Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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hin­ein; zu­gleich aber er­scholl vor ihm ein Ge­brüll, – ein sanf­tes lan­ges Lö­wen-Brül­len.

      »Das Zei­chen komm­t,« sprach Za­ra­thustra und sein Herz ver­wan­del­te sich. Und in Wahr­heit, als es hel­le vor ihm wur­de, da lag ihm ein gel­bes mäch­ti­ges Gethier zu Füs­sen und schmieg­te das Haupt an sei­ne Knie und woll­te nicht von ihm las­sen vor Lie­be und that ei­nem Hun­de gleich, wel­cher sei­nen al­ten Herrn wie­der­fin­det. Die Tau­ben aber wa­ren mit ih­rer Lie­be nicht min­der eif­rig als der Löwe; und je­des Mal, wenn eine Tau­be über die Nase des Lö­wen husch­te, schüt­tel­te der Löwe das Haupt und wun­der­te sich und lach­te dazu.

      Zu dem Al­len sprach Za­ra­thustra nur Ein Wort: »mei­ne Kin­der sind nahe, mei­ne Kin­der« –, dann wur­de er ganz stumm. Sein Herz aber war ge­löst, und aus sei­nen Au­gen tropf­ten Thrä­nen her­ab und fie­len auf sei­ne Hän­de. Und er ach­te­te kei­nes Dings mehr und sass da, un­be­weg­lich und ohne dass er sich noch ge­gen die Thie­re wehr­te. Da flo­gen die Tau­ben ab und zu und setz­ten sich ihm auf die Schul­ter und lieb­kos­ten sein weis­ses Haar und wur­den nicht müde mit Zärt­lich­keit und Frohlo­cken. Der star­ke Löwe aber leck­te im­mer die Thrä­nen, wel­che auf die Hän­de Za­ra­thustra’s her­ab­fie­len und brüll­te und brumm­te schüch­tern dazu. Also trie­ben es die­se Thie­re. –

      Diess Al­les dau­er­te eine lan­ge Zeit, oder eine kur­ze Zeit: denn, recht ge­spro­chen, giebt es für der­glei­chen Din­ge auf Er­den k­ei­ne Zeit –. In­zwi­schen aber wa­ren die hö­he­ren Men­schen in der Höh­le Za­ra­thustra’s wach ge­wor­den und ord­ne­ten sich mit ein­an­der zu ei­nem Zuge an, dass sie Za­ra­thustra ent­ge­gen gien­gen und ihm den Mor­gen­gruss bö­ten: denn sie hat­ten ge­fun­den, als sie er­wach­ten, dass er schon nicht mehr un­ter ih­nen weil­te. Als sie aber zur Thür der Höh­le ge­lang­ten, und das Geräusch ih­rer Schrit­te ih­nen vor­an­lief, da stutz­te der Löwe ge­wal­tig, kehr­te sich mit Ei­nem Male von Za­ra­thustra ab und sprang, wild brül­lend, auf die Höh­le los; die hö­he­ren Men­schen aber, als sie ihn brül­len hör­ten, schri­en alle auf, wie mit Ei­nem Mun­de, und flo­hen zu­rück und wa­ren im Nu ver­schwun­den.

      Za­ra­thustra sel­ber aber, be­täubt und fremd, er­hob sich von sei­nem Sit­ze, sah um sich, stand stau­nend da, frag­te sein Herz, be­sann sich und war al­lein. »Was hör­te ich doch? sprach er end­lich lang­sam, was ge­sch­ah mir eben?«

      Und schon kam ihm die Erin­ne­rung, und er be­griff mit Ei­nem Bli­cke Al­les, was zwi­schen Ges­tern und Heu­te sich be­ge­ben hat­te. »Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf dem sass ich ges­tern am Mor­gen; und hier trat der Wahr­sa­ger zu mir, und hier hör­te ich zu­erst den Schrei, den ich eben hör­te, den gros­sen Noth­schrei.

      Oh ihr hö­he­ren Men­schen, von eu­rer Noth war’s ja, dass ges­tern am Mor­gen je­ner alte Wahr­sa­ger mir wahr­sag­te, –

      – zu eu­rer Noth woll­te er mich ver­fuh­ren und ver­su­chen: oh Za­ra­thustra, sprach er zu mir, ich kom­me, dass ich dich zu dei­ner letz­ten Sün­de ver­füh­re.

      Zu mei­ner letz­ten Sün­de? rief Za­ra­thustra und lach­te zor­nig über sein ei­ge­nes Wort: was blieb mir doch auf­ge­spart als mei­ne letz­te Sün­de?«

      – Und noch ein Mal ver­sank Za­ra­thustra in sich und setz­te sich wie­der auf den gros­sen Stein nie­der und sann nach. Plötz­lich sprang er em­por, –

      »Mit­lei­den! Das Mit­lei­den mit dem hö­he­ren Men­schen! schrie er auf, und sein Ant­litz ver­wan­del­te sich in Erz. Wohl­an! Das – hat­te sei­ne Zeit!

      Mein Leid und mein Mit­lei­den – was liegt dar­an! Trach­te ich denn nach Glücke? Ich trach­te nach mei­nem Wer­ke!

      Wohl­an! Der Löwe kam, mei­ne Kin­der sind nahe, Za­ra­thustra ward reif, mei­ne Stun­de kam: –

      Dies ist mein Mor­gen, mein Tag hebt an: her­auf nun, her­auf, du gros­ser Mit­tag!« – –

      Also sprach Za­ra­thustra und ver­liess sei­ne Höh­le, glü­hend und stark, wie eine Mor­gen­son­ne, die aus dunklen Ber­gen kommt.

Aufsätze und Vorreden aus dem Nachlaß

      Vor­re­de zu ei­nem un­ge­schrie­be­nen Buch

      (1871.)

      Wir Neue­ren ha­ben vor den Grie­chen zwei Be­grif­fe vor­aus, die gleich­sam als Trost­mit­tel ei­ner durch­aus skla­visch sich ge­büh­ren­den und da­bei das Wort »Skla­ve« ängst­lich scheu­en­den Welt ge­ge­ben sind: wir re­den von der »Wür­de des Men­schen« und von der »Wür­de der Ar­beit«. Al­les quält sich, um ein elen­des Le­ben elend zu per­pe­tu­i­ren; die­se furcht­ba­re Noth zwingt zu ver­zeh­ren­der Ar­beit, die nun der vom »Wil­len« ver­führ­te Mensch (oder, rich­ti­ger, mensch­li­che In­tel­lekt) ge­le­gent­lich als et­was Wür­de­vol­les an­staunt. Da­mit aber die Ar­beit einen An­spruch auf eh­ren­de Ti­tel habe, wäre es doch vor Al­lem nö­thig, daß das Da­sein selbst, zu dem sie doch nur ein qual­vol­les Mit­tel ist, et­was mehr Wür­de und Werth habe, als dies ernst mei­nen­den Phi­lo­so­phien und Re­li­gio­nen bis­her er­schie­nen ist. Was dür­fen wir an­ders in der Ar­beits­noth al­ler der Mil­lio­nen fin­den als den Trieb, um je­den Preis da­zu­sein, den­sel­ben all­mäch­ti­gen Trieb, durch den ver­küm­mer­te Pflan­zen ihre Wur­zeln in erd­lo­ses Ge­stein stre­cken!

      Aus die­sem ent­setz­li­chen Exis­tenz-Kamp­fe kön­nen nur die Ein­zel­nen auf­tau­chen, die nun so­fort wie­der durch die edeln Wahn­bil­der der künst­le­ri­schen Cul­tur be­schäf­tigt wer­den, da­mit sie nur nicht zum prak­ti­schen Pes­si­mis­mus kom­men, den die Na­tur als die wah­re Un­na­tur ver­ab­scheut. In der neue­ren Welt, die, zu­sam­men­ge­hal­ten mit der grie­chi­schen, zu­meist nur Ab­nor­mi­tä­ten und Ken­tau­ren schafft, in der der ein­zel­ne Mensch, gleich je­nem fa­bel­haf­ten We­sen im Ein­gan­ge der ho­ra­zi­schen Poe­tik, aus Stücken bunt zu­sam­men­ge­setzt ist, zeigt sich oft an dem­sel­ben Men­schen zu­gleich die Gier des Exis­tenz-Kamp­fes und des Kunst­be­dürf­nis­ses: aus wel­cher un­na­tür­li­chen Ver­schmel­zung die Noth ent­stan­den ist, jene ers­te­re Gier vor dem Kunst­be­dürf­nis­se zu ent­schul­di­gen und zu wei­hen. Des­halb glaubt man an die »Wür­de des Men­schen« und die »Wür­de der Ar­beit«.

      Die Grie­chen brau­chen sol­che Be­griffs-Hal­lu­ci­na­tio­nen nicht, bei ih­nen spricht sich mit er­schre­cken­der Of­fen­heit aus, daß die Ar­beit eine Schmach sei – und eine ver­bor­ge­ne­re und selt­ner re­den­de, aber über­all le­ben­di­ge Weis­heit füg­te hin­zu, daß auch das Men­schen­ding ein schmäh­li­ches und kläg­li­ches Nichts und ei­nes »Schat­tens Traum« sei. Die Ar­beit ist eine Schmach, weil das Da­sein kei­nen Werth an sich hat: wenn aber eben die­ses Da­sein im ver­füh­ren­den Schmuck künst­le­ri­scher Il­lu­sio­nen er­glänzt und jetzt wirk­lich einen Werth an sich zu ha­ben scheint, so gilt auch dann noch je­ner Satz, daß die Ar­beit eine Schmach sei – und zwar im Ge­füh­le der Un­mög­lich­keit, daß der um das nack­te Fort­le­ben kämp­fen­de Mensch Künst­ler sein kön­ne. In der neue­ren Zeit be­stimmt nicht der kunst­be­dürf­ti­ge Mensch, son­dern der Skla­ve die all­ge­mei­nen Vor­stel­lun­gen: als wel­cher sei­ner Na­tur nach alle sei­ne Ver­hält­nis­se mit trü­ge­ri­schen Na­men be­zeich­nen muß, um le­ben zu kön­nen. Sol­che Phan­to­me, wie die Wür­de des