hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrüll, – ein sanftes langes Löwen-Brüllen.
»Das Zeichen kommt,« sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: »meine Kinder sind nahe, meine Kinder« –, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zarathustra’s herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. Also trieben es diese Thiere. –
Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit –. Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra’s wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurück und waren im Nu verschwunden.
Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. »Was hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?«
Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. »Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf dem sass ich gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den grossen Nothschrei.
Oh ihr höheren Menschen, von eurer Noth war’s ja, dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, –
– zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe.
Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein eigenes Wort: was blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?«
– Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er empor, –
»Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! Das – hatte seine Zeit!
Mein Leid und mein Mitleiden – was liegt daran! Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke!
Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: –
Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!« – –
Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.
Der griechische Staat.
Vorrede zu einem ungeschriebenen Buch
(1871.)
Wir Neueren haben vor den Griechen zwei Begriffe voraus, die gleichsam als Trostmittel einer durchaus sklavisch sich gebührenden und dabei das Wort »Sklave« ängstlich scheuenden Welt gegeben sind: wir reden von der »Würde des Menschen« und von der »Würde der Arbeit«. Alles quält sich, um ein elendes Leben elend zu perpetuiren; diese furchtbare Noth zwingt zu verzehrender Arbeit, die nun der vom »Willen« verführte Mensch (oder, richtiger, menschliche Intellekt) gelegentlich als etwas Würdevolles anstaunt. Damit aber die Arbeit einen Anspruch auf ehrende Titel habe, wäre es doch vor Allem nöthig, daß das Dasein selbst, zu dem sie doch nur ein qualvolles Mittel ist, etwas mehr Würde und Werth habe, als dies ernst meinenden Philosophien und Religionen bisher erschienen ist. Was dürfen wir anders in der Arbeitsnoth aller der Millionen finden als den Trieb, um jeden Preis dazusein, denselben allmächtigen Trieb, durch den verkümmerte Pflanzen ihre Wurzeln in erdloses Gestein strecken!
Aus diesem entsetzlichen Existenz-Kampfe können nur die Einzelnen auftauchen, die nun sofort wieder durch die edeln Wahnbilder der künstlerischen Cultur beschäftigt werden, damit sie nur nicht zum praktischen Pessimismus kommen, den die Natur als die wahre Unnatur verabscheut. In der neueren Welt, die, zusammengehalten mit der griechischen, zumeist nur Abnormitäten und Kentauren schafft, in der der einzelne Mensch, gleich jenem fabelhaften Wesen im Eingange der horazischen Poetik, aus Stücken bunt zusammengesetzt ist, zeigt sich oft an demselben Menschen zugleich die Gier des Existenz-Kampfes und des Kunstbedürfnisses: aus welcher unnatürlichen Verschmelzung die Noth entstanden ist, jene erstere Gier vor dem Kunstbedürfnisse zu entschuldigen und zu weihen. Deshalb glaubt man an die »Würde des Menschen« und die »Würde der Arbeit«.
Die Griechen brauchen solche Begriffs-Hallucinationen nicht, bei ihnen spricht sich mit erschreckender Offenheit aus, daß die Arbeit eine Schmach sei – und eine verborgenere und seltner redende, aber überall lebendige Weisheit fügte hinzu, daß auch das Menschending ein schmähliches und klägliches Nichts und eines »Schattens Traum« sei. Die Arbeit ist eine Schmach, weil das Dasein keinen Werth an sich hat: wenn aber eben dieses Dasein im verführenden Schmuck künstlerischer Illusionen erglänzt und jetzt wirklich einen Werth an sich zu haben scheint, so gilt auch dann noch jener Satz, daß die Arbeit eine Schmach sei – und zwar im Gefühle der Unmöglichkeit, daß der um das nackte Fortleben kämpfende Mensch Künstler sein könne. In der neueren Zeit bestimmt nicht der kunstbedürftige Mensch, sondern der Sklave die allgemeinen Vorstellungen: als welcher seiner Natur nach alle seine Verhältnisse mit trügerischen Namen bezeichnen muß, um leben zu können. Solche Phantome, wie die Würde des