Gefühle hin- und hergetrieben werden. Laßt euch finden, ihr Vereinzelten, an deren Dasein ich glaube! Ihr Selbstlosen, die ihr die Leiden der Verderbniß des deutschen Geistes an euch selbst erleidet! Ihr Beschaulichen, deren Auge unvermögend ist, mit hastigem Spähen von einer Oberfläche zur andern zu gleiten! Ihr Hochsinnigen, denen Aristoteles nachrühmt, daß ihr zögernd und thatenlos durch’s Leben geht, außer wo eine große Ehre und ein großes Werk nach euch verlangen! Euch rufe ich auf. Verkriecht euch nur diesmal nicht in die Höhle eurer Abgeschiedenheit und eures Mißtrauens. Denkt euch, dies Buch sei bestimmt, euer Herold zu sein. Wenn ihr erst selbst, in eurer eignen Rüstung, auf dem Kampfplatze erscheint, wen möchte es dann noch gelüsten, nach dem Herolde, der euch rief, zurückzuschauen? – II.
II. Geplante Einleitung.
(1871.)
Der Titel, den ich meinen Vorträgen gegeben habe, sollte, wie es die Pflicht jedes Titels ist, so bestimmt, deutlich und eindringlich wie möglich sein, ist aber, was ich jetzt recht wohl merke, aus einem Übermaaß von Bestimmtheit zu kurz ausgefallen und darum wieder undeutlich geworden, so daß ich damit beginnen muß, diesen Titel und damit die Aufgabe dieser Vorträge vor meinen geehrten Zuhörern zu erklären, ja nöthigenfalls zu entschuldigen. Wenn ich also über die Zukunft unserer Bildungsanstalten zu reden versprochen habe, so denke ich dabei zunächst gar nicht an die specielle Zukunft und Weiterentwicklung unsrer baslerischen Institute dieser Art. So häufig es auch scheinen möchte, daß viele meiner allgemeinen Behauptungen sich gerade an unsern einheimischen Erziehungsanstalten exemplificiren ließen, so bin ich es nicht, der diese Exemplifikationen macht und möchte daher ebensowenig die Verantwortung für derartige Nutzanwendungen tragen: gerade aus dem Grunde, weil ich mich für viel zu fremd und unerfahren halte und mich viel zu wenig in den hiesigen Zuständen festgewurzelt fühle, um eine so specielle Configuration der Bildungsverhältnisse richtig zu beurtheilen oder gar um ihre Zukunft mit einiger Sicherheit vorzeichnen zu können. Andrerseits bin ich mir um so mehr bewußt, an welchem Orte ich diese Vorträge zu halten habe, in einer Stadt nämlich, die in einem unverhältnismäßig großartigen Sinne und in einem für größere Staaten gradezu beschämenden Maßstabe die Bildung und Erziehung ihrer Bürger zu fördern sucht: so daß ich gewiß nicht fehlgreife, wenn ich vermuthe, daß dort, wo man um so viel mehr für diese Dinge thut, man auch über sie um so viel mehr denkt. Gerade Das aber muß mein Wunsch, ja meine Voraussetzung sein, mit Zuhörern hier in geistigem Verkehr zu stehen, welche über Erziehungs- und Bildungsfragen ebenso sehr nachgedacht haben, als sie Willens sind, mit der That das als recht Erkannte zu fördern: und nur vor solchen Zuhörern werde ich mich, bei der Größe der Aufgabe und der Kürze der Zeit verständlich machen können – wenn sie nämlich sofort errathen, was nur angedeutet werden konnte, ergänzen, was verschwiegen werden mußte, wenn sie überhaupt nur erinnert zu werden, nicht belehrt zu werden brauchen.
Während ich es also durchaus ablehnen muß, als unberufener Rathgeber in baslerischen Schul- und Erziehungsfragen betrachtet zu werden, denke ich noch weniger daran, von dem ganzen Horizont der jetzigen Culturvölker aus auf eine kommende Zukunft der Bildung und der Bildungsmittel zu prophezeien: in dieser ungeheuren Weite des Gesichtskreises erblindet mein Blick, wie er ebenfalls in einer allzugroßen Nähe unsicher wird. Unter unseren Bildungsanstalten verstehe ich demgemäß weder die speciell baslerischen, noch die zahllosen Formen der weitesten, alle Völler umspannenden Gegenwart, sondern meine die deutschen Institutionen dieser Art, deren wir uns ja auch hier zu erfreuen haben. Die Zukunft dieser deutschen Institutionen soll uns beschäftigen, d. h. die Zukunft der deutschen Volksschule, der deutschen Realschule, des deutschen Gymnasiums, der deutschen Universität: wobei wir einstweilen ganz von allen Vergleichungen und Werthabschätzungen absehn und uns besonders vor dem schmeichelnden Wahne hüten, als ob unsre Zustände, im Hinblick auf andere Culturvölker, eben die allgemein mustergültigen und unübertroffnen seien. Genug, es sind unsre Bildungsschulen und nicht zufällig hängen sie mit uns zusammen, nicht umgehängt sind sie uns wie ein Gewand: sondern als lebendige Denkmäler bedeutender Culturbewegungen, in einigen Formationen selbst »Urväterhausrath«, verknüpfen sie uns mit der Vergangenheit des Volkes und sind in wesentlichen Zügen ein so heiliges und ehrwürdiges Vermächtniß, daß ich von der Zukunft unserer Bildungsanstalten nur im Sinne einer höchst möglichen Annäherung an den idealen Geist, aus dem sie geboren sind, zu reden wüßte. Dabei steht es für mich fest, daß die zahlreichen Veränderungen, die sich die Gegenwart an diesen Bildungsanstalten erlaubte, um sie »zeitgemäß« zu machen, zum guten Theil nur verzogene Linien und Abirrungen von der ursprünglichen erhabenen Tendenz ihrer Gründung sind: und was wir in dieser Hinsicht von der Zukunft zu hoffen wagen, ist eine so allgemeine Erneuerung, Erfrischung und Läuterung des deutschen Geistes, daß aus ihm auch diese Anstalten gewissermaßen neugeboren werden und dann, nach dieser Neugeburt, zugleich alt und neu erscheinen: während sie jetzt zu allermeist nur »modern« und »zeitgemäß« zu sein beanspruchen.
Nur im Sinne jener Hoffnung rede ich von einer Zukunft unserer Bildungsanstalten: und dies ist der zweite Punkt, über den ich mich von vornherein, zu meiner Entschuldigung erklären muß. Es ist ja die größte aller Anmaßungen, Prophet sein zu wollen, so daß es bereits lächerlich klingt zu erklären, daß man es nicht sein will. Es dürfte Niemand über die Zukunft unserer Bildung und eine damit im Zusammenhange stehende Zukunft unserer Erziehungsmittel und -methoden sich im Tone der Weissagung vernehmen lassen, wenn er nicht beweisen kann, daß diese zukünftige Bildung in irgend welchem Maße bereits Gegenwart ist und nur in einem viel höheren Maße um sich zu greifen hat, um einen nothwendigen Einfluß auf Schule und Erziehungsinstitute auszuüben. Man gestatte mir nur, aus den Eingeweiden der Gegenwart, gleich einem römischen Haruspex, die Zukunft zu errathen, was in diesem Falle nicht mehr und nicht weniger sagen will als einer schon vorhandenen Bildungstendenz den einstmaligen Sieg zu verheißen, ob sie gleich augenblicklich nicht beliebt, nicht geehrt, nicht verbreitet ist. Sie wird aber siegen, wie ich mit höchstem Vertrauen annehme, weil sie den größten und mächtigsten Bundesgenossen hat, die Natur: wobei wir freilich nicht verschweigen dürfen, daß viele Voraussetzungen unsrer modernen Bildungsmethoden den Charakter des Unnatürlichen an sich tragen und daß die verhängnisvollsten