mit ihm zusammen kam auch schon ein wohlbekanntes Geschrei, als Erkennungszeichen, aus der Tiefe herauf. Denn wir waren bei unsrer Verbindung als passionirte Pistolenschützen ebenso bekannt als berüchtigt. Im gleichen Augenblicke aber empfanden wir unser Benehmen als die höchste Unhöflichkeit gegen die stummen philosophischen Ankömmlinge, die in ruhiger Betrachtung bis jetzt dagestanden hatten und bei unserem Doppelschuß erschreckt bei Seite gesprungen waren. Wir traten rasch auf sie zu und riefen abwechselnd: »Verzeihen Sie uns. Jetzt wurde zum letzten Male geschossen, und das galt unseren Kameraden auf dem Rhein. Die haben es auch verstanden, Hören Sie? – Wenn Sie durchaus jenen Ruheplatz hier links im Gebüsch haben wollen, so müssen Sie wenigstens gestatten, daß auch wir dort uns niederlassen. Es giebt mehrere Bänke dort: wir stören Sie nicht: wir sitzen ruhig und werden schweigen: aber sieben Uhr ist bereits vorbei und wir müssen jetzt dorthin.«
»Das klingt geheimnisvoller als es ist«, setzte ich nach einer Pause hinzu? »es giebt unter uns ein ernstes Versprechen, diese nächste Stunde dort zu verbringen; es giebt auch Gründe dafür. Die Stätte ist für uns durch eine gute Erinnerung geheiligt, sie soll uns auch eine gute Zukunft inauguriren. Wir werden uns auch deshalb bemühen, bei Ihnen keine schlechte Erinnerung zu hinterlassen – nachdem wir Sie doch mehrfach beunruhigt und erschreckt haben.«
Der Philosoph schwieg; sein jüngerer Gefährte aber sagte: »Unsre Versprechungen und Verabredungen binden uns leider in gleicher Weise, sowohl für denselben Ort als für dieselben Stunden. Wir haben nun die Wahl, ob wir irgend ein Schicksal oder einen Kobold für das Zusammentreffen verantwortlich machen wollen.«
»Im übrigen, mein Freund«, sagte der Philosoph begütigt, »bin ich mit unsern pistolenschießenden Jünglingen zufriedner als vordem. Hast du bemerkt, wie ruhig sie vorhin waren, als wir nach der Sonne sahen? Sie sprachen nicht, sie rauchten nicht, sie standen still – ich glaube fast, sie haben nachgedacht.«
Und mit rascher Wendung zu uns: » Haben Sie nachgedacht? Das sagen Sie mir, während wir zusammen nach unserm gemeinsamen Ruheplatz gehen.« Wir machten jetzt zusammen einige Schritte und kamen abwärts klimmend in die warme dunstige Atmosphäre des Waldes, in dem es schon dunkler war. Im Gehen erzählte mein Freund dem Philosophen unverhohlen seine Gedanken: wie er gefürchtet habe, daß heute zum ersten Male der Philosoph ihn am Philosophien hindern werde.
Der Greis lachte. »Wie? Sie fürchten, daß der Philosoph Sie am Philosophiren hindern werde? So etwas mag schon vorkommen: und Sie haben es noch nicht erlebt? Haben Sie auf Ihrer Universität keine Erfahrungen gemacht? Und Sie hören doch die philosophischen Vorlesungen?« –
Diese Frage war für uns unbequem; denn es war durchaus nichts davon der Fall gewesen. Auch hatten wir damals noch den harmlosen Glauben, daß Jeder, der auf einer Universität Amt und Würde eines Philosophen besitze, auch ein Philosoph sei: wir waren eben ohne Erfahrungen und schlecht belehrt. Wir sagten ehrlich, daß wir noch keine philosophischen Collegien gehört hätten, aber gewiß das Versäumte noch einmal nachholen würden.
»Was nennen Sie nun aber,« fragte er, »Ihr Philosophiren?« – »Wir sind«, sagte ich, »um eine Definition verlegen. Doch meinen wir wohl ungefähr so viel, daß wir uns ernstlich bemühen wollen, nachzudenken, wie wir wohl am besten gebildete Menschen werden.« »Das ist viel und wenig«, brummte der Philosoph, »denken Sie nur recht darüber nach! Hier sind unsre Bänke: wir wollen uns recht weit auseinandersetzen: ich will Sie ja nicht stören nachzudenken, wie Sie zu gebildeten Menschen werden. Ich wünsche Ihnen Glück und – Standpunkte, wie in Ihrer Duellfrage, rechte eigne nagelneue gebildete Standpunkte. Der Philosoph will Sie nicht am Philosophiren hindern: erschrecken Sie ihn nur nicht durch Ihre Pistolen. Machen Sie es heute einmal den jungen Pythagoreern nach: diese mußten fünf Jahre schweigen, als Diener einer rechten Philosophie – vielleicht bringen Sie es für fünf Viertelstunden auch zu Stande, im Dienste Ihrer eignen zukünftigen Bildung, mit der Sie sich ja so angelegentlich befassen.«
Wir waren an unserem Ziele: unsre Erinnerungsfeier begann. Wieder wie damals vor fünf Jahren schwamm der Rhein in einem zarten Dunste, wieder wie damals leuchtete der Himmel, duftete der Wald. Die entlegenste Ecke einer entfernten Bank nahm uns auf; hier saßen wir fast wie versteckt und so, daß weder der Philosoph noch sein Begleiter uns in’s Gesicht sehn konnten. Wir waren allein; wenn die Stimme des Philosophen gedämpft zu uns herüberkam, war sie inzwischen unter der raschelnden Bewegung des Laubes, unter dem summenden Geräusch eines tausendfältigen wimmelnden Daseins in der Höhe des Waldes fast zu einer Naturmusik geworden; sie wirkte als Laut, wie eine ferne eintönige Klage. Wir waren wirklich ungestört.
Und so vergieng eine Zeit, in der das Abendroth immer mehr verblaßte, und die Erinnerung an unsre jugendliche Bildungsunternehmung immer deutlicher vor uns aufstieg. Es schien uns so, als ob wir jenem sonderbaren Verein den höchsten Dank schuldig seien: er war uns nicht etwa nur ein Supplement für unsre Gymnasialstudien gewesen, sondern geradezu die eigentliche fruchtbringende Gesellschaft, in deren Rahmen wir auch unser Gymnasium mit hineingezeichnet hatten, als ein einzelnes Mittel im Dienste unseres allgemeinen Strebens nach Bildung.
Wir waren uns bewußt, daß wir damals an einen sogenannten Beruf insgesammt nie gedacht hatten, Dank unserem Vereine. Die nur zu häufige Ausbeutung dieser Jahre durch den Staat, der sich möglichst bald brauchbare Beamte heranziehn und sich ihrer unbedingten Fügsamkeit durch übermäßig anstrengende Examina versichern will, war durchaus von unsrer Bildung in weitester Entfernung geblieben; und wie wenig irgend ein Nützlichkeitssinn, irgend eine Absicht auf rasche Beförderung und schnelle Laufbahn uns bestimmt hatte, lag für Jeden von uns in der heute einmal tröstlich erscheinenden Thatsache, daß wir auch jetzt Beide nicht recht wußten, was wir werden sollten, ja daß wir uns um diesen Punkt gar nicht bekümmerten. Diese glückliche Unbekümmertheit hatte unser Verein in uns genährt; gerade für sie waren wir bei seinem Erinnerungsfeste recht von Herzen dankbar. Ich habe schon einmal gesagt, daß ein solches zweckloses Sich-Behagenlassen am Moment, ein solches Sich-Wiegen auf dem Schaukelstuhl des Augenblicks für unsre allem Unnützen abholde Gegenwart fast unglaubwürdig, jedenfalls tadelnswerth erscheinen muß. Wie unnütz waren wir! Und wie stolz waren wir darauf, so unnütz zu sein! Wir hätten mit einander uns um den Ruhm streiten können, wer von Beiden der Unnützere