Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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ge­rin­ge An­zahl sei­ner Leh­ren er­wähnt wur­de, also durch Un­voll­stän­dig­keit. Es sind aber die Leh­ren aus­ge­wählt wor­den, in de­nen das Per­sön­li­che ei­nes Phi­lo­so­phen am Stärks­ten nach­klingt, wäh­rend eine voll­stän­di­ge Auf­zäh­lung al­ler mög­li­chen über­lie­fer­ten Lehr­sät­ze, wie sie in den Hand­bü­chern Sit­te ist, je­den­falls Eins zu Wege bringt, das völ­li­ge Ver­stum­men des Per­sön­li­chen. Da­durch wer­den jene Be­rich­te so lang­wei­lig: denn an Sys­te­men, die wi­der­legt sind, kann uns eben nur noch das Per­sön­li­che in­ter­es­si­ren, denn dies ist das ewig Un­wi­der­leg­ba­re. Aus drei An­ek­do­ten ist es mög­lich, das Bild ei­nes Men­schen zu ge­ben; ich ver­su­che es, aus je­dem Sys­te­me drei An­ek­do­ten her­aus­zu­he­ben, und gebe das Üb­ri­ge preis.

      1.

      Es giebt Geg­ner der Phi­lo­so­phie: und man thut wohl auf sie zu hö­ren, son­der­lich wenn sie den er­tränk­ten Köp­fen der Deut­schen die Me­ta­phy­sik wi­der­rat­hen, ih­nen aber Rei­ni­gung durch die Phy­sis, wie Goe­the, oder Hei­lung durch die Mu­sik, wie Richard Wa­gner, pre­di­gen. Die Ärz­te des Vol­kes ver­wer­fen die Phi­lo­so­phie; wer die­se also recht­fer­ti­gen will, mag zei­gen, wozu die ge­sun­den Völ­ker die Phi­lo­so­phie brau­chen und ge­braucht ha­ben. Vi­el­leicht ge­win­nen, falls er dies zei­gen kann, selbst die Kran­ken die er­sprieß­li­che Ein­sicht, warum ge­ra­de ih­nen die­sel­be schäd­lich sei. Es giebt zwar gute Bei­spie­le ei­ner Ge­sund­heit, die ganz ohne Phi­lo­so­phie oder bei ei­nem ganz mä­ßi­gen, fast spie­le­ri­schen Ge­brau­che der­sel­ben be­ste­hen kann; so leb­ten die Rö­mer in ih­rer bes­ten Zeit ohne Phi­lo­so­phie. Aber wo fän­de sich das Bei­spiel der Er­kran­kung ei­nes Vol­kes, dem die Phi­lo­so­phie die ver­lor­ne Ge­sund­heit wie­der­ge­ge­ben hät­te? Wenn sie je hel­fend, ret­tend, vor­schüt­zend sich äu­ßer­te, dann war es bei Ge­sun­den, die Kran­ken mach­te sie stets noch krän­ker. War je ein Volk zer­fa­sert und in schlaf­fer Span­nung mit sei­nen Ein­zel­nen ver­bun­den, nie hat die Phi­lo­so­phie die­se Ein­zel­nen en­ger an das Gan­ze zu­rück­ge­knüpft. War je Ei­ner ge­willt ab­seits zu ste­hen und um sich den Zaun der Selbst­ge­nug­sam­keit zu zie­hen, im­mer war die Phi­lo­so­phie be­reit, ihn noch mehr zu iso­li­ren und durch Iso­la­ti­on zu zer­stö­ren. Sie ist ge­fähr­lich, wo sie nicht in ih­rem vol­len Rech­te ist: und nur die Ge­sund­heit ei­nes Vol­kes, aber auch nicht je­des Vol­kes, giebt ihr die­ses Recht.

      Schau­en wir uns jetzt nach je­ner höchs­ten Auk­to­ri­tät für Das um, was an ei­nem Vol­ke ge­sund zu hei­ßen hat. Die Grie­chen, als die wahr­haft Ge­sun­den, ha­ben ein für al­le­mal die Phi­lo­so­phie selbst ge­recht­fer­tigt, da­durch, daß sie phi­lo­so­phirt ha­ben; und zwar viel mehr als alle an­de­ren Völ­ker. Sie konn­ten nicht ein­mal zur rech­ten Zeit auf­hö­ren; denn noch im dür­ren Al­ter ge­bär­de­ten sie sich als hit­zi­ge Ver­eh­rer der Phi­lo­so­phie, ob sie schon un­ter ihr nur die from­men Spitz­fin­dig­kei­ten und die hoch­hei­li­gen Haar­spal­te­rei­en der christ­li­chen Dog­ma­tik ver­stan­den. Da­durch, daß sie nicht zur rech­ten Zeit auf­hö­ren konn­ten, ha­ben sie selbst ihr Ver­dienst um die bar­ba­ri­sche Nach­welt sehr ver­kürzt, weil die­se, in der Un­be­lehrt­heit und dem Un­ge­stüm ih­rer Ju­gend, sich ge­ra­de in je­nen künst­lich ge­web­ten Net­zen und Stri­cken ver­fan­gen muß­te.

      Da­ge­gen ha­ben die Grie­chen es ver­stan­den, zur rech­ten Zeit an­zu­fan­gen, und die­se Leh­re, wann man zu Phi­lo­so­phi­ren an­fan­gen müs­se, ge­ben sie so deut­lich, wie kein an­de­res Volk. Nicht näm­lich erst in der Trüb­sal: was wohl Ei­ni­ge ver­mei­nen, die die Phi­lo­so­phie aus der Ver­drieß­lich­keit ab­lei­ten. Son­dern im Glück, in ei­ner rei­fen Mann­bar­keit, mit­ten her­aus aus der feu­ri­gen Hei­ter­keit des tap­fe­ren und sieg­rei­chen Man­nes­al­ters. Daß in die­ser Zeit die Grie­chen phi­lo­so­phirt ha­ben, be­lehrt uns eben­so über Das, was die Phi­lo­so­phie ist und was sie soll, als über die Grie­chen selbst. Wä­ren jene da­mals sol­che nüch­ter­ne und alt­klu­ge Prak­ti­ker und Hei­ter­lin­ge ge­we­sen, wie es sich der ge­lehr­te Phi­lis­ter un­se­rer Tage wohl ima­gi­nirt, oder hät­ten sie nur in ei­nem schwel­ge­ri­schen Schwe­ben, Klin­gen, Ath­men und Füh­len ge­lebt, wie es wohl der un­ge­lehr­te Phan­tast ger­ne an­nimmt, so wäre die Quel­le der Phi­lo­so­phie gar nicht bei ih­nen an’s Licht ge­kom­men. Höchs­tens hät­te es einen bald im San­de ver­rie­seln­den oder zu Ne­beln ver­duns­ten­den Bach ge­ge­ben, nim­mer­mehr aber je­nen brei­ten, mit stol­zem Wel­len­schla­ge sich er­gie­ßen­den Strom, den wir als die grie­chi­sche Phi­lo­so­phie ken­nen.

      Zwar hat man mit Ei­fer dar­auf hin­ge­zeigt, wie viel die Grie­chen im ori­en­ta­li­schen Aus­lan­de fin­den und ler­nen konn­ten, und wie man­cher­lei sie wohl von dort ge­holt ha­ben. Frei­lich gab es ein wun­der­li­ches Schau­spiel, wenn man die an­geb­li­chen Leh­rer aus dem Ori­ent und die mög­li­chen Schü­ler aus Grie­chen­land zu­sam­men­brach­te und jetzt Zo­roas­ter ne­ben Hera­klit, die In­der ne­ben den Elea­ten, die Ägyp­ter ne­ben Em­pe­do­kles, oder gar Ana­xa­go­ras un­ter den Ju­den und Py­tha­go­ras un­ter den Chi­ne­sen zur Schau stell­te. Im Ein­zel­nen ist we­nig aus­ge­macht wor­den; aber den gan­zen Ge­dan­ken lie­ßen wir uns schon ge­fal­len, wenn man uns nur nicht mit der Fol­ge­rung be­schwert, daß die Phi­lo­so­phie so­mit in Grie­chen­land nur im­por­tirt und nicht aus na­tür­li­chem hei­mi­schem Bo­den ge­wach­sen sei, ja daß sie, als et­was Frem­des, die Grie­chen wohl eher rui­nirt als ge­för­dert habe. Nichts ist thö­rich­ter, als den Grie­chen eine au­to­chtho­ne Bil­dung nach­zu­sa­gen, sie ha­ben viel­mehr alle bei an­de­ren Völ­kern le­ben­de Bil­dung in sich ein­ge­so­gen, sie ka­men ge­ra­de des­halb so weit, weil sie es ver­stan­den, den Speer von dort wei­ter zu schleu­dern, wo ihn ein an­de­res Volk lie­gen ließ. Sie sind be­wun­de­rungs­wür­dig in der Kunst, frucht­bar zu ler­nen: und so, wie sie, sol­len wir von un­sern Nach­barn ler­nen, zum Le­ben, nicht zum ge­lehr­ten­haf­ten Er­ken­nen, al­les Er­lern­te als Stüt­ze be­nut­zend, auf der man sich hoch und hö­her als der Nach­bar schwingt. Die Fra­gen nach den An­fän­gen der Phi­lo­so­phie sind ganz gleich­gül­tig, denn über­all ist im An­fang das Rohe, Un­ge­form­te, Lee­re und Häß­li­che, und in al­len Din­gen kom­men nur die hö­he­ren Stu­fen in Be­tracht. Wer an Stel­le der grie­chi­schen Phi­lo­so­phie sich lie­ber mit ägyp­ti­scher und per­si­scher ab­giebt, weil Jene viel­leicht »ori­gi­na­ler« und je­den­falls äl­ter sind, der ver­fährt eben­so un­be­son­nen, wie Die­je­ni­gen, wel­che sich über die grie­chi­sche so herr­li­che und tief­sin­ni­ge My­tho­lo­gie nicht eher be­ru­hi­gen kön­nen, als bis sie die­sel­be auf phy­si­ka­li­sche Tri­via­li­tä­ten, auf Son­ne, Blitz, Wet­ter und Ne­bel als auf ihre Ur­an­fän­ge zu­rück­ge­führt ha­ben, und wel­che zum Bei­spiel in der be­schränk­ten An­be­tung des einen Him­mels­ge­wöl­bes bei den an­de­ren In­do­ger­ma­nen eine rei­ne­re Form der Re­li­gi­on wie­der­ge­fun­den zu ha­ben wäh­nen, als die po­ly­theis­ti­sche der Grie­chen ge­we­sen sei. Der Weg zu den An­fän­gen führt über­all zu der Bar­ba­rei; und wer sich mit den Grie­chen ab­giebt, soll sich im­mer vor­hal­ten, daß der un­ge­bän­dig­te Wis­sen­strieb an sich zu al­len Zei­ten eben­so bar­ba­ri­sirt als der Wis­sens­haß, und daß die Grie­chen durch die Rück­sicht auf das Le­ben, durch ein idea­les Le­bens­be­dürf­nis; ih­ren an sich un­er­sätt­li­chen Wis­sen­strieb ge­bän­digt ha­ben – weil sie Das, was sie lern­ten, so­gleich