das zu Nichts mehr taugt. Thatsächlich giebt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunterschiede: die Übertreibung, die Disproportion, die Nicht-Harmonie der normalen Phänomene constituiren den krankhaften Zustand (Claude Bernard).
So gut »das Böse« betrachtet werden kann als Übertreibung, Disharmonie, Disproportion, so gut kann »das Gute« eine Schutzdiät gegen die Gefahr der Übertreibung, Disharmonie und Disproportion sein.
Die erbliche Schwäche, als dominirendes Gefühl: Ursache der obersten Werthe.
NB. Man will Schwäche: warum? … meistens, weil man nothwendig schwach ist.
– Die Schwächung als Aufgabe: Schwächung der Begehrungen, der Lust- und Unlustgefühle, des Willens zur Macht, zum Stolzgefühl, zum Haben- und Mehr-haben-wollen; die Schwächung als Demuth; die Schwächung als Glaube; die Schwächung als Widerwille und Scham an allem Natürlichen, als Verneinung des Lebens, als Krankheit und habituelle Schwäche … die Schwächung als Verzichtleisten auf Rache, auf Widerstand, auf Feindschaft und Zorn.
Der Fehlgriff in der Behandlung: man will die Schwäche nicht bekämpfen durch ein système fortifiant, sondern durch eine Art Rechtfertigung und Moralisirung: d. h. durch eine Auslegung …
– Die Verwechslung zweier gänzlich verschiedener Zustände: z.B. die Ruhe der Stärke, welche wesentlich Enthaltung der Reaktion ist (der Typus der Götter, welche nichts bewegt), – und die Ruhe der Erschöpfung, die Starrheit, bis zur Anästhesie. Alle philosophisch-asketischen Proceduren streben nach der zweiten, aber meinen in der That die erste … denn sie legen dem erreichten Zustande die Prädikate bei, wie als ob ein göttlicher Zustand erreicht sei.
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Das gefährlichste Mißverständnis. – Es giebt einen Begriff, der anscheinend keine Verwechslung, keine Zweideutigkeit zuläßt: das ist der der Erschöpfung. Diese kann erworben sein; sie kann ererbt sein, – in jedem Falle verändert sie den Aspekt der Dinge, den Werth der Dinge …
Im Gegensatz zu Dem, der aus der Fülle, welche er darstellt und fühlt, unfreiwillig abgiebt an die Dinge, sie voller, mächtiger, zukunftsreicher sieht, – der jedenfalls schenken kann –, verkleinert und verhunzt der
(Nr. 49. folgt weiter unten. Re.)
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Theorie der Erschöpfung. – Das Laster, die Geisteskranken (resp. die Artisten …), die Verbrecher, die Anarchisten – das sind nicht die unterdrückten Klassen, sondern der Auswurf der bisherigen Gesellschaft aller Klassen …
Mit der Einsicht, daß alle unsre Stände durchdrungen sind von diesen Elementen, haben wir begriffen, daß die moderne Gesellschaft keine »Gesellschaft«, kein »Körper« ist, sondern ein krankes Conglomerat von Tschandala’s, – eine Gesellschaft, die die Kraft nicht mehr hat, zu exkretiren.
Inwiefern durch das Zusammenleben seit Jahrhunderten die Krankhaftigkeit viel tiefer geht:
-------------------------- ------------------------ die moderne Tugend, als Krankheits-Formen. die moderne Geistigkeit, unsre Wissenschaft
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Der Zustand der Corruption. – Die Zusammengehörigkeit aller Corruptions-Formen zu begreifen; und dabei nicht die christliche Corruption zu vergessen (Pascal als Typus); ebenso die socialistisch-kommunistische Corruption (eine Folge der christlichen; – naturwissenschaftlich ist die höchste Societäts-Conception der Socialisten die niedrigste in der Rangordnung der Societäten); die »Jenseits«-Corruption: wie als ob es außer der wirklichen Welt, der des Werdens, eine Welt des Seienden gäbe.
Hier darf es keinen Vertrag geben: hier muß man ausmerzen, vernichten, Krieg führen, – man muß das christlich-nihilistische Werthmaaß überall noch herausziehn und es unter jeder Maske bekämpfen … z. B. aus der jetzigen Sociologie, aus der jetzigen Musik, aus dem jetzigen Pessimismus (– Alles Formen des christlichen Werthideals –).
Entweder Eins oder das Andere ist wahr: wahr, das heißt hier den Typus Mensch emporhebend …
Der Priester, der Seelsorger, als verwerfliche Daseinsformen. Die gesammte Erziehung bisher hülflos, haltlos, ohne Schwergewicht, mit dem Widerspruch der Werthe behaftet –
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52.
Nicht die Natur ist unmoralisch, wenn sie ohne Mitleid für die Degenerirten ist: das Wachsthum der physiologischen und moralischen Übel im menschlichen Geschlecht ist umgekehrt die Folge einer krankhaften und unnatürlichen Moral. Die Sensibilität der Mehrzahl der Menschen ist krankhaft und unnatürlich.
Woran hängt es, daß die Menschheit corrupt ist in moralischer und physiologischer Beziehung? – Der Leib geht zu Grunde, wenn ein Organ alterirt ist. Man kann nicht das Recht des Altruismus auf die Physiologie zurückführen, ebensowenig das Recht auf Hülfe, auf Gleichheit der Loose: das sind alles Prämien für die Degenerirten und Schlechtweggekommenen.
Es giebt keine Solidarität in einer Gesellschaft, wo es unfruchtbare, unproduktive und zerstörerische Elemente giebt: die übrigens noch entartetere Nachkommen haben werden, als sie selbst sind.
Erschöpfte Alles, was er sieht, – er verarmt den Werth: er ist schädlich …
Hierüber scheint kein Fehlgriff möglich: trotzdem enthält die Geschichte die schauerliche Thatsache, daß die Erschöpften immer verwechselt worden sind mit den Vollsten – und die Vollsten mit den Schädlichsten.
Der Arme an Leben, der Schwache, verarmt noch das Leben: der Reiche an Leben, der Starke, bereichert es. Der Erste ist dessen Parasit: der Zweite ein Hinzu-Schenkender … Wie ist eine Verwechslung möglich? …
Wenn der Erschöpfte mit der Gebärde der höchsten Aktivität und Energie auftrat (wenn die Entartung einen Exceß der geistigen oder nervösen Entladung bedingte), dann verwechselte man ihn mit dem Reichen … Er erregte Furcht … Der Cultus des Narren ist immer