es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? Der höhere Mensch ist es, der nach dir schreit!«
»Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will der? Was will der? Der höhere Mensch! Was will der hier?« – und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss.
Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra’s, sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe Zarathustra stehn und zittern.
»Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass du mir nicht umfällst!
Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: »Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!«
Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände er wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern.
Glück – wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren?
Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!« – –
Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an’s Licht kommt. »Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart – Das weiss ich besser! Es giebt noch glückselige Inseln! Stille davon, du seufzender Trauersack!
Höre davon auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund?
Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? Aber hier ist mein Hof.
Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen Wäldern: daher kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da ein böses Thier.
Er ist in meinem Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir.« –
Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager: »Oh Zarathustra, du bist ein Schelm!
Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in die Wälder und stellst bösen Thieren nach!
Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz – und auf dich warten!«
»So sei’s! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde!
Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir Beide guter Dinge sein,
– guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen.
Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Bär! Aber auch ich – bin ein Wahrsager.«
Also sprach Zarathustra.
Gespräch mit den Königen
1
Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her. »Was wollen diese Könige in meinem Reiche?« sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: »Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige sehe ich – und nur Einen Esel!«
Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in’s Gesicht. »Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, aber man spricht es nicht aus.«
Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: »Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch die guten Sitten.«
»Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den »guten Sitten«? Unsrer »guten Gesellschaft«?
Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben, – ob er sich schon »gute Gesellschaft« heisst,
– ob er sich schon »Adel« heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Künstlern.
Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.
Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das Reich des Pöbels, – ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pöbel aber, das heisst: Mischmasch.
Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh.
Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: dem gerade laufen wir davon. Es sind süssliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblätter.
Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher treibt!
Wir sind nicht die Ersten – und müssen es doch bedeuten: dieser Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden.
Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem üblen Athem –: pfui, unter dem Gesindel leben,
– pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Königen!« –
»Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken,