Plotinos denselben anführe und bemerkt weiter:
„Diese Ermahnung ist sehr wichtig, denn die Furcht vor dem Tode zieht die meisten Menschen von edleren Betrachtungen ab, so daß die Seele ihre Läuterung nicht bestehen kann. Daher kommt es, daß die aus der Welt abscheidende Seele noch einige ihrer irdischen Sorgen und Wünsche mit hinüber nimmt, anstatt sie zu Gott und den Engeln zu erheben, wie die Erleuchteten thun, deren Blick schon diesseits des Grabes eine höhere Richtung nimmt.“
Der sechzehnte Aphorismus der ersten Fassung, der zwanzigste bei Psellos und fünfzehnte bei Plethon hat in den drei Bearbeitungen folgenden Wortlaut:
1. „Wenn du deinen aus ätherischem Stoff bestehenden Geist zur Verehrung der Gottheit hinleitest, so wird auch dein irdisches Theil dabei wohl fahren.“
2. „Wenn du dein feurig Ich zu guten Werken lenkst,
So wirst du auch dein feuchtes Ich erretten.“
3. „Wenn du dein feuriges Theil aufrichtest, so wirst du auch den feinsten Stoff des Leibes dir erhalten.“
Der anonyme erste Kommentator bemerkt, daß unter der Verehrung der Gottheit nicht allein der Kultus, sondern alle sittlichen Handlungen zu verstehen seien. Psellos versteht unter dem feurigen Ich die vom Göttlichen erleuchtete Seele und unter dem feuchten Ich den materiellen Leib. Plethon sagt:
„Wenn du einen gottesfürchtigen Wandel führst, so wird dir auch leibliches Wohlsein zu Theil werden.“
Der siebzehnte Aphorismus, bei Plethon der sechzehnte (bei Psellos fehlend) wird in mystischen Werken sehr häufig citiert[231] und lautet in der ersten Fassung:
„Von allen Enden der Erde kommen Hunde herbei, die den Sterblichen durch falsche Zeichen äffen.“
In der zweiten:
„Aus allen Enden der Erde springen Hunde hervor, den Menschen Gaukelbilder zeigend.“
Beide Kommentatoren sagen übereinstimmend, daß den in die Mysterien Einzuweihenden Gespenster mit Hundefratzen erschienen, und verstehen unter denselben Personifikationen der zerstörenden Leidenschaften, welche die Seele aus ihrer Ruhe aufschrecken.
Der achtzehnte (bei Psellos fehlende) und bei Plethon siebzehnte Aphorismus hat folgenden Wortlaut:
1. „Die Vernunft lehrt uns, daß die Dämonen ursprünglich heilige Geister seien, und die bösen Eigenschaften eine Verkehrung der guten sind.“
2. „Die Natur sagt uns, daß die Dämonen vollkommene Wesen seien.“
Der erste Kommentar ergeht sich in ziemlich nichtssagender Weise über den Fall der Engel, welchen wir auch oben bei Zoroaster vorkommen sahen. – Plethon versteht unter Dämonen nicht im vulgären Sinn böse Geister, sondern geistige Wesen überhaupt; im übrigen umschreibt er nur den Aphorismus, ohne etwas von Bedeutung zu sagen.
Der nächste Aphorismus findet sich nur in der ersten Fassung:
„Die rächenden Furien zügeln den Menschen. Es führe die Seele die Oberherrschaft und schicke vorsichtig nach allen Seiten ihre Blicke aus.“
Der Kommentar versteht unter den rächenden Furien die notwendigen Folgen der Thaten der Menschen, und unter den Blicken die angeborenen guten Eigenschaften, mit deren Hilfe wir die schlechten erkennen und ihren Einfluß auf uns abwehren.
Der folgende, sich auch bei Psellos findende Aphorismus:
„O Mensch, du kühnes Kunstwerk der Natur.“
gehört offenbar zum einundzwanzigsten Spruch der ersten Fassung, welcher in den beiden andern fehlt:
„Hättest du meinen Beistand fleißiger angerufen, so würdest du wohlgethan haben, denn nicht vom himmlischen Stoffe scheint dir das Weltgebäude, sondern zu Schlechten und Krummen sich neigend. Die Sterne glänzen nicht, der Mond ist verfinstert, die Erde wankt, und alle Gegenstände scheinen sich in Blitze zu verwandeln.“
Der Kommentar sagt nur:
„So spricht das Orakel zu dem in die Weihen Initiierten.“
Der zweiundzwanzigste – bei Psellos fehlende – und bei Plethon achtzehnte Aphorismus lautet:
„Nimm nicht das Bild der Natur für die Gottheit selbst!“
Bei Plethon:
„Berufe dich nicht auf das Bild der Natur!“
Beide Kommentare sagen übereinstimmend, Gott sei nicht durch das Bild zu erfassen.
„Alle dem Eingeweihten[232] sich darbietenden Erscheinungen, wie Flammen, Blitze, sind nur Sinnbilder des Schöpfers, nicht sein eigentliches Wesen.“
Der dreiundzwanzigste – bei Psellos zehnte – Spruch heißt:
„Mit reinem Gemüth umfasse die Zügel des Feuers.“
Bei Psellos:
„Die gestaltlose Seele halte die Zügel des Feuers.“
Der erste Kommentar ist nichtssagend. Psellos bemerkt:
„Die gestaltlose, d. h. die von der Materie sich abwendende Seele halte die Zügel des Feuers. Sie soll sich nämlich in den Besitz des zum ewigen Licht führenden Mittels setzen. Wer die Zügel schlaff hält, dessen gute Vorsätze erschlaffen, und er fällt wieder der Erde anheim.“
Der vierundzwanzigste, bei Psellos dreizehnte Spruch hat den Wortlaut:
„Wenn du das heilige Feuer aller Gestalt ledig durch die Tiefen des ganzen Weltalls wirst schimmern sehen, so horche auf den Ton des Feuers.“
Bei Psellos heißt es:
„Wenn du gewahrst des heiligen Feuers Strahl,
Das doch Gestalt nicht hat, der Unterwelt auch leuchtend,
Dann horche auf des Feuers Ton!“
Der erste Kommentator giebt folgende Auslegung:
„Das gestaltlose Feuer ist die Gottheit selbst, welche alle Räume der Welt durchdringt. Auf ihr Flüstern achte du!“
Psellos bemerkt:
„Dieses Feuer ist das göttliche Licht, weil es keine Gestalt hat. Wenn dieses den Seher erleuchtet, daß er im Geist der Erde Tiefen durchschaut, dann vertraue er seinen Eingebungen.“
Der fünfundzwanzigste Aphorismus lautet bei dem Anonymus und Psellos:
1. „Die Seele des Menschen trägt die Spuren ihrer göttlichen Abkunft in sich.“
2. „Eile zum Lichte zu gelangen, zu den Strahlen des Vaters, von welchem deine Seele ausgeflossen ist.“
Beide Commentare sind nichtssagend, weil der Aphorismus für sich spricht.
Der sechsundzwanzigste Aphorismus in der ersten Fassung und zweiunddreißigste bei Psellos lautet:
1. „Vernimm, was sich durch den Verstand fassen läßt, denn dies ist über die Vernunft.“
2. „Wisse, das durch den Geist Wahrnehmbare kann vom Verstande nicht begriffen werden.“
Der erste Kommentar lautet:
„Obschon der Schöpfer die Bilder der unsichtbaren Dinge dir eingegeben hat, so bestehen sie in deiner Seele doch nur durch das Vorstellungsvermögen; trachte du aber danach, sie in der Wirklichkeit zu besitzen, d. h. dich nach dem Tode des Leibes mit dem Urgeist, dem nichts verborgen ist, zu vereinigen.“
Psellos dagegen sagt:
„Obschon der Verstand uns alle Dinge erklärt, so kann doch das Wesen Gottes von ihm nicht erfaßt werden, denn dies wäre nur durch unmittelbare Erleuchtung von oben möglich. Weder der Gedanke des Menschen, noch das artikulirte Wort kann das Wesen des Schöpfers definiren. Er ist durch ehrfurchtvolles Schweigen weit passender verehrt, als durch einen Schwall von Worten.