Theodor Rohmer

Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft


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an einer Herrschaft, welche, obgleich tief innerlich begründet durch die Vertretung Europas gegen die Hierarchie, doch im Grunde vom römischen Kaiserthum ererbt war, einem in der öffentlichen Meinung nur durch Tradition, nicht durch Einsicht gerechtfertigten Institute. So oft Deutschland seiner alten Rolle sich begab, so oft mußte sie von den Nachbarn übernommen werden; so geschah es, daß in dieser Epoche Ludwig XIV., Karl XII., Peter der Große, Wilhelm III. fast zugleich auftauchten.

      Seit dem dreißigjährigen Kriege blieb Deutschland der Wahlplatz Europas, bis auf die neueste Zeit. Es ist klar, sollte das Vaterland nicht untergehen, so mußte, wie wir oben gesagt, das Leben in die einzelnen Glieder zurückweichen. Der große Churfürst hat damals Brandenburg zur ersten protestantischen Macht des Reiches, der Prinz Eugen Oestreich zu höherem äußeren Einfluß erhoben. Aber Oestreich war mehr und mehr undeutsch, seine deutschen Provinzen, Böhmen besonders und Mähren, durch eine bigotte Politik umgewandelt und entfremdet worden; die Habsburger selbstsüchtig genug, um für ein Privatinteresse die schönsten Länder des Reiches, wie Lothringen, zu opfern. Eine deutsche Großmacht mußte entstehen; sie zu schaffen, kam Friedrich der Große.

      2. Das Zeitalter Friedrich des Großen.

      Durch die Freiheit seines Geistes, die Macht seiner Persönlichkeit, durch den Ruhm seiner Thaten belebte Friedrich das deutsche Nationalgefühl mehr, als es durch ein Streben nach deutscher Einheit geschehen konnte, das ihm, wie die Sachen standen, lächerlich erscheinen mußte. Nur freilich, für jene Dinge schuldet ihm Deutschland keinen Dank; Preußens Erhebung war sein einziges Ziel; er hat es unter blutigen Bürgerkriegen erstrebt, mit rücksichtsloser Beharrlichkeit verfolgt. Gewiß ist, daß er, wenn auch nicht die Deutschen überhaupt, doch die Deutschen seiner Zeit nicht verstand; in der Jugend hielt ihn Erziehung, noch mehr sein eigenthümlich pikanter Geschmack ab, die noch barbarische Literatur zu durchschauen, im Alter die Unfähigkeit, das neu Erwachte zu würdigen. Sein Zeitalter ist, und das durch ihn, die Periode der „Aufklärung“; die Frivolität des damaligen Tones hat er zum Theil, durch Begünstigung der französischen Schriftsteller wie durch seine Art sich zu äußern, veranlaßt; französische Weltanschauung dünkte ihm die wahre, französisch war seine Sprache und Bildung, französisch selbst seine Verwaltung in vielen Stücken. Das aber macht ihn zum großen deutschen Manne, daß er dem todten Mechanismus des Staates eine deutsche Seele einzuhauchen wußte, eine innere Kraft, welche noch lange nach ihm seine Stiftung belebte; nicht weniger, daß er trotz vieler oberflächlichen Ansichten mit einem Ernst und einer Tiefe nach der Wahrheit strebte, die ihn den größten Philosophen zugesellt.

      Joseph der Zweite, bei großen Talenten ein Mann von ungehaltenem Geist und Gemüth, wollte Friedrichs II. Grundsätze auf den Staat übertragen. Friedrich kannte die Menschen, und achtete die Vorurtheile des Volks; jener, weil ihm beides fehlte, scheiterte an dem Widerstand seiner eigenen Völker. Es bleibt ewig denkwürdig, daß ein deutscher Kaiser, Beherrscher einer unumschränkten Monarchie, zuerst von oben herab ohngefähr dieselben Reformen und mit ähnlichem Leichtsinn versuchte, welche noch zu seiner Zeit die konstituirende Versammlung in Frankreich durchsetzte. Weniger der Sinn der Neuerungen war es, was den Widerstand erweckte, als die Verflachungssucht, welche ihnen zu Grunde lag, und der Despotismus, womit sie durchgesetzt wurden; die Priester übten damals doppelte Gewalt über das Volk, weil sie sich zu Hütern alter Vorrechte aufwarfen.

      Maria Theresia hatte den Bedürfnissen der Zeit gemäß reformirt, ohne doch das patriarchalische Verhältniß des Herrschers zum Volke und den alten Glauben, worauf Oestreichs Macht beruht, zu erschüttern; Joseph baute auf moderne Grundlagen, wofür nicht nur Oestreich nicht reif, sondern die überhaupt als ein fremdes Gewächs dem deutschen Geiste widersprechen.

      Er und Friedrich II. ließen sich herab, mit Katharina II. Polen zu theilen. Es war „mehr als ein Verbrechen, es war ein Fehler“. Von da an geriethen Oestreich und Preußen in eine Abhängigkeit von Rußland, welche sichtlich genug in der niedrigen Art hervorleuchtet, womit Friedrich II. sowohl als Joseph um die Gunst Katharinas II. buhlten. Deutschland hatte sich in den vorigen Epochen, wenn auch nach Westen geschwächt, doch nach Osten in gleicher Kraft erhalten; seit Peter unmerklich, sichtlich seit der Theilung von Polen, unterlag es einem Einfluß von Osten, dem die Großmächte wie die kleinern Fürsten immer mehr sich beugten, der eine doppelte Ohnmacht des Reichs begründete, und unter dem Vorwande beständiger Hülfeleistung gegen Westen bis auf unsere Tage sich gleich furchtbar erhalten hat.

      Die Grundsätze des achtzehnten Jahrhunderts hatten die liberale Politik erzeugt, die sich den Verrath an Polen erlauben konnte. Während auf Thronen ihnen gehuldigt wurde, bildete sich aus dem Herzen Deutschlands eine Literatur, welche die falsche Aufklärung untergrub, die wahre siegen machte und Europa rettete, indem sie den deutschen Geist dem französischen entgegensetzte, der sich wie eine Fluth über die civilisirte Welt ergossen hatte. Die deutsche Sprache, von französischen Vorbildern losgerissen und an englischen gestärkt, war wieder erwacht, und das erste Zeitalter der deutschen Literatur, tief und ernst, nicht so schöpferisch, aber strenger, wie das zweite, erstand.

      Lessing zuerst war von der Vorsehung berufen, dem deutschen Volk das lang umnachtete Bewußtsein seines innern Strebens wiederzugeben; in der Kunst und Poesie, in der Philosophie und Wissenschaft hat er Neues angeregt; gleich schonungslos gegen die seichte Aufklärung seiner Tage, wie gegen die erbärmliche Orthodoxie, gleich gerecht gegen die großen Gedanken der rationalistischen Philosophie, wie gegen die innern Wahrheiten des Christenthums, hat er sein ganzes Leben hindurch, mit kühnem, unbefangenem Geist, mit tiefem und unbezwungenem Gemüthe nur die Eine Wahrheit vor Augen gehabt, deren Bruchstücke er in der Philosophie wie in der Religion erfaßte, deren vollendete Erscheinung er selbst geweissagt hat. Lessing ist der Typus eines deutschen Protestanten, im geistigen Sinne des Worts; gleich Luther, gehört er, nicht nur mittelbar durch die Literatur, sondern unmittelbar der Geschichte an, weil an ihm vor Allen die Wogen der französischen Weltanschauung sich gebrochen haben. Eben dagegen, aber von der Religion ausgehend, wie er von der Philosophie, wirkten Herder (besonders durch eine höhere Anschauung der Geschichte) und, früher schon, Hamann; während Klopstock einer großen Poesie die Bahn brach.

      3. Von Josephs II. Tod bis zur Befreiung Deutschlands.

      Es drängt sich in Epochen französischer Uebergewalt die Frage auf: warum, während im Osten, gegen slavischen und asiatischen Andrang zwei große Staaten sich gebildet, der Westen Deutschlands den Franzosen von Heinrich II. an bis Napoleon nur schwache, zerstreute, niemals bedeutende Gebiete entgegengesetzt habe? Scheint es doch, als habe von Altersher die Beschaffenheit der drei geistlichen Churfürstenthümer (welche monarchischer Ausbildung von Natur unfähig waren) den Ursprung eines Gränzwalles gegen Frankreich, wenigstens auf einer Seite, unmöglich gemacht. Die Vorsehung hat das Land jenseits des Rheins zum wunden Flecke Deutschlands gemacht, romanisches und germanisches Leben werden hier nie aufhören, Schritt für Schritt sich zu bekämpfen; während sie im Osten, um die Slaven in den Kreis der europäischen Bildung hereinzuziehen, mächtige Vormauern schuf, überläßt sie es im Westen der Volkskraft allein, gegen französischen Andrang Stand zu halten; dort haben sich trotz ungeheurer Fehler, künstliche Staatengebäude in den größten Stürmen gefristet; hier zieht jeder Mangel an Eintracht, jeder Nachlaß an nationaler Festigkeit Verluste nach sich. So bringt es der Charakter der Gegenden mit sich, welche den Mittelpunkt Europas bilden. Die Natur, mit einem Wort, wollte zwei Völker, die zur lebhaftesten Wechselwirkung bestimmt sind, nicht abschließen; die engste Berührung der Germanen und Romanen ist erforderlich, um der Kultur von Europa den gemeinsamen Charakter zu geben, der sie auszeichnet, eine Berührung von der Art, daß jede geistige Ueberlegenheit sogleich eine materielle nach sich zieht. Deutschland selbst soll entweder durch Einigkeit übermächtig, oder durch Uneinigkeit (damit wir wissen, worin unsere Kraft liegt) ohnmächtig sein.

      Die Revolution überwältigte sonach mit Leichtigkeit den deutschen Westen und änderte die Gestaltung von Europa, indem sie die Idee der politischen Freiheit ins Leben rief: Europa theilte sich in zwei große Lager, Deutschland in zwei Hälften. Hervorgegangen aus Principien, gegen welche so eben die deutsche Literatur sich erhoben hatte, berührte sie dennoch Deutschland viel weiter, als jenen noch gehuldigt wurde. Es war die allgemeine Idee der Freiheit, die sociale und sittliche Emancipation, nicht die Theorie der Volkssouveränetät, womit die