vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!
Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht, – der Hund heult, der Wind:
– ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht!
Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück?
– ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.
9
Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest –: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit?
»Was vollkommen ward, alles Reife – will sterben!« so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe!
Weh spricht: »Vergeh! Weg, du Wehe!« Aber Alles, was leidet, will leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig,
– sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. »Ich will Erben, so spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht mich,« –
Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, – Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich.
Weh spricht: »Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!« Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: »vergeh!«
10
Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke?
Ein Tropfen Thau’s? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr’s nicht? Riecht ihr’s nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag, –
Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, – geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt, –
– wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals »du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!« so wolltet ihr Alles zurück!
– Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt, –
– ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will – Ewigkeit!
11
Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will vergüldetes Abendroth –
– was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will sich, sie beisst in sich, des Ringes Wille ringt in ihr, –
– sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehasst sein, –
– so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt, – denn diese Welt, oh ihr kennt sie ja!
Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, selige, – nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust.
Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,
– Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!
12
Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang!
Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist »Noch ein Mal«, dess Sinn ist »in alle Ewigkeit!«, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra’s Rundgesang!
Oh Mensch! Gieb Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
»Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
»Die Welt ist tief,
»Und tiefer als der Tag gedacht.
»Tief ist ihr Weh –,
»Lust – tiefer noch als Herzeleid:
»Weh spricht: Vergeh!
»Doch alle Lust will Ewigkeit
»will tiefe, tiefe Ewigkeit!«
Das Zeichen
Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.
»Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!
Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham zürnen!
Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während ich wach bin: das sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen.
Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt – ist für sie kein Weckruf.
Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen Mitternächten. Das Ohr, das nach mir horcht, – das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern.«
– Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich den scharfen Ruf seines Adlers. »Wohlan! rief er hinauf, so gefällt und gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach.
Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch.
Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!« –
Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich wie von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte, – das Geschwirr so