend wirkt auf uns die Be­trach­tung des mit­tel­al­ter­li­chen Hö­ri­gen, mit dem in­ner­lich kräf­ti­gen und zar­ten Rechts- und Sit­ten­ver­hält­nis­se zu dem hö­her Ge­ord­ne­ten, mit der tief­sin­ni­gen Um­frie­dung sei­nes en­gen Da­seins – wie er­he­bend – und wie vor­wurfs­voll!

      Wer nun über die Con­fi­gu­ra­ti­on der Ge­sell­schaft nicht ohne Schwer­muth nach­den­ken kann, wer sie als die fort­wäh­ren­de schmerz­haf­te Ge­burt je­ner exi­mir­ten Cul­tur­menschen zu be­grei­fen ge­lernt hat, in de­ren