Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
Von jenem Muth, der, früher oder später,
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter
Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,
Damit daß Gute wirke, wachse, fromme,
Damit der Tag dem Edlen endlich komme.
– Das bisher von mir Gesagte möge von meinen geehrten Zuhörern im Sinne eines Vorwortes aufgenommen werden, dessen Aufgabe nur sein durfte, den Titel meiner Vorträge zu illustriren und ihn gegen mögliche Mißverständnisse und unberechtigte Anforderungen zu schützen. Um nun sofort, am Eingange meiner Betrachtungen, vom Titel zur Sache übergehend, den allgemeinen Gedankenkreis zu umschreiben, von dem aus eine Beurtheilung unserer Bildungsanstalten versucht werden soll, soll, an diesem Eingange, eine deutlich formulirte These als Wappenschild jeden Hinzukommenden erinnern, in wessen Haus und Gehöft er zu treten im Begriff ist: falls er nicht, nach Betrachtung eines solchen Wappenschildes, es vorzieht einem solchen damit gekennzeichneten Haus und Gehöft den Rücken zu kehren. Meine These lautet:
Zwei scheinbar entgegengesetzte, in ihrem Wirken gleich verderbliche und in ihren Resultaten endlich zusammenfließende Strömungen beherrschen in der Gegenwart unsere ursprünglich auf ganz anderen Fundamenten gegründeten Bildungsanstalten: einmal der Trieb nach möglichster Erweiterung der Bildung, andererseits der Trieb nach Verminderung und Abschwächung derselben. Dem ersten Triebe gemäß soll die Bildung in immer weitere Kreise getragen werden, im Sinne der anderen Tendenz wird der Bildung zugemuthet, ihre höchsten selbstherrlichen Ansprüche aufzugeben und sich dienend einer anderen Lebensform, nämlich der des Staates unterzuordnen. Im Hinblick auf diese verhängnißvollen Tendenzen der Erweiterung und der Verminderung wäre hoffnungslos zu verzweifeln, wenn es nicht irgendwann einmal möglich ist, zweien entgegengesetzten, wahrhaft deutschen und überhaupt zukunftsreichen Tendenzen zum Siege zu verhelfen, das heißt dem Triebe nach Verengerung und Concentration der Bildung, als dem Gegenstück einer möglichst großen Erweiterung, und dem Triebe nach Stärkung und Selbstgenugsamkeit der Bildung, als dem Gegenstück ihrer Verminderung. Daß wir aber an die Möglichkeit eines Sieges glauben, dazu berechtigt uns die Erkenntniß, daß jene beiden Tendenzen der Erweiterung und Verminderung ebenso den ewig gleichen Absichten der Natur entgegenlaufen als eine Concentration der Bildung auf Wenige ein nothwendiges Gesetz derselben Natur, überhaupt eine Wahrheit ist, während es jenen zwei anderen Trieben nur gelingen möchte, eine erlogene Cultur zu begründen.
III. – Vorträge
Erster Vortrag.
(Gehalten am 16. Januar 1872.)
Meine verehrten Zuhörer,
das Thema, über das Sie gesonnen sind, mit mir nachzudenken, ist so ernsthaft und wichtig und in einem gewissen Sinne so beunruhigend, daß auch ich, gleich Ihnen, zu jedem Beliebigen gehen würde, der über dasselbe etwas zu lehren verspräche, sollte derselbe auch noch so jung sein, sollte es an sich sogar recht unwahrscheinlich dünken, daß er von sich aus, aus eignen Kräften, etwas Zureichendes und einer solchen Aufgabe Entsprechendes leisten werde. Es wäre doch noch möglich, daß er etwas Rechtes über die beunruhigende Frage nach der Zukunft unserer Bildungsanstalten gehört habe, das er Ihnen nun wieder erzählen wollte, es wäre möglich, daß er bedeutende Lehrmeister gehabt habe, denen es schon mehr geziemen möchte, auf die Zukunft zu prophezeien und zwar, ähnlich wie die römischen haruspices, aus den Eingeweiden der Gegenwart heraus.
In der That haben Sie etwas derartiges zu gewärtigen. Ich bin einmal durch seltsame, im Grunde recht harmlose Umstände Ohrenzeuge eines Gesprächs gewesen, welches merkwürdige Männer über eben jenes Thema führten, und habe die Hauptpunkte ihrer Betrachtungen und die ganze Art und Weise, wie sie diese Frage anfaßten, viel zu fest meinem Gedächtniß eingeprägt, um nicht selbst immer, wenn ich über ähnliche Dinge nachdenke, in dasselbe Geleise zu gerathen: nur daß ich mitunter den zuversichtlichen Muth nicht habe, den jene Männer sowohl im kühnen Aussprechen verbotener Wahrheiten als in dem noch kühneren Aufbau ihrer eignen Hoffnungen damals vor meinen Ohren und zu meinem Erstaunen bewährten. Um so mehr schien es nur nützlich, ein solches Gespräch endlich einmal schriftlich zu fixiren, um auch Andere noch zum Urtheil über so auffallende Ansichten und Aussprüche aufzureizen: – und hierzu glaubte ich aus besonderen Gründen gerade die Gelegenheit dieser öffentlichen Vorträge benutzen zu dürfen.
Ich bin mir nämlich wohl bewußt, an welchem Orte ich jenes Gespräch einem allgemeinen Nachdenken und Überlegen anempfehle, in einer Stadt nämlich, die in einem unverhältnißmäßig großartigen Sinne die Bildung und Erziehung ihrer Bürger zu fördern sucht, in einem Maßstabe, der für größere Staaten geradezu etwas Beschämendes haben muß: so daß ich hier gewiß auch mit dieser Vermuthung nicht fehlgreife, daß dort, wo man um so viel mehr für diese Dinge thut, man auch über sie um so viel mehr denkt. Gerade nur solchen Zuhörern aber werde ich, bei der Wiedererzählung jenes Gesprächs, völlig verständlich werden können – solchen, die sofort errathen, was nur angedeutet werden konnte, ergänzen, was verschwiegen werden mußte, die überhaupt nur erinnert, nicht belehrt zu werden brauchen.
Nun vernehmen Sie, meine geehrten Zuhörer, mein harmloses Erlebniß und das minder harmlose Gespräch jener bisher nicht genannten Männer.
Wir versetzen uns mitten in den Zustand eines jungen Studenten hinein, das heißt in einen Zustand, der, in der rastlosen und heftigen Bewegung der Gegenwart, geradezu etwas Unglaubwürdiges ist, und den man erlebt haben muß, um ein solches unbekümmertes Sich-Wiegen, ein solches dem Augenblick abgerungenes gleichsam zeitloses Behagen überhaupt für möglich zu halten. In diesem Zustande verlebte ich, zugleich mit einem gleichalterigen Freunde, ein Jahr in der Universitätsstadt Bonn am Rhein: ein Jahr, welches durch die Abwesenheit aller Pläne und Zwecke, losgelöst von allen Zukunftsabsichten, für meine jetzige Empfindung fast etwas Traumartiges an sich trägt, während dasselbe zu beiden Seiten, vorher und nachher, durch Zeiträume des Wachseins eingerahmt ist. Wir Beide blieben