Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Ohre zu­hör­te. Ich stieß mei­nen viel­leicht et­was er­mü­de­ten Freund an und sag­te ihm lei­se: »Schlaf nicht! Es giebt dort für uns Et­was zu ler­nen. Es paßt auf uns, wenn es uns auch nicht gilt.«

      Ich hör­te näm­lich, wie der jun­ge Beglei­ter sich ziem­lich er­regt vert­hei­dig­te, wie da­ge­gen der Phi­lo­soph mit im­mer kräf­ti­ge­rem Klan­ge der Stim­me ihn an­griff. »Du bist un­ver­än­dert,« rief er ihm zu, »lei­der un­ver­än­dert, mir ist es un­glaub­lich, wie du noch der­sel­be bist, wie vor sie­ben Jah­ren, wo ich dich zum letz­ten Male sah, wo ich dich mit zwei­fel­haf­ten Hoff­nun­gen entließ. Dei­ne in­zwi­schen über­ge­häng­te mo­der­ne Bil­dungs­haut muß ich dir lei­der wie­der, nicht zu mei­nem Ver­gnü­gen, ab­ziehn – und was fin­de ich dar­un­ter? Zwar den glei­chen un­ver­än­der­li­chen »in­tel­le­gi­beln« Cha­rak­ter, wie ihn Kant ver­steht, aber lei­der auch den un­ver­än­der­ten in­tel­lek­tu­el­len – was wahr­schein­lich auch eine No­thwen­dig­keit, aber eine we­nig tröst­li­che ist. Ich fra­ge mich, wozu ich als Phi­lo­soph ge­lebt habe, wenn gan­ze Jah­re, die du in mei­nem Um­gang ver­lebt hast, bei nicht stump­fem Geis­te und wirk­li­cher Lern­be­gier­de, doch kei­ne deut­li­che­ren Im­pres­sio­nen zu­rück­ge­las­sen ha­ben! Jetzt be­nimmst du dich, als hät­test du noch nie, in Be­treff al­ler Bil­dung, den Car­di­nal­satz ge­hört, auf den ich doch so oft, in un­se­rem frü­he­ren Ver­kehr, zu­rück­ge­kom­men bin. Nun, wel­ches war der Satz?«

      »Ich er­in­ne­re mich,« ant­wor­te­te der ge­schol­te­ne Schü­ler; »Sie pfleg­ten zu sa­gen, es wür­de kein Mensch nach Bil­dung stre­ben, wenn er wüß­te, wie un­glaub­lich klein die Zahl der wirk­lich Ge­bil­de­ten zu­letzt ist und über­haupt sein kann. Und trotz­dem sei auch die­se klei­ne An­zahl von wahr­haft Ge­bil­de­ten nicht ein­mal mög­lich, wenn nicht eine große Mas­se, im Grun­de ge­gen ihre Na­tur, und nur durch eine ver­lo­cken­de Täu­schung be­stimmt, sich mit der Bil­dung ein­lie­ße. Man dür­fe des­halb von je­ner lä­cher­li­chen Im­pro­por­tio­na­li­tät zwi­schen der Zahl der wahr­haft Ge­bil­de­ten und dem un­ge­heu­er großen Bil­dungs­ap­pa­rat nichts öf­fent­lich ver­rat­hen; hier ste­cke das ei­gent­li­che Bil­dungs­ge­heim­niß: daß näm­lich zahl­lo­se Men­schen schein­bar für sich, im Grun­de nur, um ei­ni­ge we­ni­ge Men­schen mög­lich zu ma­chen, nach Bil­dung rin­gen, für die Bil­dung ar­bei­ten.«

      »Dies ist der Satz,« sag­te der Phi­lo­soph – »und doch konn­test du so sei­nen wah­ren Sinn ver­ges­sen, um zu glau­ben, sel­ber ei­ner je­ner We­ni­gen zu sein? Da­ran hast du ge­dacht – ich mer­ke es wohl. Das aber ge­hört zu der nichts­wür­di­gen Si­gna­tur un­se­rer ge­bil­de­ten Ge­gen­wart. Man de­mo­kra­ti­sirt die Rech­te des Ge­ni­us, um der eig­nen Bil­dungs­ar­beit und Bil­dungs­noth ent­ho­ben zu sein. Es will sich ein Je­der wo­mög­lich im Schat­ten des Bau­mes nie­der­las­sen, den der Ge­ni­us ge­pflanzt hat. Man möch­te sich je­ner schwe­ren No­thwen­dig­keit ent­ziehn, für den Ge­ni­us ar­bei­ten zu müs­sen, um sei­ne Er­zeu­gung mög­lich zu ma­chen. Wie? Du bist zu stolz, ein Leh­rer sein zu wol­len? Du ver­ach­test die sich he­randrän­gen­de Men­ge der Ler­nen­den? Du sprichst mit Ge­ring­schät­zung über die Auf­ga­be des Leh­rers? Und möch­test dann, in ei­ner feind­se­li­gen Ab­gren­zung von je­ner Men­ge, ein ein­sa­mes Le­ben füh­ren, mich und mei­ne Le­bens­wei­se co­pi­rend? Du glaubst im Sprun­ge so­fort Das er­rei­chen zu kön­nen, was ich, nach lan­gem hart­nä­cki­gem Kamp­fe, um als Phi­lo­soph über­haupt nur le­ben zu kön­nen, mir end­lich er­rin­gen muß­te? Und du fürch­test nicht, daß die Ein­sam­keit sich an dir rä­chen wer­de? Ver­su­che es nur, ein Bil­dungs­ein­sied­ler zu sein – man muß einen über­schüs­si­gen Reicht­hum ha­ben, um von sich aus für Alle le­ben zu kön­nen! – Son­der­ba­re Jün­ger! Gera­de im­mer das Schwers­te und Höchs­te, was eben nur dem Meis­ter mög­lich ge­wor­den ist, glau­ben sie nach­ma­chen zu müs­sen: wäh­rend ge­ra­de sie wis­sen soll­ten, wie schwer und ge­fähr­lich dies sei und wie vie­le treff­li­che Be­ga­bun­gen noch dar­an zu Grun­de ge­hen könn­ten!«

      »Ich will Ih­nen Nichts ver­ber­gen, mein Leh­rer,« sag­te hier der Beglei­ter. »Ich habe zu viel von Ih­nen ge­hört und bin zu lan­ge in Ih­rer Nähe ge­we­sen, um mich un­se­rem jet­zi­gen Bil­dungs- und Er­zie­hungs­we­sen noch mit Haut und Haar hin­ge­ben zu kön­nen. Ich emp­fin­de zu deut­lich jene heil­lo­sen Irr­t­hü­mer und Miß­stän­de, auf die Sie mit dem Fin­ger zu zei­gen pfleg­ten – und doch mer­ke ich we­nig von der Kraft in mir, mit der ich, bei tap­fe­rem Kamp­fe, Er­fol­ge ha­ben wür­de. Eine all­ge­mei­ne Muth­lo­sig­keit über­kam mich; die Flucht in die Ein­sam­keit war nicht Hoch­muth, nicht Über­he­bung. Ich will Ih­nen gern be­schrei­ben, wel­che Si­gna­tur ich an den jetzt so leb­haft und zu­dring­lich sich be­we­gen­den Bil­dungs- und Er­zie­hungs­fra­gen vor­ge­fun­den habe. Es schi­en mir, daß ich zwei Haup­trich­tun­gen un­ter­schei­den müs­se, – zwei schein­bar ent­ge­gen­ge­setz­te, in ih­rem Wir­ken gleich ver­derb­li­che, in ih­ren Re­sul­ta­ten end­lich zu­sam­men­flie­ßen­de Strö­mun­gen be­herr­schen die Ge­gen­wart uns­rer Bil­dungs­an­stal­ten: ein­mal der Trieb nach mög­lichs­ter Er­wei­te­rung und Ver­brei­tung der Bil­dung, dann der Trieb nach Ver­rin­ge­rung und Ab­schwä­chung der Bil­dung selbst. Die Bil­dung soll aus ver­schie­de­nen Grün­den in die al­ler­wei­tes­ten Krei­se ge­tra­gen wer­den – das ver­langt die eine Ten­denz. Die an­de­re mu­thet da­ge­gen der Bil­dung selbst zu, ihre höchs­ten edels­ten und er­ha­bens­ten An­sprü­che auf­zu­ge­ben und sich im Diens­te ir­gend ei­ner an­dern Le­bens­form, etwa des Staa­tes, zu be­schei­den.

      Ich glau­be be­merkt zu ha­ben, von wel­cher Sei­te aus der Ruf nach mög­lichs­ter Er­wei­te­rung und Aus­brei­tung der Bil­dung am deut­lichs­ten er­schallt. Die­se Er­wei­te­rung ge­hört un­ter die be­lieb­ten na­tio­nal­öko­no­mi­schen Dog­men der Ge­gen­wart. Mög­lichst viel Er­kennt­nis; und Bil­dung – da­her mög­lichst viel Pro­duk­ti­on und Be­dürf­nis; – da­her mög­lichst viel Glück: – so lau­tet etwa die For­mel. Hier ha­ben wir den Nut­zen als Ziel und Zweck der Bil­dung, noch ge­nau­er den Er­werb, den mög­lichst großen Geld­ge­winn. Die Bil­dung wür­de un­ge­fähr von die­ser Rich­tung aus de­fi­nirt wer­den als die Ein­sicht mit der man sich »auf der Höhe sei­ner Zeit« hält, mit der man alle Wege kennt, auf de­nen am leich­tes­ten Geld ge­macht wird, mit der man alle Mit­tel be­herrscht, durch die der Ver­kehr zwi­schen Men­schen und Völ­kern geht. Die ei­gent­li­che Bil­dungs­auf­ga­be wäre dem­nach, mög­lichst »cou­ran­te« Men­schen zu bil­den, in der Art Des­sen, was man an ei­ner Mün­ze »cou­rant« nennt. Je mehr es sol­che cou­ran­te Men­schen gäbe, um so glück­li­cher sei ein Volk: und ge­ra­de Das müs­se die Ab­sicht der mo­der­nen Bil­dungs­in­sti­tu­te sein, Je­den so weit zu för­dern, als es in sei­ner Na­tur liegt »cou­rant« zu wer­den, Je­den der­ar­tig aus­zu­bil­den, daß er von sei­nem Maaß von Er­kennt­nis; und Wis­sen das größt­mög­li­che Maaß von Glück und Ge­winn hat. Ein Je­der müs­se sich selbst ge­nau ta­xi­ren kön­nen, er müs­se wis­sen, wie viel er vom Le­ben zu for­dern habe. Der »Bund von In­tel­li­genz und Be­sitz«, den man nach die­sen An­schau­un­gen be­haup­tet, gilt ge­ra­de­zu als eine sitt­li­che An­for­de­rung. Jede Bil­dung ist hier ver­haßt, die ein­sam macht, die über Geld und Er­werb hin­aus Zie­le steckt, die viel Zeit ver­braucht: man pflegt wohl sol­che an­de­re Bil­dungs­ten­den­zen als »hö­he­ren Ego­is­mus«, als »un­sitt­li­chen Bil­dungs­epi­ku­reis­mus«