Schau getragnen Selbständigkeit verstehen lernen. Keinem der edler ausgerüsteten Jünglinge ist jene rastlose, ermüdende verwirrende entnervende Bildungsnoth ferne geblieben: für jene Zeit, in der er scheinbar der einzig Freie in einer beamteten und bediensteten Wirklichkeit ist, büßt er jene großartige Illusion der Freiheit durch immer sich erneuernde Qualen und Zweifel. Er fühlt, daß er sich selbst nicht führen, sich selbst nicht helfen kann: dann taucht er sich hoffnungsarm in die Welt des Tages und der Tagesarbeit: die trivialste Geschäftigkeit umhüllt ihn, schlaff sinken seine Glieder. Plötzlich wieder rafft er sich auf: noch fühlt er die Kraft nicht erlahmt, die ihn oben zu halten vermag. Stolze und edle Entschlüsse bilden sich und wachsen in ihm. Es erschreckt ihn, in enger kleinlicher Fachmäßigkeit so frühe zu versinken; und nun greift er nach Stützen und Pfeilern, um nicht in jene Bahn gerissen zu werden. Umsonst! diese Stützen weichen; denn er hatte fehlgegriffen und an zerbrechlichem Rohre sich festgehalten. In leerer und trostloser Stimmung sieht er seine Pläne verrauchen: sein Zustand ist abscheulich und unwürdig: er wechselt mit überspannter Thätigkeit und melancholischer Erschlaffung. Dann ist er müde, faul, furchtsam vor der Arbeit, vor allem Großen erschreckend und im Hasse gegen sich selbst. Er zergliedert seine Fähigkeiten und glaubt in hohle oder chaotisch ausgefüllte Räume zu sehen. Dann wieder stürzt er aus der Höhe der erträumten Selbsterkenntnis; in eine ironische Skepsis. Er entkleidet seine Kämpfe ihrer Wichtigkeit und fühlt sich bereit zu jeder wirklichen, wenn auch niedrigen Nützlichkeit. Er sucht jetzt seinen Trost in einem hastigen unablässigen Thun, um sich unter ihm vor sich selbst zu verstecken. Und so treibt ihn seine Rathlosigkeit und der Mangel eines Führers zur Bildung aus einer Daseinsform in die andre: Zweifel, Aufschwung, Lebensnoth, Hoffnung, Verzagen, Alles wirft ihn hin und her, zum Zeichen, daß alle Sterne über ihm erloschen sind, nach denen er sein Schiff lenken konnte.
Das ist das Bild jener gerühmten Selbständigkeit, jener akademischen Freiheit, wiedergespiegelt in den besten und wahrhaft bildungsbedürftigen Seelen: denen gegenüber jene roheren und unbekümmerten Naturen nicht in Betracht kommen, welche sich ihrer Freiheit im barbarischen Sinne freuen. Denn diese zeigen in ihrem niedrig gearteten Behagen und in ihrer fachgemäßen zeitigen Beschränktheit, daß für sie gerade dieses Element das Rechte ist: wogegen gar nichts zu sagen ist. Ihr Behagen aber wiegt wahrhaftig nicht das Leiden eines einzigen zur Cultur hingetriebenen und der Führung bedürftigen Jünglings auf, der unmuthig endlich die Zügel fallen läßt und sich selbst zu verachten beginnt. Dies ist der schuldlos unschuldige: denn wer hat ihm die unerträgliche Last aufgebürdet, allein zu stehen? Wer hat ihn in einem Alter zur Selbständigkeit angereizt, in dem Hingebung an große Führer und begeistertes Nachwandeln auf der Bahn des Meisters gleichsam die natürlichen und nächsten Bedürfnisse zu sein pflegen?
Es hat etwas Unheimliches, den Wirkungen nachzudenken, zu denen die gewaltsame Unterdrückung so edler Bedürfnisse führen muß. Wer die gefährlichsten Förderer und Freunde jener von mir so gehaßten Pseudocultur der Gegenwart in der Nähe und mit durchdringendem Auge mustert, findet nur zu häufig gerade unter ihnen solche entartete und entgleiste Bildungsmenschen, durch eine innere Desperation in ein feindseliges Wüthen gegen die Cultur getrieben, zu der ihnen Niemand den Zugang zeigen wollte. Es sind nicht die Schlechtesten und die Geringsten, die wir dann als Journalisten und Zeitungschreiber, in der Metamorphose der Verzweiflung wiederfinden; ja, der Geist gewisser, jetzt sehr gepflegter Litteraturgattungen wäre geradezu zu charakterisiren als desperates Studententhum. Wie anders wäre zum Beispiel jenes ehemals wohlbekannte »junge Deutschland« mit seinem bis zum Augenblick fortwuchernden Epigonenthum zu verstehen! Hier entdecken wir ein gleichsam wildgewordenes Bildungsbedürfniß, welches sich endlich selbst bis zu dem Schrei erhitzt: ich bin die Bildung! Dort, vor den Thoren der Gymnasien und der Universitäten, treibt sich die aus ihm entlaufene und sich nun souverän gebärende Cultur dieser Anstalten herum; freilich ohne ihre Gelehrsamkeit: so daß zum Beispiel der Romanschreiber Gutzkow am Besten als Ebenbild des modernen, bereits litterarischen Gymnasiasten zu fassen wäre.
Es ist eine ernste Sache um einen entarteten Bildungsmenschen: und furchtbar berührt es uns, zu beobachten, daß unsre gesammte gelehrte und journalistische Öffentlichkeit das Zeichen dieser Entartung an sich trägt, Wie will man sonst unseren Gelehrten gerecht werden, wenn sie unverdrossen bei dem Werke der journalistischen Volksverführung zuschauen oder gar mithelfen, wie anders, wenn nicht durch die Annahme, daß ihre Gelehrsamkeit etwas Ähnliches für sie sein möge, was für Jene die Romanschreiberei, nämlich eine Flucht vor sich selbst, eine asketische Ertödtung ihres Bildungstriebs, eine desperate Vernichtung des Individuums. Aus unserer entarteten literarischen Kunst ebensowohl als aus der in’s Unsinnige anschwellenden Buchmacherei unserer Gelehrten quillt der gleiche Seufzer hervor: ach, daß wir uns selbst vergessen könnten! Es gelingt nicht: die Erinnerung, durch ganze Berge darübergeschütteten gedruckten Papiers nicht erstickt, sagt doch von Zeit zu Zeit wieder: »ein entarteter Bildungsmensch! Zur Bildung geboren und zur Unbildung erzogen! Hülfloser Barbar, Sklave des Tages, an die Kette des Augenblicks gelegt und hungernd – ewig hungernd!«
Oh der elenden Verschuldet-Unschuldigen! Denn ihnen fehlte Etwas, was Jedem von ihnen entgegenkommen mußte, eine wahre Bildungsinstitution, die ihnen Ziele, Meister, Methoden, Vorbilder, Genossen geben konnte und aus deren Innerem der kräftigende und erhebende Anhauch des wahren deutschen Geistes auf sie zu strömte. So verkümmern sie in der Wildniß, so entarten sie zu Feinden jenes im Grunde ihnen innig verwandten Geistes; so häufen sie Schuld auf Schuld, schwerere als je eine andre Generation gehäuft hat, das Reine beschmutzend, das Heilige entweihend, das Falsche und Unechte präconisirend. An ihnen mögt ihr über die Bildungstraft unserer Universitäten zum Bewußtsein kommen und euch die Frage allen Ernstes vorlegen: Was fördert ihr in ihnen? Die deutsche Gelehrsamkeit, die deutsche Erfindsamkeit, den ehrlichen deutschen Trieb zur Erkenntniß, den deutschen der Aufopferung fähigen Fleiß – schöne und herrliche Dinge, um die euch andre Nationen beneiden werden, ja die schönsten und herrlichsten Dinge der Welt, wenn über ihnen Allen jener wahre deutsche Geist als dunkle blitzende befruchtende segnende Wolke ausgebreitet läge. Vor diesem Geiste aber fürchtet ihr euch und daher hat sich eine andre Dunstschicht, schwül und schwer, über euren Universitäten