Jacob Freund

Hanna: Gebet- und Andachtsbuch für israelitische Frauen und Mädchen


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Eintritt in das Gotteshaus.

      (An Festtagen oder bei festlicher Gelegenheit.)

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      Sei mir gegrüßt, du liebliche Stätte, die meine Sehnsucht aufsucht am Feste des Herrn! Mit Freude und Ehrfurcht betrete ich das Gotteshaus, denn es ist der Ort des Friedens. Hier empfindet der Geist ein süßes Heimatsgefühl denn er ist im Vaterhause. Hier fühlt das Herz sich leicht und froh, denn Freude und Leid bleiben nicht in ihm verschlossen. Die Gedanken des Herzens vor geliebten Menschen aussprechen, ist Freude und Befriedigung, sie aber vor Gott offenbaren, den ich über alles liebe und anbete, das ist Belebung und Wonne. Sei mir gegrüßt, du liebe, heilige Stätte! Du warst von je die Zeugin meines Jubels und meiner Betrübnis, meines Kummers und meines Dankes gegen Gott, und Du sollst es ferner bleiben, solange Gott es mir vergönnt auf Erden. Amen!

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      Gebet am Vorabend des Passahfestes.

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      Allgütiger, Allmächtiger! Dich, als den wundertätigen Wohltäter unserer Väter zu preisen und als den wundertätigen Wohltäter all' ihrer Kinder, Deines ganzen Volkes Israel in allen Geschlechtern und eben so als den des ganzen Menschengeschlechtes, darum feiern wir heute zu Deiner Ehre das Fest der Befreiung. Und es ist dieses Fest der Befreiung zugleich das Fest des anbrechenden Frühlings. Wie Du wundertätig stets gewirkt hast in der Geschichte der Menschheit, so wirkst Du ebenfalls in der Natur zum Heile der Menschen.

      Lang und düster war der Winter unserer Väter in Ägypten, die Eisdecke harten Druckes, die Strenge kalter Grausamkeit lasteten auf ihrem Schicksal und die finstere Nacht der eigenen Kraftlosigkeit und Verkommenheit umhüllte mit dichtem Gewölk ihren Geist. Du aber, Herr, hast des Bundes gedacht, den Du mit ihren Vätern geschlossen, und hast sie herausgeführt aus der Knechtschaft in die Freiheit, aus der Unterdrückung in die Erlösung, aus der Finsternis zum hellen Lichte. Und Israel ist ein Volk geworden, und das Volk ist die Pflanzstätte der Erkenntnis Deines heiligen Namens geworden, daß er verbreitet werde auf Erden und alle Völker der Erde zu Dir sich wenden, daß auch sie befreiet werden aus der Nacht des Wahnes und des Irrglaubens, um sich zu vereinigen im Reiche des Lichts und der Wahrheit. Darum, o Herr, feiert unser dankbares Herz Dir heute das Fest der Befreiung.

      Und wenn wir um uns schauen, auf unsere eigenen Tage und auf das Leben, das uns umgibt, o dann feiert auch unsere Seele ein Befreiungsfest und preiset in Fröhlichkeit Deine ewige, wohltätige Wundermacht. Lang und düster war der Winter, den wir durchlebt, erstarrt und kalt ruhete vor uns die Erde, entkleidet der Pracht, mit der Deine Güte sie geschmückt hatte. Da hast Du Dein schöpferisches Befreiungswort aufs neue gesprochen, und wieder belebt sich die Natur um uns her, und wieder zieht mit doppelter Gewalt die Erkenntnis Deiner Liebe und Deiner Größe in unsere Brust, und alles, was da lebt, feiert in Wonne das Fest der Befreiung.

      O Herr! so möge es auch Dein Wille sein, daß Du uns immerdar befreien mögest von allem, was uns bedrückt und ängstigt. Befreie uns von den Banden des Unrechtes und der Torheit, befreie uns von den Schlingen des Unglücks und des Leides, sooft sie uns drohen, auf daß wir fröhlichen Herzens Dir immerdar danken für die Freiheit und für das Wohlsein unseres Leibes und unseres Geistes. Amen!

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      Seder.

      Betrachtung.

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      „Ma nischtanna.“ „Wodurch ist diese Nacht ausgezeichnet?“ Wer in Israel kennt diese kindliche Frage nicht? Wem klingt sie nicht traulich und feierlich wie eine schöne, sanfte Weise aus grauer Vorzeit? Vor tausend Jahren hat sie der Jüngste der Hausgenossen an den Vater gerichtet, wie heute. Wie heute? Ist denn der Sederabend wirklich noch in den Zelten Jakobs heimisch? Wehmütig bekennen wir, daß die seelenvolle Poesie dieses ebenso zartsinnigen wie ehrwürdigen Familienfestes in vielen, vielen jüdischen Häusern nicht mehr zu finden ist.

      Festlich erleuchtet ist die Stube; selbst der Ärmste der Gemeinde hat an diesem Abende seine Festlichter, seinen sauber gedeckten Tisch. Denn Pflicht der Besitzenden ist es, wie stets, so ganz besonders heute dafür zu sorgen, daß der Besitzlose mitfeiern könne das Peßachfest. „Jeder Hungrige komme und esse mit; jeder Bedürftige komme und feiere Peßach mit uns.“ Das ganze Haus ist feierlich gestimmt. Es ist, als ob der Geist der Geschichte leise durch alle Räume ginge und mit sanfter Hand alles Geräte berührte. Hergerichtet ist die gebotene Ordnung des „Seder“. Denn „Seder“ das ist Ordnung. Kiddusch, die heilige Festesweihe und Festesverkündigung ist der erste Schritt in das stimmungsvolle Heiligtum des Abends. Der erste Becher wird getrunken, der Becher der „Erlösung“, dem im Verlauf des Abends die Becher der: „Rettung“, „Befreiung“ und „Erwählung“ folgen. Die Erzählung der „Haggadah“ ist angenehm eingeleitet und unterbrochen von heiligen Gebräuchen und Anwendung von Symbolen, die alle ihren wertvollen Sinn, ihre sinnige Bedeutung haben. Auf silberner oder hölzerner Platte steht das bittere Kraut des Maror, Lattich und Meerrettig; sie sind Erinnerung an unserer Ahnen Bitternis in ältester Ägypterzeit und später; uns selbst oft genug ein Mahnruf in lebendigster Gegenwart. Des Chorauseth bräunliche Masse erinnert an den Lehm und Ton, aus dem die Väter in Mizrajim Ziegel geformt. Das Bratfleisch ist ein trauriger Rest, der kaum mehr an einst reiche Opfermahle und duftiges Peßachlämmchen erinnert; das Ei, die Trauerspeise, ruft uns zu: Denke daran, daß der Trauertag des neunten Ab auf denselben Wochentag fällt, wie der erste Sederabend. Das wichtigste Zeichen jedoch ist die „Mazza“, „das Brot der Armut“, das Brot, das so unendlich viel von ertragenen Leiden und erfahrenen Freuden erzählen könnte. Die symbolischen Handlungen sind von den Aggadahberichten begleitet, von Lobpreisungen und Segnungen. Die kindlichen Fragen nach der besonderen Auszeichnung des Abends werden vom Familienoberhaupte mit einer kurzen Erzählung der Vätergeschichte und der Befreiung aus Mizrajim erwidert. — Die vier charakteristischen Gestalten des „Weisen, Bösen, Schlichten und Unmündigen“ werden lebendig vorgeführt und die Erlösungsgeschichte an der Hand alter Überlieferungen des talmudischen Schrifttums dargestellt. Die zehn ägyptischen Plagen ziehen an uns vorüber und daran knüpft sich die Klarlegung der Bedeutung der drei Hauptzeichen des Festes: Peßach, Mazzah und Maror. Hallel, das herrliche Loblied erklingt mit seinen erhabenen Gedanken und Weisen. Dann unterbricht die Festmahlzeit den „Seder“. Am Schlusse der Mahlzeit jedoch wird jedem Teilnehmer ein Stückchen Mazza „als Afikomon gereicht und wir gedenken Eliehus“, des Propheten, in dem wir den erhofften Messias willkommen heißen wollen und für den wir den „Eliehu-Becher“ auf dem Tische gerüstet haben. Der andere Teil der Hallel-Psalmen schließt sich daran, das große Dankgebet und das herrliche „Nischmath“, das für diesen Abend verfaßt ward. — Liebliche Lieder, die Bedeutung des Festes besingend und Gottes Allmacht in der Welt und seine in unserer Geschichte bewährte Güte preisend, bilden den Schluß des Sederabends, den wir nicht ohne wehmütige Erinnerung an Jerusalem beenden.

      So reiht sich an diesen Abend die Übung schöner, sinniger Bräuche aneinander. Alle Glieder der Familie haben sich freudig vereint und auch bedürftige Fremde als Gäste sitzen im Kreise der Feiernden.

      Ruhig legen wir unser Haupt zum Schlummer in der „Nacht der Bewachung“ nieder. Denn siehe, „es schläft und schlummert nicht der Hüter Israels“.

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      Morgengebet am Passahfeste.

      (Vorher Nischmath, siehe Seite 19.)

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       Du, Herr, bist der Ewige, unser Gott, der uns aus dem Lande Ägypten geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft.

      In diesem Bekenntnis vereinigen sich all' die Gedanken, die der heutige Festtag in uns wachruft, daß wir, beseelt von ihnen, fähig seien, Dich zu preisen als den Unendlichen, den Allmächtigen und Allgütigen.

      Ja,