unserer Hoffnungen – und das kann sich nicht einmal von dem verrückten Ehrenkatechismus und seinen Faustrechtssatzungen freimachen? Eurem Herzen will ich dabei nicht zu nahe treten, aber euren Köpfen macht es wenig Ehre. Ihr, deren Jugend die Sprache und Weisheit Hellas’ und Latium’s zur Pflegerin erhielt, und auf deren jungen Geist man die Lichtstrahlen der Weisen und Edlen des schönen Alterthums frühzeitig fallen zu lassen die unschätzbare Sorge getragen hat – ihr wollt damit anfangen, daß ihr den Codex der ritterlichen Ehre, das heißt den Codex des Unverstands und der Brutalität zur Richtschnur eures Wandels macht? – Seht ihn doch einmal recht an, bringt ihn euch auf deutliche Begriffe, enthüllt seine erbärmliche Beschränktheit und laßt ihn den Prüfstein nicht eures Heizens, aber eures Verstandes sein. Verwirft dieser ihn jetzt nicht, so ist euer Kopf nicht geeignet, in dem Felde zu arbeiten, wo eine energische Urtheilskraft, welche die Bande des Vorurtheils leicht zerreißt, ein richtig ansprechender Verstand, der Wahres und Falsches selbst dort, wo der Unterschied tief verborgen liegt und nicht wie hier mit Händen zu greifen ist, rein zu sondern vermag, die nothwendigen Erfordernisse sind: in diesem Falle also, meine Guten, sucht auf eine andere ehrliche Weise durch die Welt zu kommen, werdet Soldaten oder lernet ein Handwerk, das hat einen goldenen Boden.«
Auf diese grobe, obschon wahre Rede antworteten wir erregt, indem wir uns immer gegenseitig in’s Wort fielen: »Erstens irren Sie in der Hauptsache; denn wir sind keinesfalls da, um uns zu duelliren, sondern um uns im Pistolenschießen zu üben. Zweitens scheinen Sie gar nicht zu wissen, wie es bei einem Duell zugeht: denken Sie, daß wir uns, wie zwei Wegelagerer, in dieser Einsamkeit einander gegenüberstellen würden, ohne Sekundanten, ohne Ärzte u. s. w.? Drittens endlich haben wir in der Duellfrage – ein Jeder für sich – unseren eignen Standpunkt und wollen nicht durch Belehrungen Ihrer Art überfallen und erschreckt werden.«
Diese gewiß nicht höfliche Entgegnung hatte auf den alten Mann einen üblen Eindruck gemacht; während er zuerst, als er merkte, daß es sich um kein Duell handele, freundlicher auf uns hinblickte, verdroß ihn unsre schließliche Wendung, so daß er brummte; und als wir gar von unseren eignen Standpunkten zu reden wagten, faßte er heftig seinen Begleiter, drehte sich rasch um und rief uns bitter nach: »Man muß nicht nur Standpunkte, sondern auch Gedanken haben!« Und, rief der Begleiter dazwischen: »Ehrfurcht, selbst wenn ein solcher Mann einmal irrt!«
Inzwischen hatte aber mein Freund bereits wieder geladen und schoß von Neuem, indem er: »Vorsicht!« rief, nach dem Pentagramm. Dies sofortige Knattern hinter seinem Rücken machte den alten Mann wüthend; noch einmal kehrte er sich um, sah meinen Freund mit Haß an und sagte dann zu seinem jüngeren Begleiter mit weicherer Stimme: »Was sollen wir thun? Diese jungen Männer ruiniren mich durch ihre Explosionen.« – »Sie müssen nämlich wissen«, hub der Jüngere zu uns gewendet an, »daß Ihre explodirenden Vergnügungen in dem jetzigen Falle ein wahres Attentat gegen die Philosophie sind. Bemerken Sie diesen ehrwürdigen Mann, – er ist im Stande, Sie zu bitten, hier nicht zu schießen. Und wenn ein solcher Mann bittet –« »Nun so thut man es doch wohl«, unterbrach ihn der Greis und sah uns streng an.
Im Grunde wußten wir nicht recht, was wir von einem solchen Vorgange zu halten hatten; wir waren uns nicht deutlich bewußt, was unsere etwas lärmenden Vergnügungen mit der Philosophie gemein hätten, wir sahen ebenso wenig ein, weshalb wir, aus unverständlichen Rücksichten der Höflichkeit, unsern Schießplatz aufgeben sollten, und mögen in diesem Augenblicke recht unschlüssig und verdrossen dagestanden haben. Der Begleiter sah unsre augenblickliche Betroffenheit und erklärte uns den Hergang. »Wir sind genöthigt«, sagte er, »hier in Ihrer nächsten Nähe ein paar Stunden zu warten, wir haben eine Verabredung, nach der ein bedeutender Freund dieses bedeutenden Mannes noch diesen Abend hier eintreffen will; und zwar haben wir einen ruhigen Platz, mit einigen Bänken, hier am Gehölz, für diese Zusammenkunft gewählt. Es ist nichts Angenehmes, wenn wir hier durch Ihre benachbarten Schießübungen fortwährend aufgeschreckt werden; es ist für Ihre eigne Empfindung, wie wir voraussetzen, unmöglich, hier weiter zu schießen, wenn Sie hören, daß es einer unsrer ersten Philosophen ist, der diese ruhige und abgelegene Einsamkeit für ein Wiedersehen mit seinem Freunde ausgesucht hat.« –
Diese Auseinandersetzung beunruhigte uns noch mehr: wir sahen jetzt eine noch größere Gefahr, als nur den Verlust unseres Schießplatzes, auf uns zukommen und fragten hastig: »Wo ist dieser Ruheplatz? Doch nicht hier links im Gehölz?«
»Gerade dieser ist es.«
»Aber dieser Platz gehört heute Abend uns Beiden«, rief mein Freund dazwischen. »Wir müssen diesen Platz haben« riefen wir Beide.
Unsre längst beschlossene Festfeier war uns augenblicklich wichtiger als alle Philosophen der Welt, und wir drückten so lebhaft und erregt unsre Empfindung aus, daß wir uns, mit unserm an sich unverständlichen, aber so dringend geäußerten Verlangen, vielleicht etwas lächerlich ausnahmen. Wenigstens sahen uns unsre philosophischen Störenfriede lächelnd und fragend an, als ob wir nun, zu unsrer Entschuldigung, reden müßten. Aber wir schwiegen; denn wir wollten am wenigsten uns verrathen.
Und so standen sich die beiden Gruppen stumm gegenüber, während über den Wipfeln der Bäume ein weithin ausgegossnes Abendroth lag. Der Philosoph sah nach der Sonne zu, der Begleiter nach dem Philosophen und wir Beide nach unserm Versteck im Walde, das für uns gerade heute so gefährdet sein sollte. Eine etwas grimmige Empfindung überkam uns. Was ist alle Philosophie, dachten wir, wenn sie hindert, für sich zu sein und einsam mit Freunden sich zu freuen, wenn sie uns abhält, selbst Philosophen zu werden. Denn wir glaubten, unsre Erinnerungsfeier sei recht eigentlich philosophischer Natur: bei ihr wünschten wir für unsre weitere Existenz ernste Vorsätze und Pläne zu fassen; in einsamem Nachdenken hofften wir Etwas zu finden, was in ähnlicher Weise unsre innerste Seele in der Zukunft bilden und befriedigen sollte, wie jene ehemalige produktive Thätigkeit der früheren Jünglingsjahre. Gerade darin sollte jener eigentliche Weiheakt bestehen; Nichts war beschlossen als gerade dies – einsam zu sein, nachdenklich dazusitzen, so wie damals vor fünf Jahren, als wir uns zu jenem Entschlusse gemeinsam sammelten. Es sollte eine schweigende Feierlichkeit sein, ganz Erinnerung, ganz Zukunft – die Gegenwart nichts als ein Gedankenstrich dazwischen. Und nun trat ein feindliches Schicksal in unsern Zauberkreis – und wir wußten nicht, wie es zu entfernen sei; in wir fühlten, bei der Seltsamkeit des ganzen Zusammentreffens