Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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wir und ur­teilt wie He­siod, der ein­mal eine Eris als böse be­zeich­net, die­je­ni­ge näm­lich, wel­che die Men­schen zum feind­se­li­gen Ver­nich­tungs­kamp­fe ge­gen ein­an­der führt, und dann wie­der eine and­re Eris als gute preist, die als Ei­fer­sucht, Groll, Neid die Men­schen zur That reizt, aber nicht zur That des Ver­nich­tungs­kamp­fes, son­dern zur That des Wett­kamp­fes. Der Grie­che ist nei­disch und emp­fin­det die­se Ei­gen­schaft nicht als Ma­kel, son­dern als Wir­kung ei­ner wohlt­hä­ti­gen Gott­heit: wel­che Kluft des ethi­schen Urt­heils zwi­schen uns und ihm! Weil er nei­disch ist, fühlt er auch, bei je­dem Über­maaß von Ehre, Reicht­hum, Glanz und Glück, das nei­di­sche Auge ei­nes Got­tes auf sich ru­hen und er fürch­tet die­sen Neid; in die­sem Fal­le mahnt er ihn an das Ver­gäng­li­che je­des Men­schen­loo­ses, ihm graut vor sei­nem Glücke und das Bes­te da­von op­fernd beugt er sich vor dem gött­li­chen Nei­de. Die­se Vor­stel­lung ent­frem­det ihm nicht etwa sei­ne Göt­ter: de­ren Be­deu­tung im Ge­gent­heil da­mit um­schrie­ben ist, daß mit ih­nen der Mensch nie den Wett­kampf wa­gen darf, er, des­sen See­le ge­gen je­des and­re le­ben­de We­sen ei­fer­süch­tig er­glüht. Im Kamp­fe des Tha­my­ris mit den Mu­sen, des Mar­syas mit Apoll, im er­grei­fen­den Schick­sa­le der Nio­be er­schi­en das schreck­li­che Ge­gen­ein­an­der der zwei Mäch­te, die nie mit ein­an­der kämp­fen dür­fen, von Mensch und Gott.

      Je grö­ßer und er­ha­be­ner aber ein grie­chi­scher Mensch ist, um so hel­ler bricht aus ihm die ehr­gei­zi­ge Flam­me her­aus, Je­den ver­zeh­rend, der mit ihm auf glei­cher Bahn läuft. Ari­sto­te­les hat ein­mal eine Lis­te von sol­chen feind­se­li­gen Wett­kämp­fen im großen Sti­le ge­macht: dar­un­ter ist das auf­fallends­te Bei­spiel, daß selbst ein Tod­ter einen Le­ben­den noch zu ver­zeh­ren­der Ei­fer­sucht rei­zen kann. So näm­lich be­zeich­net Ari­sto­te­les das Ver­hält­niß des Ko­lo­pho­niers Xe­no­pha­nes zu Ho­mer. Wir ver­ste­hen die­sen An­griff auf den na­tio­na­len He­ros der Dicht­kunst nicht in sei­ner Stär­ke, wenn wir nicht, wie spä­ter auch bei Pla­to, die un­ge­heu­re Be­gier­de als Wur­zel die­ses An­griffs uns den­ken, selbst an die Stel­le des ge­stürz­ten Dich­ters zu tre­ten und des­sen Ruhm zu er­ben. Je­der große Hel­le­ne giebt die Fa­ckel des Wett­kamp­fes wei­ter; an je­der großen Tu­gend ent­zün­det sich eine neue Grö­ße. Wenn der jun­ge The­mi­sto­kles im Ge­dan­ken an die Lor­beern des Mil­tia­des nicht schla­fen konn­te, so ent­fes­sel­te sich sein früh­ge­weck­ter Trieb erst im lan­gen Wett­ei­fer mit Aris­ti­des zu je­ner ein­zig merk­wür­di­gen rein in­stink­ti­ven Ge­nia­li­tät sei­nes po­li­ti­schen Han­delns, die uns Thu­ky­di­des be­schreibt. Wie cha­rak­te­ris­tisch ist Fra­ge und Ant­wort, wenn ein nam­haf­ter Geg­ner des Pe­ri­kles ge­fragt wird, ob er oder Pe­ri­kles der bes­te Rin­ger in der Stadt sei, und die Ant­wort giebt: »selbst wenn ich ihn nie­der­wer­fe, leug­net er, daß er ge­fal­len sei, er­reicht sei­ne Ab­sicht und über­re­det Die, wel­che ihn fal­len sa­hen.«

      Will man recht un­ver­hüllt je­nes Ge­fühl in sei­nen nai­ven Äu­ße­run­gen se­hen, das Ge­fühl von der No­thwen­dig­keit des Wett­kamp­fes, wenn an­ders das Heil des Staa­tes be­ste­hen soll, so den­ke man an den ur­sprüng­li­chen Sinn des Ostra­kis­mos: wie ihn zum Bei­spiel die Ephe­sier bei der Ver­ban­nung des Her­mo­dor aus­spre­chen. »Un­ter uns soll Nie­mand der Bes­te sein; ist Je­mand es aber, so sei er an­ders­wo und bei An­de­ren«. Denn wes­halb soll Nie­mand der Bes­te sein? Weil da­mit der Wett­kampf ver­sie­gen wür­de und der ewi­ge Le­bens­grund des hel­le­ni­schen Staa­tes ge­fähr­det wäre. Spä­ter be­kommt der Ostra­kis­mos eine an­de­re Stel­lung zum Wett­kamp­fe: er wird an­ge­wen­det, wenn die Ge­fahr of­fen­kun­dig ist, daß ei­ner der großen um die Wet­te kämp­fen­den Po­li­ti­ker und Par­teihäup­ter zu schäd­li­chen und zer­stö­ren­den Mit­teln und zu be­denk­li­chen Staats­s­trei­chen, in der Hit­ze des Kamp­fes, sich ge­reizt fühlt. Der ur­sprüng­li­che Sinn die­ser son­der­ba­ren Ein­rich­tung ist aber nicht der ei­nes Ven­tils, son­dern der ei­nes Sti­mu­lanz­mit­tels: man be­sei­tigt den über­ra­gen­den Ein­zel­nen, da­mit nun wie­der das Wett­spiel der Kräf­te er­wa­che: ein Ge­dan­ke, der der »Ex­klu­si­vi­tät« des Ge­ni­us im mo­der­nen Sin­ne feind­lich ist, aber vor­aus­setzt, daß, in ei­ner na­tür­li­chen Ord­nung der Din­ge, es im­mer meh­re­re Ge­nies giebt, die sich ge­gen­sei­tig zur That rei­zen, wie sie sich auch ge­gen­sei­tig in der Gren­ze des Maa­ßes hal­ten. Das ist der Kern der hel­le­ni­schen Wett­kampf-Vor­stel­lung: sie ver­ab­scheut die Al­lein­herr­schaft und fürch­tet ihre Ge­fah­ren, sie be­gehrt, als Schutz­mit­tel ge­gen das Ge­nie – ein zwei­tes Ge­nie.

      Jede Be­ga­bung muß sich kämp­fend ent­fal­ten, so ge­bie­tet die hel­le­ni­sche Volks­päd­ago­gik: wäh­rend die neue­ren Er­zie­her vor Nichts eine so große Scheu ha­ben als vor der Ent­fes­se­lung des so­ge­nann­ten Ehr­gei­zes. Hier fürch­tet man die Selbst­sucht als das »Böse an sich« – mit Aus­nah­me der Je­sui­ten, die wie die Al­ten dar­in ge­sinnt sind und des­halb wohl die wirk­sams­ten Er­zie­her un­se­rer Zeit sein mö­gen. Sie schei­nen zu glau­ben, daß die Selbst­sucht d. h. das In­di­vi­du­el­le nur das kräf­tigs­te a­gens ist, sei­nen Cha­rak­ter aber als »gut« und »böse« we­sent­lich von den Zie­len be­kommt, nach de­nen es sich aus­reckt. Für die Al­ten aber war das Ziel der ago­na­len Er­zie­hung die Wohl­fahrt des Gan­zen, der staat­li­chen Ge­sell­schaft. Je­der Athe­ner z. B. soll­te sein Selbst im Wett­kamp­fe so weit ent­wi­ckeln, als es Athen vom höchs­ten Nut­zen sei und am we­nigs­ten Scha­den brin­ge. Es war kein Ehr­geiz in’s Un­ge­mes­se­ne und Un­zu­mes­sen­de, wie meis­tens der mo­der­ne Ehr­geiz: an das Wohl sei­ner Mut­ter­stadt dach­te der Jüng­ling, wenn er um die Wet­te lief oder warf oder sang; ih­ren Ruhm woll­te er in dem sei­ni­gen meh­ren; sei­nen Stadt­göt­tern weih­te er die Krän­ze, die die Kampf­rich­ter eh­rend auf sein Haupt setz­ten. Je­der Grie­che emp­fand in sich von Kind­heit an den bren­nen­den Wunsch, im Wett­kampf der Städ­te ein Werk­zeug zum Hei­le sei­ner Stadt zu sein: dar­in war sei­ne Selbst­sucht ent­flammt, dar­in war sie ge­zü­gelt und um­schränkt. Des­halb wa­ren die In­di­vi­du­en im Al­ter­thu­me frei­er, weil ihre Zie­le nä­her und greif­ba­rer wa­ren. Der mo­der­ne Mensch ist da­ge­gen über­all ge­kreuzt von der Unend­lich­keit, wie der schnell­fü­ßi­ge Achill im Gleich­nis­se des Elea­ten Zeno: die Unend­lich­keit hemmt ihn, er holt nicht ein­mal die Schild­krö­te ein.

      Wie aber die zu er­zie­hen­den Jüng­lin­ge mit ein­an­der wett­kämp­fend er­zo­gen wur­den, so wa­ren wie­der­um ihre Er­zie­her un­ter sich im Wett­ei­fer. Miß­trau­isch-ei­fer­süch­tig tra­ten die großen mu­si­ka­li­schen Meis­ter, Pin­dar und Si­mo­ni­des, ne­ben­ein­an­der hin; wett­ei­fernd be­geg­net der So­phist, der hö­he­re Leh­rer des Al­ter­thums, dem an­de­ren So­phis­ten; selbst die all­ge­meins­te Art der Be­leh­rung, durch das Dra­ma, wur­de dem Vol­ke nur ert­heilt un­ter der Form ei­nes un­ge­heu­ren Rin­gens der großen mu­si­ka­li­schen und dra­ma­ti­schen Künst­ler. Wie wun­der­bar! »Auch der Künst­ler grollt dem Künst­ler!« Und der mo­der­ne Mensch fürch­tet nichts so sehr an ei­nem Künst­ler als die per­sön­li­che Kampfre­gung, wäh­rend der Grie­che den Künst­ler nur im per­sön­li­chen Kamp­fe kennt. Dort wo der mo­der­ne Mensch die Schwä­che des Kunst­werks wit­tert, sucht der Hel­le­ne die Quel­le sei­ner höchs­ten Kraft! Das, was zum Bei­spiel bei Pla­to von be­son­de­rer künst­le­ri­scher Be­deu­tung an sei­nen Dia­lo­gen ist, ist meis­tens das Re­sul­tat ei­nes Wett­ei­fers mit der Kunst der Red­ner, der So­phis­ten,