Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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jetzt die »so­cia­le Fra­ge«. Es möch­te näm­lich die­ser Mas­se so schei­nen, daß dem­nach die Bil­dung für den größ­ten Theil der Men­schen nur ein Mit­tel für das Er­den­glück der We­nigs­ten sei: die »mög­lichst all­ge­mei­ne Bil­dung« schwächt die Bil­dung so ab, daß sie gar kei­ne Pri­vi­le­gi­en und gar kei­nen Re­spekt mehr ver­lei­hen kann. Die al­ler­all­ge­meins­te Bil­dung ist eben die Bar­ba­rei. Doch ich will dei­ne Er­ör­te­rung nicht un­ter­bre­chen.«

      Der Beglei­ter fuhr fort: »Es giebt noch an­de­re Mo­ti­ve für die über­all so tap­fer an­ge­streb­te Er­wei­te­rung und Ver­brei­tung der Bil­dung, au­ßer je­nem so be­lieb­ten na­tio­nal­öko­no­mi­schen Dog­ma. In ei­ni­gen Län­dern ist die Angst vor ei­ner re­li­gi­ösen Un­ter­drückung so all­ge­mein und die Furcht vor den Fol­gen die­ser Un­ter­drückung so aus­ge­prägt, daß man in al­len Ge­sell­schafts­klas­sen der Bil­dung mit lech­zen­der Be­gier­de ent­ge­gen­kommt und ge­ra­de die Ele­men­te der­sel­ben ein­schlürft, wel­che die re­li­gi­ösen In­stink­te auf­zu­lö­sen pfle­gen. An­der­wärts hin­wie­der­um strebt ein Staat hier und da um sei­ner eig­nen Exis­tenz wil­len nach ei­ner mög­lichs­ten Aus­deh­nung der Bil­dung, weil er sich im­mer noch stark ge­nug weiß, auch die stärks­te Ent­fes­se­lung der Bil­dung noch un­ter sein Joch span­nen zu kön­nen, und es be­währt ge­fun­den hat, wenn die aus­ge­dehn­tes­te Bil­dung sei­ner Be­am­ten oder sei­ner Hee­re zu­letzt im­mer nur ihm selbst, dem Staa­te, im Wett­ei­fer mit an­de­ren Staa­ten, zu gute kommt. In die­sem Fal­le muß das Fun­da­ment ei­nes Staa­tes eben so breit und fest sein, um das com­pli­cir­te Bil­dungs­ge­wöl­be noch ba­lan­ci­ren zu kön­nen, wie im ers­ten Fal­le die Spu­ren ei­ner frü­he­ren re­li­gi­ösen Un­ter­drückung noch fühl­bar ge­nug sein müs­sen, um zu ei­nem so ver­zwei­fel­ten Ge­gen­mit­tel zu drän­gen. Wo also nur das Feld­ge­schrei der Mas­se nach wei­tes­ter Volks­bil­dung ver­langt, da pfle­ge ich wohl zu un­ter­schei­den, ob eine üp­pi­ge Ten­denz nach Er­werb und Be­sitz, ob die Brand­ma­le ei­ner frü­he­ren re­li­gi­ösen Un­ter­drückung, ob das klu­ge Selbst­ge­fühl ei­nes Staa­tes zu die­sem Feld­ge­schrei sti­mu­lirt hat.

      Da­ge­gen woll­te es mir er­schei­nen, als ob zwar nicht so laut, aber min­des­tens so nach­drück­lich von ver­schie­de­nen Sei­ten aus eine an­de­re Wei­se an­ge­stimmt wür­de, die Wei­se von der Ver­min­de­rung der Bil­dung.

      Man pflegt sich et­was von die­ser Wei­se in al­len ge­lehr­ten Krei­sen in’s Ohr zu flüs­tern: die all­ge­mei­ne That­sa­che, daß mit der jetzt an­ge­streb­ten Aus­nüt­zung des Ge­lehr­ten im Diens­te sei­ner Wis­sen­schaft die Bil­dung des Ge­lehr­ten im­mer zu­fäl­li­ger und un­wahr­schein­li­cher wer­de. Denn so in die Brei­te aus­ge­dehnt ist jetzt das Stu­di­um der Wis­sen­schaf­ten, daß, wer, bei gu­ten, wenn­gleich nicht ex­tre­men An­la­gen, noch in ih­nen Et­was leis­ten will, ein ganz spe­ci­el­les Fach be­trei­ben wird, um alle üb­ri­gen dann aber un­be­küm­mert bleibt. Wird er nun schon in sei­nem Fach über dem vul­gus ste­hen, in al­lem Üb­ri­gen ge­hört er doch zu ihm, das heißt in al­len Haupt­sa­chen. So ein ex­klu­si­ver Fach­ge­lehr­ter ist dann dem Fa­brik­ar­bei­ter ähn­lich, der, sein Le­ben lang, nichts An­de­res macht als eine be­stimm­te Schrau­be oder Hand­ha­be, zu ei­nem be­stimm­ten Werk­zeug oder zu ei­ner Ma­schi­ne, worin er dann frei­lich eine un­glaub­li­che Vir­tuo­si­tät er­langt. In Deutsch­land, wo man ver­steht, auch sol­chen schmerz­li­chen That­sa­chen einen glo­rio­sen Man­tel des Ge­dan­kens über­zu­hän­gen, be­wun­dert man wohl gar die­se enge Fach­mä­ßig­keit un­se­rer Ge­lehr­ten und ihre im­mer wei­te­re Abir­rung von der rech­ten Bil­dung als ein sitt­li­ches Phä­no­men: die »Treue im Klei­nen«, die »Kärr­ner­treue« wird zum Prunkt­he­ma, die Un­bil­dung jen­seits des Fachs wird als Zei­chen ed­ler Ge­nüg­sam­keit zur Schau ge­tra­gen.

      Es sind Jahr­hun­der­te ver­gan­gen, in de­nen es sich von selbst Ver­stand, daß man un­ter ei­nem Ge­bil­de­ten den Ge­lehr­ten und nur den Ge­lehr­ten be­griff; von den Er­fah­run­gen un­se­rer Zeit aus wür­de man sich schwer­lich zu ei­ner so nai­ven Gleich­stel­lung ver­an­laßt füh­len. Denn jetzt ist die Aus­beu­tung ei­nes Men­schen zu Guns­ten der Wis­sen­schaf­ten die ohne An­stand über­all an­ge­nom­me­ne Voraus­set­zung: wer fragt sich noch, was eine Wis­sen­schaft werth sein mag, die so vam­pyr­ar­tig ihre Ge­schöp­fe ver­braucht? Die Ar­beits­t­hei­lung in der Wis­sen­schaft strebt prak­tisch nach dem glei­chen Zie­le, nach dem hier und da die Re­li­gio­nen mit Be­wußt­sein stre­ben: nach ei­ner Ver­rin­ge­rung der Bil­dung, ja nach ei­ner Ver­nich­tung der­sel­ben. Was aber für ei­ni­ge Re­li­gio­nen, ge­mäß ih­rer Ent­ste­hung und Ge­schich­te, ein durch­aus be­rech­tig­tes Ver­lan­gen ist, dürf­te für die Wis­sen­schaft ir­gend­wann ein­mal eine Selbst­ver­bren­nung her­bei­füh­ren. Jetzt sind wir be­reits auf dem Punk­te, daß in al­len all­ge­mei­nen Fra­gen ernst­haf­ter Na­tur, vor Al­lem in den höchs­ten phi­lo­so­phi­schen Pro­ble­men der wis­sen­schaft­li­che Mensch als sol­cher gar nicht mehr zu Wor­te kommt: wo­hin­ge­gen jene kleb­ri­ge ver­bin­den­de Schicht, die sich jetzt zwi­schen die Wis­sen­schaf­ten ge­legt hat, die Jour­na­lis­tik, hier ihre Auf­ga­be zu er­fül­len glaubt und sie nun ih­rem We­sen ge­mäß aus­führt, das heißt wie der Name sagt, als eine Ta­ge­löh­ne­rei.

      In der Jour­na­lis­tik näm­lich flie­ßen die bei­den Rich­tun­gen zu­sam­men: Er­wei­te­rung und Ver­min­de­rung der Bil­dung rei­chen sich hier die Hand; das Jour­nal tritt ge­ra­de­zu an die Stel­le der Bil­dung, und wer, auch als Ge­lehr­ter, jetzt noch Bil­dungs­an­sprü­che macht, pflegt sich an jene kleb­ri­ge Ver­mitt­lungs­schicht an­zu­leh­nen, die zwi­schen al­len Le­bens­for­men, al­len Stän­den, al­len Küns­ten, al­len Wis­sen­schaf­ten die Fu­gen ver­kit­tet und die so fest und zu­ver­läs­sig ist wie eben Jour­nal­pa­pier zu sein pflegt. Im Jour­nal cul­mi­nirt die ei­gent­hüm­li­che Bil­dungs­ab­sicht der Ge­gen­wart: wie eben­so der Jour­na­list, der Die­ner des Au­gen­blicks, an die Stel­le des großen Ge­ni­us, des Füh­rers für alle Zei­ten, des Er­lö­sers vom Au­gen­blick, ge­tre­ten ist. Nun sa­gen Sie mir selbst, mein aus­ge­zeich­ne­ter Meis­ter, was ich mir für Hoff­nun­gen ma­chen soll­te, im Kamp­fe ge­gen eine über­all er­reich­te Ver­keh­rung al­ler ei­gent­li­chen Bil­dungs­be­stre­bun­gen, mit wel­chem Mu­the ich, als ein­zel­ner Leh­rer, auf­tre­ten dürf­te, wenn ich doch weiß, wie über jede eben ge­streu­te Saat wah­rer Bil­dung so­fort scho­nungs­los die zer­mal­men­de Wal­ze die­ser Pseu­do-Bil­dung hin­weg­gehn wür­de? Den­ken Sie sich, wie nutz­los jetzt die an­ge­streng­tes­te Ar­beit des Leh­rers sein muß, der etwa einen Schü­ler in die un­end­lich fer­ne und schwer zu er­grei­fen­de Welt des Hel­le­ni­schen, als in die ei­gent­li­che Bil­dungs­hei­mat zu­rück­füh­ren möch­te: wenn doch der­sel­be Schü­ler in der nächs­ten Stun­de nach ei­ner Zei­tung oder nach ei­nem Zeitroman oder nach ei­nem je­ner ge­bil­de­ten Bü­cher grei­fen wird, de­ren Sti­lis­tik schon das ekel­haf­te Wap­pen der jet­zi­gen Bil­dungs­bar­ba­rei an sich trägt.« – –

      »Nun halt ein­mal still!« rief hier der Phi­lo­soph mit star­ker und mit­lei­di­ger Stim­me da­zwi­schen, »ich be­grei­fe dich jetzt bes­ser und hät­te dir vor­her kein so bö­ses Wort sa­gen sol­len. Du hast in Al­lem Recht, nur nicht in dei­ner Muth­lo­sig­keit. Ich will dir jetzt Et­was zu dei­nem Tros­te sa­gen.«

      Zwei­ter Vor­trag.

      (Ge­hal­ten