Gehorsam pflanzen und allen Selbständigkeitsdünkel abwehren zu müssen! Wird euch hier deutlich, meine Guten, weshalb ich, nach der Seite der Bildung hin, die jetzige Universität als Ausbau der Gymnasialtendenz zu betrachten liebe? Die durch das Gymnasium anerzogne Bildung tritt, als etwas Ganzes und Fertiges, mit wählerischen Ansprüchen in die Thore der Universität: sie fordert, sie giebt Gesetze, sie sitzt zu Gericht. Täuscht euch also über den gebildeten Studenten nicht: dieser ist, soweit er eben die Bildungsweihen empfangen zu haben glaubt, immer noch der in den Händen seiner Lehrer geformte Gymnasiast: als welcher nun, seit seiner akademischen Isolation, und nachdem er das Gymnasium verlassen hat, damit gänzlich aller weiteren Formung und Leitung zur Bildung entzogen ist, um von nun an von sich selbst zu leben und frei zu sein.
Frei! Prüft diese Freiheit, ihr Menschenkenner! Aufgebaut auf dem thönernen Grunde der jetzigen Gymnasialcultur, auf zerbröckelndem Fundamente, steht ihr Gebäude schief gerichtet und unsicher bei dem Anhauche der Wirbelwinde. Seht euch den freien Studenten, den Herold der Selbständigkeitsbildung an, errathet ihn in seinen Instinkten, deutet ihn euch aus seinen Bedürfnissen! Was dünkt euch über seine Bildung, wenn ihr diese an drei Gradmessern zu messen wißt, einmal an seinem Bedürfniß zur Philosophie, sodann an seinem Instinkt für Kunst und endlich an dem griechischen und römischen Alterthum als an dem leibhaften kategorischen Imperativ aller Cultur.
Der Mensch ist so umlagert von den ernstesten und schwierigsten Problemen, daß er, in der rechten Weise an sie herangeführt, zeitig in jenes nachhaltige philosophische Erstaunen gerathen wird, auf dem allein, als auf einem fruchtbaren Untergründe, eine tiefere und edlere Bildung wachsen kann. Am häufigsten führen ihn wohl die eignen Erfahrungen an diese Probleme heran, und besonders in der stürmischen Jugendzeit spiegelt sich fast jedes persönliche Ereignis; in einem doppelten Schimmer, als Exemplifikation einer Alltäglichkeit und zugleich eines ewigen erstaunlichen und erklärungswürdigen Problems. In diesem Alter, das seine Erfahrungen gleichsam mit metaphysischen Regenbogen umringt sieht, ist der Mensch auf das Höchste einer führenden Hand bedürftig, weil er plötzlich und fast instinktiv sich von der Zweideutigkeit des Daseins überzeugt hat und den festen Boden der bisher gehegten überkommenen Meinungen verliert.
Dieser naturgemäße Zustand höchster Bedürftigkeit muß begreiflicherweise als der ärgste Feind jener beliebten Selbständigkeit gelten, zu der der gebildete Jüngling der Gegenwart herangezogen werden soll. Ihn zu unterdrücken und zu lähmen, ihn abzuleiten oder zu verkümmern sind deshalb alle jene bereits in den Schoß des »Selbstverstandes« eingekehrten Jünger der »Jetztzeit« eifrig bemüht: und das beliebteste Mittel ist, jenen naturgemäßen philosophischen Trieb durch die sogenannte »historische Bildung« zu paralysiren. Ein noch jüngst in skandalöser Weltberühmtheit stehendes System hatte die Formel für diese Selbstvernichtung der Philosophie ausfindig gemacht: und jetzt zeigt sich bereits überall, bei der historischen Betrachtung der Dinge, eine solche naive Unbedenklichkeit, das Unvernünftigste zur »Vernunft« zu bringen und das Schwärzeste als weiß gelten zu lassen, daß man öfters, mit parodistischer Anwendung jenes Hegel’schen Satzes, fragen möchte: »Ist diese Unvernunft wirklich?« Ach, gerade das Unvernünftige scheint jetzt allein »wirklich«, das heißt wirkend zu sein und diese Art von Wirklichkeit zur Erklärung der Geschichte bereit zu halten, gilt als eigentliche »historische Bildung«. In diese hat sich der philosophische Trieb unserer Jugend verpuppt: in dieser den jungen Akademiker zu bestärken, scheinen sich jetzt die sonderbaren Philosophen der Universitäten verschworen zu haben.
So ist langsam an Stelle einer tiefsinnigen Ausdeutung der ewig gleichen Probleme ein historisches, ja selbst ein philologisches Abwägen und Fragen getreten: was der und jener Philosoph gedacht habe oder nicht, oder ob die und jene Schrift ihm mit Recht zuzuschreiben sei oder gar ob diese oder jene Lesart den Vorzug verdiene. Zu einem derartigen neutralen Sichbefassen mit Philosophie werden jetzt unsere Studenten in den philosophischen Seminarien unserer Universitäten angereizt: weshalb ich mich längst gewöhnt habe, eine solche Wissenschaft als Abzweigung der Philologie zu betrachten und ihre Vertreter darnach abzuschätzen, ob sie gute Philologen sind oder nicht. Demnach ist nun freilich die Philosophie selbst von der Universität verbannt: womit unsre erste Frage nach dem Bildungswerth der Universitäten beantwortet ist.
Wie diese selbe Universität zur Kunst sich verhält, ist ohne Scham gar nicht einzugestehen: sie verhält sich gar nicht. Von einem künstlerischen Denken, Lernen, Streben, Vergleichen ist hier nicht einmal eine Andeutung zu finden, und gar von einem Votum der Universität zur Förderung der wichtigsten nationalen Kunstpläne wird Niemand im Ernste reden mögen. Ob der einzelne Lehrer sich zufällig persönlicher zur Kunst gestellt fühlt oder ob ein Lehrstuhl für ästhetisirende Litterarhistoriker gegründet ist, kommt hierbei gar nicht in Betracht: sondern daß die Universität als Ganzes nicht im Stande ist, den akademischen Jüngling in strenger künstlerischer Zucht zu halten, und daß sie hier gänzlich willenlos geschehen läßt, was geschieht, darin liegt eine so schneidige Kritik ihres anmaßlichen Anspruchs, die höchste Bildungsanstalt vertreten zu wollen.
Ohne Philosophie, ohne Kunst leben unsere akademischen »Selbständigen« heran: was können sie demnach für ein Bedürfniß haben, sich mit den Griechen und Römern einzulassen, zu denen eine Neigung zu erheucheln jetzt Niemand mehr einen Grund hat und die überdies in schwer zugänglicher Einsamkeit und majestätischer Entfremdung thronen. Die Universitäten unserer Gegenwart nehmen deshalb auch consequenter Weise auf solche ganz erstorbene Bildungsneigungen gar keine Rücksicht und errichten ihre philologischen Professuren für die Erziehung neuer exclusiver Philologengenerationen, denen nun wieder die philologische Zurichtung der Gymnasiasten obliegt: ein Kreislauf des Gebens, der weder den Philologen noch den Gymnasien zu Gute kommt, der aber vor Allem die Universität zum dritten Male bezichtigt, nicht Das zu sein, wofür sie sich prunkender Weise gern ausgeben möchte – eine Bildungsanstalt. Denn nehmt nur die Griechen, sammt der Philosophie und der Kunst weg: an welcher Leiter wollt ihr noch zur Bildung emporsteigen? Denn bei dem Versuche, die Leiter ohne jene Hülfe zu erklimmen, möchte euch eure Gelehrsamkeit – das müßt ihr euch schon