tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst nämlich habe ihm der hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals grössere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra’s lautet: »was liegt daran!«
2
Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Füsse schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken dabei über Zarathustra’s Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam »auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren,
– zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd.« Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu hören: da legte er den Finger an den Mund und sprach: »Kommt!«
Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: »Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!« – und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra’s Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle Zarathustra’s und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach:
Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in die Nacht wandeln!
3
Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in’s Ohr sagt, –
– so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch:
– welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte – ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!
Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille ward, –
– nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!
– hörst du’s nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht!
4
Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schläft –
Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt.
Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt –
– die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: »wer hat Herz genug dazu?
– wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Ströme!«
– die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht?
5
Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?
Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel.
Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.
Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber »erlöst doch die Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?«
Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, –
– es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief!
6
Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! – wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!
Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in’s Herz, Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,-
– reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen – nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube bräunt,
– nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht ihr’s nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf,
– ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glücke,
von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht!
7
Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben vollkommen?
Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller?
Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag.
Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer?
Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, –
– habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir:
– mein Unglück,