Theodor Rohmer

Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft


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Gewalt, indem sie diese der päpstlichen Autorität entzog, sie mit weltlicher und kirchlicher Macht, mit unmittelbarer Weihe bekleidete und mit eingezogenen Gütern bereicherte: jene absolute Fürstengewalt, welche in steigender Ausbildung bis zur französischen Revolution Deutschlands politisches Leben untergrub.

      Nach Luthers Tode begann der Krieg, und bald, von den Jesuiten geleitet, die Gegenreformation. Die ganze äußere Geschichte geht fortan aus dem Kampfe der Ideen hervor; und die Sonne der Reformation, die Sonne Deutschlands verhüllt sich Ein Jahrhundert lang in blutrothe Wolken, zwei Jahrhunderte darauf in düstere Nebel.

      Wie in Einer Linie von Karl V. bis zum dreißigjährigen Kriege die Streitigkeiten sich entwickelten, wie dieselben Ursachen am Anfang des Zeitraums Metz, Toul und Verdun, am Ende das Elsaß und einen Theil des Nordens dem Reiche entzogen, wie endlich Ausländer in Deutschland geboten, wie die größten Talente nur der Zerstörung des eignen Vaterlandes gedient, wie unter den Schrecken des Krieges die Kraft des Volkes auf Decennien gebrochen, wie die blühende Saat, die Luther und Hutten für deutsche Literatur und Bildung gepflanzt (bald nach ihnen schon in den Sophismen der Schulen verkrüppelt), vollends zertreten wurde, wie von nun an durch ein Jahrhundert hindurch die Muttersprache, ihrer eigenthümlichen Kraft entkleidet, gleich der Nation selbst, zur Sklavin der Fremden sich erniedrigt, das Alles ist hinreichend bekannt. In dieser Zeit waren die Einfälle der Türken vielleicht dazu geschickt, den Deutschen zu zeigen, daß sie wenigstens alle noch Christen seien; ohnedem wäre dieß (durch den gegenseitigen Haß) vergessen worden. Es steht sehr nahe, zu fragen, warum die Entwicklung des dogmatischen Zwiespalts nicht so zerstörend (denn von jeher waren Religionszwiste die gräßlichsten), sondern so langsam vor sich gegangen. Man pflegt über die Barbarei eines Zeitalters zu lachen, das um die Bedeutung des Wörtchens „ist“ Blut vergießen konnte, das länger als ein Jahrhundert brauchte, sich verschiedene Ansichten zuzugestehen. Man bedenkt nicht, daß die innern Ideen, welche Katholiken, Reformirte und Protestanten getrennt, auch heutzutage noch nicht entschieden, nur ihrer praktischen Folgen beraubt sind; daß in damaliger Zeit jede Partei für ihre Existenz in Wahrheit kämpfte; daß endlich großentheils der Leichtsinn, mit dem späterhin die Völker die Religion überhaupt zu betrachten anfingen, die Duldung herbeigeführt. Sehr Vieles, was uns auf unser Zeitalter stolz macht, weil es ihm humanere Art verliehen hat, ist nur wieder Wirkung eines andern Fehlers; die Vorsehung ist oft genöthigt, Schlimmes mit Schlimmem zu vertreiben. So hat sie den Fanatismus durch die Frivolität zerstört; sie durfte dazu nur die menschliche Natur gehen lassen; denn der Ekel am langen Kriege, die Ermattung von dogmatischen Subtilitäten legten den Grund zur spätern Indifferenz.

      IX. Allseitige Durchbildung der innern und äußern Folgen der Reformation charakterisirt den neunten Zeitraum.

      Die Reformation hatte, obgleich sie den neuen Konfessionen Symbole gegeben, doch dem Princip nach die Quellen des Christenthums der Kritik anheimgegeben. Nachdem also der Protestantismus unversehrt aus dem Kampfe hervorgegangen, mußte er über Symbol und Bibel hinausgehen; in seinen kirchlich-theologischen Bestandtheilen verknöchern und (wo gemüthliche Restauration versucht wurde) zur Sekte werden; in seinen geistigen aber den Beruf übernehmen, gegenüber dem alten Offenbarungsglauben, vom Standpunkte der Vernunft nach Lösung der höchsten Wahrheiten zu ringen.

      Die Reformation hatte Deutschland innerlich gespalten, der westphälische Friede (hier allein in ganz Europa) den Parteien gleiche Geltung verliehen. Fortan war kein einiges Deutschland mehr vorhanden; das große Vaterland mußte sich selbst absterben, seine ganze Lebenskraft in die einzelnen Glieder sich zurückziehen. Unter diesen mußten zwei Staaten an die Spitze, der eine des Protestantismus, der andere des Katholicismus treten, um Deutschland nach außen zu wahren; jener sollte den Norden, dieser den Süden an sich fesseln, ohne doch die Vielheit der Territorien aufzuheben, in welcher die Bürgschaft lag gegen eine Theilung des Reiches in zwei Reiche[5].

      Während die Deutschen tiefer als jedes andere Volk die innern Fragen erfaßten, während sie, mitten hindurch zwischen Aberglauben und leichtfertigem Zweifel[6], beharrlich die Sache der Wahrheit förderten, hatte der romanische Geist, obwohl in den äußeren Banden der Kirche, mit den Institutionen des Christenthums, wie sie durch die Reformation verworfen waren, zugleich das Christenthum selbst verworfen, und eine Weltanschauung aufgestellt, welche fertig wie sie war, getragen von einer klassischen Literatur und Urheberin einer neuen Bildung, den Deutschen vorgeschrittener erscheinen mußte, als ihr eignes tausendfältig zerrissenes, glanzloses, barbarisches und mühseliges Wissen.

      Da unterlag die deutsche Kraft, ihrer selbst sich unbewußt, der französischen; einmal als die neue Aufklärung mit ihrem ganzen Gefolge eindrang, das andere Mal, als sie in der Revolution den Staat nach ihren Principien gestaltete und halb Europa bezwang.

      In dieser Noth des gesammten Vaterlandes, zu einer Zeit, da auch in den einzelnen Staaten die Willkühr der Fürsten alles politische Leben untergrub, flüchtete sich der deutsche Geist in die allmälig aufkeimende Literatur, welche, Göttliches und Menschliches umfassend, offenbarte, wessen er immer noch fähig sei. Gleichzeitig, und noch gewaltiger, enthüllte das deutsche Gemüth seine Tiefe und Hoheit in ungeheuern, immer neuen Schöpfungen der Tonkunst.

      Das sind die Grundzüge des Zeitraums; wir betrachten ihn nach drei Abschnitten.

      1. Vom westphälischen Frieden bis auf Friedrich den Großen.

      In der vorigen Periode hatten Copernicus, später Keppler, zwei Deutsche, die physische Anschauung der Welt tausendjähriger religiöser Vorurtheile entledigt; zwei Romanen, Descartes und Spinoza, indem sie, mit Hingabe aller hergebrachten Begriffe, sich die Welt des Geistes neu zu konstruiren versuchten, wurden Stifter der deutschen systematischen Philosophie, welche ununterbrochen bis auf unsere Tage nach Erkenntniß der Wahrheit gerungen hat, und deren wechselnde Systeme (es gehört nicht hieher, sie einzeln zu beleuchten) eben so viele Grundsteine eines endlichen, unumstößlichen Aufbaues sind, in dessen Hallen, statt einzelner Bevorrechteter, die ganze Nation Raum finden wird. Durch alle Abschnitte zieht sich jene schwere Arbeit des Geistes hindurch, mit einer Kraft, einer Ausdauer, einer Pietät, wie sie nur dem Deutschen eigen ist; sie geht mit den andern, in der Reformation wurzelnden Bestrebungen, Einem Ziele entgegen[7].

      Im Uebrigen wird die deutsche Geschichte bis auf Friedrich den Großen nur durch die Uebel erklärlich, worin der dreißigjährige Krieg, unberechenbar in seinen Nachwehen, das Vaterland gestürzt hatte. Der Volksgeist war unter soldatischer Tyrannei erschlafft, die Sitten barbarisirt, die Gemüther im Aberglauben (noch blühten die Hexenprozesse) und in Frivolität verwildert, empfänglich für Despotismus und Fremdherrschaft, die Sprache zertreten und beschmutzt, die alten Rechte und Gerichte, sonst des Volkes eigenstes Gut, längst verdrängt oder verwischt, die landständischen Verfassungen zum Schatten herabgeschwunden. Von dem, was Großes in seinen Tiefen gährte, konnte dem Volke kein Bewußtsein bleiben; französischer Einfluß, französische Sprache, Bildung und Manieren war durch alle das angebahnt, durch die Höfe aber zumeist, deren Willkühr und Verdorbenheit eine furchtbare Höhe erreichten. Die Herrschaft über die Gewissen, eine Folge der kirchlichen Spaltung, hatte die Fürsten an Allmacht gewöhnt; der vollkommnere Mechanismus polizirter Staaten, ein französisches Werk, gab sie ihnen thatsächlich.

      Es ist ein sprechender Zug, daß, je herrlicher Deutschland selbst geblüht, desto kleiner die Nachbarstaaten, je schwächer es gewesen, desto stärker jene sich entwickelt haben. Warum mußten Ludwig XI., Karl der Kühne zur Zeit Friedrichs III., warum Gustav Adolph und Richelieu im dreißigjährigen Kriege leben, warum kurz darauf Ludwig XIV. regieren? Ein inneres Gesetz der Wechselwirkung geht durch die europäische Geschichte, welches zeigt, daß Europa trotz aller Verschiedenheit nur Einen großen, im Grundcharakter germanischen Staat bildet; die Schale des Einen muß sinken, wenn die des Andern gestiegen ist. Im Mittelalter, als die Völker noch erzogen wurden wie Kinder, durch die Kirche, war Deutschland als Sitz des Kaiserthums der bevormundende Staat; je mehr die Vormundschaft