Instinkte verrathen, der, auch in der reifsten Fülle ihrer Gesittung und Menschlichkeit, nicht aufhörte, aus erzenem Munde solche Worte auszurufen: »dem Sieger gehört der Besiegte, mit Weib und Kind, Gut und Blut. Die Gewalt giebt das erste Recht, und es giebt kein Recht, das nicht in seinem Fundamente Anmaßung Usurpation Gewaltthat ist.«
Hier sehen wir wiederum, mit welcher mitleidlosen Starrheit die Natur, um zur Gesellschaft zu kommen, sich das grausame Werkzeug des Staates schmiedet – nämlich jenen Eroberer mit der eisernen Hand, der Nichts als die Objektivation des bezeichneten Instinktes ist. An der undefinirbaren Größe und Macht solcher Eroberer spürt der Betrachter, daß sie nur Mittel einer in ihnen sich offenbarenden und doch vor ihnen sich verbergenden Absicht sind. Gleich als ob ein magischer Wille von ihnen ausgienge, so räthselhaft schnell schließen sich die schwächeren Kräfte an sie an, so wunderbar verwandeln sie sich, bei dem plötzlichen Anschwellen jener Gewaltlawine, unter dem Zauber jenes schöpferischen Kernes, zu einer bis dahin nicht vorhandenen Affinität.
Wenn wir nun sehen, wie wenig sich alsbald die Unterworfenen um den entsetzlichen Ursprung des Staates bekümmern, so daß im Grunde über keine Art von Ereignissen uns die Historie schlechter unterrichtet als über das Zustandekommen jener plötzlichen gewaltsamen blutigen und mindestens an einem Punkte unerklärlichen Usurpationen: wenn vielmehr der Magie des werdenden Staates die Herzen unwillkürlich entgegenschwellen, mit der Ahnung einer unsichtbar tiefen Absicht, dort wo der rechnende Verstand nur eine Addition von Kräften zu sehen befähigt ist: wenn jetzt sogar der Staat mit Inbrunst als Ziel und Gipfel der Aufopferungen und Pflichten des Einzelnen betrachtet wird: so spricht aus Alledem die ungeheure Nothwendigkeit des Staates, ohne den es der Natur nicht gelingen möchte, durch die Gesellschaft zu ihrer Erlösung im Scheine, im Spiegel des Genius, zu kommen. Was für Erkenntnisse überwindet nicht die instinktive Lust am Staate! Man sollte doch denken, daß ein Wesen, welches in die Entstehung des Staates hineinschaut, fürderhin nur in schauervoller Entfernung von ihm sein Heil suchen werde; und wo kann man nicht die Denkmale seiner Entstehung sehen, verwüstete Länder, zerstörte Städte, verwilderte Menschen, verzehrenden Völkerhaß! Der Staat, von schmählicher Geburt, für die meisten Menschen eine fortwährende fließende Quelle der Mühsal, in häufig wiederkommenden Perioden die fressende Fackel des Menschengeschlechts – und dennoch ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Thaten begeistert hat, vielleicht der höchste und ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat!
Die Griechen aber haben wir uns, im Hinblick auf die einzige Sonnenhöhe ihrer Kunst, schon a priori als die »politischen Menschen an sich« zu construiren; und wirklich kennt die Geschichte kein zweites Beispiel einer so furchtbaren Entfesselung des politischen Triebes, einer so unbedingten Hinopferung aller anderen Interessen im Dienste dieses Staateninstinktes – höchstens daß man vergleichungsweise und aus ähnlichen Gründen die Menschen der Renaissance in Italien mit einem gleichen Titel auszeichnen könnte. So überladen ist bei den Griechen jener Trieb, daß er immer von Neuem wieder gegen sich selbst zu wüthen anfängt und die Zähne in das eigne Fleisch schlägt. Diese blutige Eifersucht von Stadt auf Stadt, von Partei auf Partei, diese mörderische Gier jener kleinen Kriege, der tigerartige Triumph auf dem Leichnam des erlegten Feindes, kurz die unablässige Erneuerung jener trojanischen Kampf- und Greuelscenen, in deren Anblick Homer lustvoll versunken, als echter Hellene, vor uns steht – wohin deutet diese naive Barbarei des griechischen Staates, woher nimmt er seine Entschuldigung vor dem Richterstuhle der ewigen Gerechtigkeit? Stolz und ruhig tritt der Staat vor ihn hin: und an der Hand führt er das herrlich blühende Weib, die griechische Gesellschaft. Für diese Helena fühlte er jene Kriege – welcher graubärtige Richter dürfte hier verurtheilen? –
Bei diesem geheimnißvollen Zusammenhang, den wir hier zwischen Staat und Kunst, politischer Gier und künstlerischer Zeugung, Schlachtfeld und Kunstwerk ahnen, verstehen wir, wie gesagt, unter Staat nur die eiserne Klammer, die den Gesellschaftsproceß erzwingt: während ohne Staat, im natürlichen bellum omnium contra omnes, die Gesellschaft überhaupt nicht in größerem Maße und über das Bereich der Familie hinaus Wurzel schlagen kann. Jetzt, nach der allgemein eingetretenen Staatenbildung, concentrirt sich jener Trieb des bellum omnium contra omnes von Zeit zu Zeit zum schrecklichen Kriegsgewölk der Völler und entladet sich gleichsam in seltneren, aber um so stärkeren Schlägen und Wetterstrahlen. In den Zwischenpausen aber ist der Gesellschaft doch Zeit gelassen, unter der nach innen gewendeten zusammengedrängten Wirkung jenes bellum, allerorts zu keimen und zu grünen, um, sobald es einige wärmere Tage giebt, die leuchtenden Blüthen des Genius hervorsprießen zu lassen.
Angesichts der politischen Welt der Hellenen will ich nicht verbergen, in welchen Erscheinungen der Gegenwart ich gefährliche, für Kunst und Gesellschaft gleich bedenkliche Verkümmerungen der politischen Sphäre zu erkennen glaube. Wenn es Menschen geben sollte, die durch Geburt gleichsam außerhalb der Volks- und Staateninstinkte gestellt sind, die somit den Staat nur so weit gelten zu lassen haben, als sie ihn in ihrem eigenen Interesse begreifen: so werden derartige Menschen nothwendig als das letzte staatliche Ziel sich das möglichst ungestörte Nebeneinanderleben großer politischer Gemeinsamkeiten vorstellen, in denen den eigenen Absichten nachzugehen ihnen vor Allen ohne Beschränkung erlaubt sein dürfte. Mit dieser Vorstellung im Kopfe werden sie die Politik fördern, die diesen Absichten die größte Sicherheit bietet, während es undenkbar ist, daß sie gegen ihre Absichten, etwa durch einen unbewußten Instinkt geleitet, der Staatstendenz sich zum Opfer bringen sollten, undenkbar, weil sie eben jenes Instinktes ermangeln. Alle anderen Bürger des Staates sind über Das, was die Natur mit ihrem Staatsinstinkte bei ihnen beabsichtigt, im Dunkeln und folgen blindlings; nur jene außerhalb dieses Instinktes Stehenden wissen, was sie vom Staate wollen und was ihnen der Staat gewähren soll. Deshalb ist es geradezu unvermeidlich, daß solche Menschen einen großen Einfluß auf den Staat gewinnen, weil sie ihn als Mittel betrachten dürfen, während alle anderen unter der Macht jener unbewußten Absichten des Staates selbst nur Mittel des Staatszwecks sind. Um nun, durch das Mittel