wie in Heinrich IV., dem Ersten dieser Periode, nur die Willkühr eines mächtigen Herrn sich beugt, so strebt in dem Letzten, in Friedrich II., eine ungeheure geistige Opposition, hinausreichend über ihre Zeit, schon — die Stützen des Papstthums zu entwurzeln. Mitten inne steht Kaiser Friedrich der Rothbart, seine Versöhnung mit Alexander III. bildet den einzigen Ruhepunkt des Kampfes; jene Scene in Venedig ist der höchste Ausdruck, das erschöpfende Bild des Mittelalters[2].
Die Hierarchie, mit allen Waffen des Zeitgeistes, besiegte das Kaiserthum, und ihre Verbündeten, die Aristokratie in Deutschland, die Städte der Lombardei, erschütterten Deutschlands politische Einheit und Herrlichkeit. Wie die früheren Kaiser die großen Lehen gleich Beamtenstellen vergeben hatten, so zerstückelten sie die Hohenstaufen; hierdurch ward die Erblichkeit allgemein, und die Wählbarkeit der deutschen Krone, das Palladium der Freiheiten, so lange die großen Herzoge Vertreter ihrer Völkerschaften, so lange sie wählbar und absetzbar waren, wurde der wunde Fleck der deutschen Einheit, so wie die Fürsten überhaupt zu Landesherren heranwuchsen. So erlagen die Hohenstaufen der dreifachen Macht der Hierarchie, der Aristokratie und der lombardischen Städte; aber ihre Aufgabe war trotz dem gelöset; die Hierarchie, indem sie ihre Gränzen überschritt, unterlag der öffentlichen Meinung.
VII. Mit Friedrich II. erloschen die großen Ideen; sich selbst zu leben, nach allen Seiten das deutsche Wesen auszubilden, war Deutschlands Rolle in diesem Zeitraum.
Korporationen aller Art, Erbverbrüderungen der Fürsten, Innungen und Zünfte, Städtebünde, Rittervereine, die schärfste Entwicklung jedweden Einzellebens bis zur Spitze charakterisirt diese Zeit; zugleich ein beständiges Streben nach unumstößlicher Regelung der innern Verfassung und Ordnung Deutschlands von Rudolph von Habsburg an bis zum Landfrieden Maximilians. Das Kaiserthum ist zu Ende; das Königthum, als die größte Erbmacht unter den vielen Erbmächten, tritt an seine Stelle. Ebenso sinkt die Hierarchie, obgleich Siegerin zu Ende des vorigen Zeitraums, von ihrer sittlichen Höhe, und mit ihrer Verweltlichung zerfällt ihre innere Gewalt. So verändert sich der Geist des Mittelalters; praktische Entwicklung, Blüthe des Handels und der Gewerbe macht sich geltend. Die deutsche Oberhoheit über Polen, Ungarn, Italien, Burgund, Dänemark ist dahin; dagegen wird das ganze slavische Deutschland erst jetzt zum deutschen Lande; und in dem Maße, als die Reichshoheit schwindet, wachsen die einzelnen deutschen Mächte, Oestreich insbesondere, das sich als Großmacht gegen slavische und türkische Barbarei im Osten erhebt, während im Nordosten der deutsche Orden die heidnischen Völker germanisirt. Im Vereine mit Deutschland wetteifern die übrigen Staaten Europa’s in wachsender politischer Ausbildung; noch aber bleibt Deutschland die oberleitende Großmacht, obwohl sich schon einzelne Glieder, wie Burgund und die Schweiz, lostrennen. Der Welthandel liegt in deutschen Händen, die Seemacht der Hansa ist die größte in Europa, und das Bürgerthum erreicht in der Menge blühender und mächtiger Republiken seine höchste Stufe.
Man bemerkt im Allgemeinen eine zunehmende Schwäche nach Westen, ein fortschreitendes Wachsthum nach Osten. Während dort die burgundische Mittelmacht entstand, während Frankreich den Kampf gegen das Papstthum (sonst Sache der Kaiser) glänzender beendigte, als es jemals die Deutschen vermocht, erhob sich Böhmen und Mähren unter den Luxemburgern zu einer geistigen Ueberlegenheit, welche in den Hussiten dem ganzen Deutschland widerstehen konnte.
Seit dem Churverein zu Rense war die Befreiung der Staatsgewalt von hierarchischen Anmaßungen ausgesprochen. Das Schisma entfremdete die Gemüther dem Papstthum; die Concilien setzten die bischöfliche Macht, oder wenigstens die der Kirche, an die Stelle der absoluten Monarchie: Huß und Hieronymus, obwohl nur aus der Scholastik hervorgegangen, und nur in einzelnen Dogmen widersprechend, vertraten eine individuelle Ueberzeugung gegen die bisher unangetastete richterliche Gewalt der Kirche.
Während so auf dem Wege des Geistes, und mit Waffengewalt die Reformation angebahnt wurde, bereitete die Erfindung des Pulvers und der Buchdruckerkunst eine neue Zeit vor. In keiner Epoche haben die Deutschen mehr industrielles und materielles Geschick entfaltet, als in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums. Es war eine Richtung des Volksgeistes, sehr ähnlich derjenigen, welche unsre Zeit bezeichnet; sie erzeugte den Drang nach einer festen Gestaltung des Vaterlandes, und wie die goldene Bulle die Fürstenrechte konstituirt hatte, so sollte die neue Reichsverfassung Maximilians I. alle Staaten mit Einem Bande umschlingen. Aber es lagen damals (wie auch heute) noch tiefere Elemente in der Zeit; die Reformation kam, und eine innere Umwälzung zerstörte die äußere Einheit in dem Augenblick, da sie sich nach langem Harren zu verwirklichen schien.
Die germanische Weltordnung war in der dritten Periode von den Hunnen, in der vierten von den Arabern und Avaren, in der fünften von den Magyaren, in der sechsten von den Mongolen bedroht worden; in der siebenten wurde das byzantinische Kaiserthum, der letzte Rest der antiken Welt, von den Türken vernichtet. Von da emancipirte sich Europa von der drückenden Sklaverei, worein römische und griechische Kultur und Sprache des Mittelalter versenkt hatten. Die frühere Scholastik war von Aristoteles beherrscht worden; jetzt, als fliehende Byzantiner die Quellen nach Italien brachten, gewöhnte man sich, die Alten im Geist und in der Wahrheit zu verstehen, und eine herrliche Blüthe der Wissenschaft und Kunst bezeichnete in Deutschland den Untergang der alten, den Anfang einer neuen Zeit.
VIII. Die Reformation, das heißt die Befreiung der Christenheit von der Vormundschaft päpstlicher und kirchlicher Autorität, die Entfesselung der Gewissen und Gedanken auf der einen, die Restauration des Christenthums und die Reinigung der tiefen kirchlichen Verderbniß auf der andern Seite war das fünfte große Werk des deutschen Geistes. Nicht, wie es gleichzeitig in England, gewissermaßen auch in Frankreich geschah, wurde die kirchliche Verfassung geändert; Deutschland hatte den Beruf, das Christenthum der Form zu entbinden, und es, nur auf seine Quellen gestützt, der freien öffentlichen Meinung zu übergeben. Sofort mußte das neue Princip, wie es der alten Kirche gegenüber trat, zugleich einen Kampf über den dogmatischen Inhalt des Urchristenthums erzeugen, der die Spaltung zwischen Lutheranern und Reformirten hervorrief.
Während Zwingli dem Aberglauben den gesunden Menschenverstand und den Muth eines redlichen Mannes, Calvin der Kirche ein geschlossenes System entgegensetzte[3], von dem der Fanatismus unzertrennlich war, ging Luther von einer gemüthlichen Opposition aus, welche das Bewußtsein der Völker (seiner eignen Partei sowohl als der katholischen) verjüngte. Die Religion war zu einem äußerlichen Werkdienste herabgesunken, welcher das innere Leben übertünchte oder entseelte; Luther, wie einst Christus gegen die Pharisäer, hob mit der ganzen Kraft seines Geistes die Natur hervor, ohne deren tiefere Reinigung alle Werke, auch die besten, nur eitel seien. Hierüber verdammt, im innersten Kerne verwundet, trennt er sich von der Kirche, deren treuester Jünger er selbst gewesen war; erbittert über die Verworfenheit der Hierarchie, gab er die Quellen des Christenthums der Kritik der Einzelnen preis, ohne zu ahnen, wie bald ein Staat, der die Auslegung der Gesetze der Willkühr jedes Bürgers überläßt, der Anarchie anheimfallen müsse. Jene wahre Kirche zu gründen, die in seinem Sinne lag, war ihm nicht beschieden, wohl aber eine Konfession zu stiften, in welcher sein glühender Drang nach Wahrheit, Freiheit und Mündigkeit sich rastlos fortentwickelte; und zugleich auf den Katholicismus rückzuwirken, in dessen uralten Institutionen der Geist des Glaubens gegenüber dem (protestantischen) Geiste der Forschung sich erhalten mußte.
Es war eine große Zeit, die Epoche der Reformation. Der Glanz des Hauses Habsburg, über romanische und germanische Länder, über Europa und Amerika ausgebreitet, verklärte noch einmal das sinkende Kaiserthum. Karl V., obwohl unberührt von den tiefern Fragen der neueren Zeit, spiegelte doch in seiner Sphäre sie ab; wie sein Großvater der letzte Ritter gewesen, so war er der erste Ausdruck der absoluten Fürstenmacht, mit umfassenden Intentionen. Unter Männern, wie er, wie Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Albrecht Dürer waren, unter so vielen Großen war Luther der größte; an Kraft und Heldenmuth war er allen überlegen; eine Zuversicht war ihm eigen, die sich vermessen konnte, (wie einst Jakob nach der Mythe) mit Gott zu ringen; die deutsche Sprache endlich verdankt, was sie ist, zum größten Theile seinem Vorbild, — und schon um dieser Einen Hinsicht willen sollte sein Andenken allen Deutschen gleich heilig sein[4].
Damals strebte die Ritterschaft vergebens, ihre mittelalterliche Freiheit gegen die neue Verfassung zu wehren; eben so vergebens suchten die Bauern, Ansprüche durchzusetzen, die