grauenhaften Wildheit des Hasses und der Vernichtungslust. Dies Phänomen zeigt sich leider so häufig, wenn eine große Persönlichkeit durch eine ungeheure glänzende That plötzlich dem Wettkampfe entrückt wurde und hors de concours, nach seinem und seiner Mitbürger Urtheil war. Die Wirkung ist, fast ohne Ausnahme, eine entsetzliche; und wenn man gewöhnlich aus diesen Wirkungen den Schluß zieht, daß der Grieche unvermögend gewesen sei Ruhm und Glück zu ertragen: so sollte man genauer reden, daß er den Ruhm ohne weiteren Wettkampf, das Glück am Schlusse des Wettkampfes nicht zu tragen vermochte. Es giebt kein deutlicheres Beispiel als die letzten Schicksale des Miltiades. Durch den unvergleichlichen Erfolg bei Marathon auf einen einsamen Gipfel gestellt und weit hinaus über jeden Mitkämpfenden gehoben: fühlt er in sich ein niedriges rachsüchtiges Gelüst erwachen, gegen einen parischen Bürger, mit dem er vor Alters eine Feindschaft hatte. Dies Gelüst zu befriedigen mißbraucht er Ruf, Staatsvermögen, Bürgerehre und entehrt sich selbst. Im Gefühl des Mißlingens verfällt er auf unwürdige Machinationen. Er tritt mir der Demeterpriesterin Timo in eine heimliche und gottlose Verbindung und betritt Nachts den heiligen Tempel, aus dem jeder Mann ausgeschlossen war. Als er die Mauer übersprungen hat und dem Heiligthum der Göttin immer näher kommt, überfällt ihn plötzlich das furchtbare Grauen eines panischen Schreckens: fast zusammenbrechend und ohne Besinnung fühlt er sich zurückgetrieben und über die Mauer zurückspringend stürzt er gelähmt und schwer verletzt nieder. Die Belagerung muß aufgehoben werden, das Volksgericht erwartet ihn, und ein schmählicher Tod drückt sein Siegel auf eine glänzende Heldenlaufbahn, um sie für alle Nachwelt zu verdunkeln. Nach der Schlacht bei Marathon hat ihn der Neid der Himmlischen ergriffen. Und dieser göttliche Neid entzündet sich, wenn er den Menschen ohne jeden Wettkämpfer gegnerlos auf einsamer Ruhmeshöhe erblickt. Nur die Götter hat er jetzt neben sich – und deshalb hat er sie gegen sich. Diese aber verleiten ihn zu einer That der Hybris, und unter ihr bricht er zusammen.
Bemerken wir wohl, daß so wie Miltiades untergeht, auch die edelsten griechischen Staaten untergehen, als sie, durch Verdienst und Glück, aus der Rennbahn zum Tempel der Nike gelangt waren. Athen, das die Selbständigkeit seiner Verbündeten vernichtet hatte und mit Strenge die Aufstände der Unterworfenen ahndete, Sparta, welches nach der Schlacht von Ägospotamoi in noch viel härterer und grausamerer Weise sein Übergewicht über Hellas geltend machte, haben auch, nach dem Beispiele des Miltiades, durch Thaten der Hybris ihren Untergang herbeigeführt, zum Beweise dafür, daß ohne Neid, Eifersucht und wettkämpfenden Ehrgeiz der hellenische Staat wie der hellenische Mensch entartet. Er wird böse und grausam, er wird rachsüchtig und gottlos, kurz, er wird »vorhomerisch« – und dann bedarf es nur eines panischen Schreckens, um ihn zum Fall zu bringen und zu zerschmettern. Sparta und Athen liefern sich an Persien aus, wie es Themistokles und Alcibiades gethan haben; sie verrathen das Hellenische, nachdem sie den edelsten hellenischen Grundgedanken, den Wettkampf, aufgegeben haben: und Alexander, die vergröbernde Copie und Abbreviatur der griechischen Geschichte, erfindet nun den Allerwelts-Hellenen und den sogenannten »Hellenismus«. –
Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten.
(1871/72.)
I. Vorrede, zu lesen vor den Vorträgen, obwohl sie sich eigentlich nicht auf sie bezieht.
(1872.)
Der Leser, von dem ich Etwas erwarte, muß drei Eigenschaften haben. Er muß ruhig sein und ohne Hast lesen. Er muß nicht immer sich selbst und seine »Bildung« dazwischen bringen. Er darf endlich nicht, am Schlusse, etwa als Resultat, neue Tabellen erwarten. Tabellen und neue Stundenpläne für Gymnasien und andre Schulen verspreche ich nicht, bewundere vielmehr die überkräftige Natur Jener, welche im Stande sind, den ganzen Weg, von der Tiefe der Empirie aus bis hinauf zur Höhe der eigentlichen Culturprobleme und wieder von da hinab in die Niederungen der dürrsten Reglements und des zierlichsten Tabellenwerks zu durchmessen; sondern zufrieden, wenn ich, unter Keuchen, einen ziemlichen Berg erklommen habe und mich oben des freieren Blicks erfreuen darf, werde ich eben in diesem Buche die Tabellenfreunde nie zufriedenstellen können. Wohl sehe ich eine Zeit kommen, in der ernste Menschen, im Dienste einer völlig erneuten und gereinigten Bildung und in gemeinsamer Arbeit, auch wieder zu Gesetzgebern der alltäglichen Erziehung – der Erziehung zu eben jener Bildung – werden; wahrscheinlich müssen sie dann wiederum Tabellen machen; aber wie fern ist die Zeit! Und was wird nicht Alles inzwischen geschehen sein! Vielleicht liegt zwischen ihr und der Gegenwart die Vernichtung des Gymnasiums, vielleicht selbst die Vernichtung der Universität, oder wenigstens eine so totale Umgestaltung der eben genannten Bildungsanstalten, daß deren alte Tabellen sich späteren Augen wie Überreste aus der Pfahlbautenzeit darbieten möchten.
Für die ruhigen Leser ist das Buch bestimmt, für Menschen, welche noch nicht in die schwindelnde Hast unseres rollenden Zeitalters hineingerissen sind und noch nicht ein götzendienerisches Vergnügen daran empfinden, wenn sie sich unter seine Räder werfen, für Menschen also, die noch nicht den Werth jedes Dinges nach der Zeitersparniß oder Zeitversäumniß abzuschätzen sich gewöhnt haben. Das heißt – für sehr wenige Menschen. Diese aber »haben noch Zeit«, diese dürfen, ohne vor sich selbst zu erröthen, die fruchtbarsten und kräftigsten Momente ihres Tages zusammen suchen, um über die Zukunft unserer Bildung nachzudenken, diese dürfen selbst glauben, auf eine recht nutzbringende und würdige Art bis zum Abend zu kommen, nämlich in der meditatio generis futuri. Ein solcher Mensch hat noch nicht verlernt zu denken, während er liest, er versteht noch das Geheimniß, zwischen den Zeilen zu lesen, ja er ist so verschwenderisch geartet, daß er gar noch über das Gelesene nachdenkt – vielleicht lange nachdem er das Buch aus den Händen gelegt hat. Und zwar nicht, um eine Recension oder wieder ein Buch zu schreiben, sondern nur so, um nachzudenken! Leichtsinniger Verschwender! Du bist mein Leser, denn du wirst ruhig genug sein, um mit dem Autor einen langen Weg anzutreten, dessen Ziele er nicht sehen kann, an dessen Ziele er ehrlich glauben muß, damit eine spätere, vielleicht ferne Generation mit Augen sehe, wonach wir, blind und nur vom Instinkt geführt, tasten. Wenn der Leser dagegen meinen sollte, es bedürfe nur eines geschwinden Sprungs, einer frohmüthigen That, wenn er etwa mit einer neuen von Staatswegen eingeführten »Organisation« alles Wesentliche für erreicht hielte, so müssen wir fürchten, daß er weder den Autor noch das eigentliche Problem verstanden hat.