Manus Gesetzbuch heißt es über die Schöpfung:
„Zahllose Weltentwickelungen giebts, Schöpfungen, Zerstörungen,
Spielend gleichsam wirkt er dies, der höchste Schöpfer für und für“,
und in den Veden spielt der alles hervorbringende Brahma mit Maya, der illusorischen Ideenwelt, und ruht gleichsam in der Mitte des Universum, wie eine Spinne in ihrem Gewebe, alles aus sich selbst herausspinnend und wieder in sich hineinziehend. An einer andern Vedastelle, wo von der Schöpfung gehandelt wird, heißt es, daß anfangs weder Sein noch Nichtsein – sat und asat – gewesen, sondern das große Es – tat – oder Brahma habe sich selbst erst zum Sein manifestiert, während die Maya oder Täuschung rings um ihn in gestaltlosem Nebel als asat oder non Ens geschwebt habe.[257] Indem aber nun auf diese Weise das Urwesen sich selbst im Spiegelglanz der Maya anzuschauen begann, ward durch seine Betrachtung die Finsternis geteilt, und die Liebe in seinem Gemüt wurde zur produktiven Schöpferkraft.
Im Upnekhata bildet sich die Welt aus einem Ei, woraus sich zunächst Brahma als Makrokosmus in der Gestalt eines Menschen entwickelt. Zu seinem Körper gehören selbst die Götter, da alles eins ist, und wer ihn erkennt und ihn versteht, der ist selbst Gott.[258]
Wenn in den indischen Kosmogonien ein Urstoff angenommen wird, so ist derselbe je nach dem herrschenden Kultus verschieden, bei den Verehrern des Schiwa das Feuer, und im Wischnukultus das Wasser. Im Ramayana heißt es[259]:
„Alles war Wasser, dann wurde die Erde geschaffen, und darauf entstand der selbstständige Brahma mit den Devatas.“
In Manus Gesetzbuch wird gesagt[260]:
„Als der Ewige und Unsichtbare, den nur die Vernunft ergründet, aus seiner eigenen göttlichen Substanz mannigfache Wesen hervorbringen wollte, schuf er zuerst durch einen Gedanken das Wasser und that darein den Zeugungsstoff. Dieser ward zu einem Ei, wie die Sonne glänzend, und in ihm entwickelte sich der große Urvater aller Geister, Brahma, die schaffende Kraft des Ewigen, welche nach einem Schöpfungsjahr allein durch den Gedanken das Ei zertheilte, dessen beide Hälften sodann Himmel und Erde bildeten.“
Andere wieder halten die Luft oder – besser gesagt – den Äther (âkâsa) für das erste Prinzip und betrachten ihn, wie später die Griechen usw., als ein fünftes Element, in welchem sich die Himmelskörper bewegen, seit sie von der Hand des Schöpfers den ersten Anstoß erhielten.
In noch andern Kosmogonien waltet ein dualistisches Prinzip, insofern der ewigen Materie ein ewiger Urgeist als Seele oder sensorium commune gegenübergestellt wird, auf welchen die höchste Gottheit durch Bewegung einwirkt. In diesem Sinne heißt es in einem Purana[261]:
„Den Stoff und auch den Geist durchdrang von Anbeginn der Weltenfürst,
Mit seiner Einheit Majestät bewegte sie der höchste Herr;
Dem jungfräulichen Sehnen gleich, und wie des Frühlings Zephirhauch
Verharrte in Bewegung dann Er, dieser Eingestaltige.“
Eine Grundlehre der Brahmanen ist ferner, daß Gott alle Dinge gut schuf, und der Mensch als freies Wesen allein die Schuld an dem moralischen Übel trägt, insofern seine Seele eine Emanation der Gottheit ist.
Als Brahma das Schöpferwort aussprach, entstanden die geistigen Urbilder alles Lebens, deren Aufenthalt der Äther ist. Sie sind völlig den Feruers des Mazdeismus vergleichbar. Andere aus Brahma emanierende, den Amschaspands, Izeds oder Engeln ähnliche Wesen sind die Devâs und Surâs, welche in der intelligiblen Welt ihre Freiheit genossen, bis einer von ihnen – Mahîsasura, der Büffeldämon, – aus Neid und Eifersucht von Brahma abfiel, ihm ähnlich gesinnte Geister verführte und dadurch der Seligkeit verlustig ging. Hierauf schuf Brahma die materielle Welt, damit in ihr die abgefallenen Geister durch Prüfungen geläutert und erneuert würden. Die menschliche Seele ist das Ebenbild (mûrtî) der Gottheit, denn sie ist vom göttlichen Atem belebt. Sie hat ihren Sitz im Gehirn, wo sie wie die Luft in einem Gefäß eingeschlossen ist. Zerbricht die Form, so vereinigt sich der menschliche Geist wieder mit dem göttlichen, gleichwie ein in das Meer geworfenes Gefäß seinen Inhalt mit dem des Oceans mischt. Die übrigen Teile des Menschen lösen sich in die vier Elemente auf. Diese Auflösung in fünf Bestandteile – panchatvam, „der Zustand von Fünfen“, denen die fünf Sinne als ebensoviel Thüren dienen, welche man gegen die Außenwelt verschlossen halten soll – ist der Tod, der keine Vernichtung ist, sondern eine stete Umbildung in neue Formen. Die endliche Vereinigung mit der Gottheit sucht der Mensch dadurch zu erreichen, daß er in strenger Askese alle sinnlichen Einflüsse auf sich abzuhalten sucht.
Das moralisch Böse wird als etwas Negatives, als das Nachlassen der geistigen Kraft auf die Materie aufgefaßt, gegen welche das Gute als Positives, als frei waltende Kraft fortwährend zu kämpfen hat. Die Götter selbst gaben dazu durch ihre Büßungen ein Vorbild.
Das Dasein des Menschen auf Erden ist eine Strafe und wie jedes Leiden und Ungemach durch in früheren Daseinsstufen begangene Sünden verschuldet, und je weiter sich alles von der Quelle der Gottheit entfernt, desto mehr verschlimmert es sich, weil die Gesetze der Emanation und Evolution es mit sich bringen, daß die Kette und der Kreis aller Wesen sich je länger je mehr vom Mittelpunkt entfernt. Das Böse würde demnach bei seinem beharrlichen Sinken keine Aussicht auf eine Rückkehr zum Göttlichen haben, wenn die Gottheit nicht selbst dazu ein Mittel gegeben hätte. Sie hat, sich gewissermaßen zum Fatum – Karma – gestaltend, nicht nur jedem Einzelwesen ein besonderes Ziel in einer Einzelexistenz – Incarnation – gesteckt, sondern vergönnt ihm auch in wiederholten Existenzen – Reincarnationen – auf die Erde herabzukommen, um sich in ihnen zum endlichen Rückfluß in die Gottheit zu läutern. – Durch die Kenntnis dieses Gesetzes erhält der Mensch die Richtschnur für sein Denken und Handeln.
Die Weltendauer ist auf 12 000 resp. 432 000 Jahre beschränkt, nach deren Verlauf alles Böse vernichtet wird, wenn die Gottheit abermals erscheint, die materielle Welt zerstört und ein allgemeines Reich des Geistes einführt.
Es heißt in den Veden: „Was kann die Welt für Freude gewähren, wo Alles sich verschlimmert? Könige sind gefallen, Ströme versiegt, Berge versunken. Der Pol selbst hat seinen Ort verändert; Sterne sind aus ihrer Bahn gewichen, die ganze Erde ist von ihrer Bahn heimgesucht und die Geister selbst vom Himmel geschleudert worden.“ Darum muß alles Sein dahinschwinden, und das Ramayana[262] ergeht sich in folgenden Betrachtungen:
„So wie die reife Baumesfrucht im Augenblicke fallen kann,
Muß dir, o Mensch, dein Erdenziel beständig in Gedanken sein;
Denn wie veraltet ein Gebäu, so fest es war, in Trümmer fällt,
So welkt der Sterblichen Geschlecht dem Tode unaufhaltsam zu.
Es kehret nimmermehr zurück die Nacht, wenn einmal sie verschwand,
Und mit des Ganges Wasser mischt ohne Rast sich Yamuna.
Es schwinden unsre Tage hin, und aller Wesen Lebenshauch
Ist wie ein Dunst zur Sommerzeit, den aufwärts zieht der Sonnenstrahl,
Zur Seite wandert uns der Tod, kehrt ein mit uns von Jugend auf.
Und wendet sich mit uns zurück, wenn wir am höchsten Ziele sind,
Wenn grau das Haar geworden ist, wenn eingeschrumpft die Glieder sind. –
Es freuen sich die Menschen hier, wenn auf- die Sonn' und untergeht:
Es sollte Warnung ihnen sein, daß Alles auf- und untergeht:
Sie freuen sich der Frühlingszeit, wenn Alles jung und neu erscheint:
Ach, wie das Jahr die Zeiten rollt, so schwindet auch das Leben hin! –
Wie dort am Lotosblatte sich ein Tropfen Thaues zitternd hält,
So ist dem steten Falle nah des Menschen zitternd Erdenglück,
Und wie im großen Ocean ein Splitter Holz den andern trifft,
So treffen hier auf Erden sich die Wesen einen Augenblick.“
Der